Skip to main content

Antifaschistische Beobachtung des „Veddel-Prozesses“

veddelprozess.blogsport.eu
Einleitung

Am 17. Dezember 2017 beging Stephan Kronbügel einen Sprengstoffanschlag auf den S-Bahnhof Veddel in Hamburg, bei dem es mindestens einen Verletzten gab. (Vgl. AIB Nr. 118) Im darauffolgenden Prozess, der im Oktober 2018 zu Ende ging, wurde er vom Landgericht Hamburg zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah ein rechtes Motiv als „sehr wahrscheinlich“ gegeben. In einer Stadt, deren Name immer wieder fällt, wenn es um die Kontinuität rechten Terrors geht, zeigt sich, wie gesellschaftliche Akteur_innen heute mit einem rechten Anschlag umgehen.

Da der Bahnhof Veddel von vielen Schwarzen Menschen und PoC genutzt wird (...) liegt es nahe davon auszugehen, dass es sich um einen rassistischen Anschlag gehandelt hat“, schrieb der Account @Antifa309 am 17. Dezember 2017 auf Twitter. Damit machten sie und andere Antifaschist_innen insbesondere auf social media-Kanälen schon vor der Festnahme des Täters auf einen möglichen rechten Hintergrund der Tat aufmerksam. Die Vorgehensweise, einen Sprengsatz mit Schrauben zu versehen und die Wahl eines Ortes, der in der Stadt als migrantisch geprägt gilt, sprachen für einen rechten Anschlag.

Leichte Erkenntnis – die Stadtöffentlichkeit

Die Personalie Stephan Kronbügel hatte es zudem einer breiteren Öffentlichkeit leicht gemacht, einen möglichen rassistischen Hintergrund zu erkennen und zu benennen. Kronbügel blickt auf eine langjährige Gewaltkarriere in der extremen Rechten zurück, die ihren mörderischen Höhepunkt in dem gemeinsam mit Stefan Silar ausgeübten Totschlag an Gustav Schneeclaus im März 1992 fand. Zwar ließ die Polizei hartnäckig verlautbaren, dass es sich bei dem Anschlag auf der Veddel nicht um rechten Terror handele, da Kronbügel nicht mehr Teil der organisierten Neonaziszene sei. Vielmehr sei er jetzt in der sog. „Trinker­szene“ zu verorten. Dennoch fand sich anschließend kein Artikel über den Anschlag ohne Verweis auf diese Vergangenheit des Täters.

Antifaschistische und antirassistische Gruppen organisierten kurz nach der Tat eine Kundgebung am Anschlagsort und veröffentlichten weitere Details zu Kronbügel. Diese ordneten ihn als Teil der Geschichte des rechten Terrors in Norddeutschland ein. Bevor er selbst zum Totschläger wurde, bewegte er sich im Umfeld der Mörder von Ramazan Avcı (Vgl. AIB Nr. 105), denen er mit Prozessbesuchen seine Solidarität zeigte.

Während die Polizei von diesen Tatsachen unbeirrt an der Entpolitisierung des Anschlags und Kronbügels festhielt, entschied sich die Staatsanwaltschaft zu einer hohen Anklage wegen versuchten Mordes. Mit der Eröffnung des Prozesses fanden wir uns als antifaschistische Prozessbeobachtungsgruppe zusammen, um jeden der Prozesstage zu besuchen, zu protokollieren und Öffentlichkeit herzustellen. Dies taten wir aus zwei Gründen: Wir wollten einer Entpolitisierung des Anschlags im Verfahren entgegenwirken und die Informationen, die es absehbar im Prozess geben würde, dokumentieren. Trotz der hohen Anklage durch die Staatsanwaltschaft befürchteten wir, dass der für uns auf der Hand liegende rechte Hintergrund des Anschlags ausgeblendet werden würde. Allerdings zeigte sich, dass die Kammer genau zu diesem Motiv im Prozessverlauf intensiv Nachfragen stellte und damit auch Versäumnisse der Ermittlungsbehörden, die dies vernachlässigt hatten, nachholte.

Alles wie gehabt – die Ermittlungs­behörden

Nach  dem Anschlag wurde deutlich, dass die Polizei in Hamburg entweder nicht in der Lage oder willens ist, rechten Terror zu erkennen oder ihm gründliche Ermittlungen entgegenzusetzen. Ob dies auch an der im bundesweiten Vergleich noch mangelhaften Aufarbeitung des NSU-Komplexes liegt, sei dahin gestellt. Fest steht, dass die Polizei Hamburg größere Verantwortung oder gar Fehler bei den Ermittlungen nach der Ermordung Süleyman Taşköprüs durch den NSU weit von sich weist. Das Ergebnis dieser Nicht-Auseinandersetzung zeigt sich auch an der Bearbeitung des Anschlags am S-Bahnhof Veddel.

Die Beweisaufnahme im Prozess offenbarte darüber hinaus, dass einzelne Polizeibeamte, auch vor dem Anschlag, nicht in der Lage waren, die rechte Einstellung Kronbügels und seines Umfeldes als solche zu erkennen. Das Harburger Umfeld Kronbügels zeigte sich durch die Zeug_innenvernehmungen als ein rassistisches Milieu, in dem eine „gesunde patriotische“ Einstellung als normal gilt. Dies offenbarte sich durch hartnäckiges Nachhaken der Vorsitzenden Richterin. Der zuständige „bürgernahe Beamte“ wusste trotz alltäglichem Kontakt mit den Harburger Umfeldzeug_innen darüber nichts zu berichten.

Die nachlässigen Ermittlungen wurden besonders augenfällig, als sich eine Ex-­Freundin Kronbügels zu Beginn des Prozesses selbstständig beim Gericht als Zeugin meldete. Sie berichtete, dass Kronbügel ihr den Anschlag bereits ein halbes Jahr zuvor mit den Worten, er werde „die Bombe platzen lassen“ angekündigt hatte und sie dies auch vor und nach dem Anschlag u.a. einem Polizisten mitgeteilt habe. Dieser habe nur gesagt, „nur weil jemand was aus ‚Polenböllern‘ zusammenbappt, wird das nichts dolles.“ Der Polizist konnte sich mutmaßlich aus Selbstschutz vor Gericht nicht erinnern. Wenn der Anschlag schon nicht verhindert werden konnte, hätte es ohne die Entpolitisierung des Geschehens eine umfangreichere Umfeldermittlung geben müssen, die sich selbstverständlich schnell auch den (Ex-) Partnerinnen des Verdächtigen hätte zuwenden müssen.

Extrem rechtes Männlichkeitsideal – Der Täter

Das Bild, welches gefüttert durch die Infor­mationen der Ermittlungsbehörden in den Medien von dem Täter gezeichnet wurde, hätte erwarten lassen, dass ein halbes Jahr nach dem Anschlag zu Prozessbeginn vor Gericht ein heruntergekommener Langzeitalkoholiker sitzt, welcher sich wahrscheinlich an die Tat aufgrund seines Alkoholkonsums nicht mehr erinnern kann. Jedoch war das Gegenteil der Fall: Der Angeklagte erschien weder körperlich angeschlagen noch geistig verwirrt. Vor Gericht saß ein Mittfünfziger mit trainierter Statur in sportlicher Kleidung, der augenscheinlich das Interesse verfolgte, den Tatverlauf zu entpolitisieren und der vermutlich bis zum Ende der Verhandlung davon ausging, für seinen, wie er es nannte „dummen Scherz“, mit dem er „nur Leute erschrecken wollte“, mit einem sehr milden Urteil bedacht zu werden.

Durch die Einlassung des Angeklagten selbst, der Aussagen mehrerer Zeug_innen sowie den Verlesungen aus vergangenen Urteilen entstand ein Bild des Angeklagten, welches sich ziemlich bruchlos an ein extrem rechtes Männlichkeitsideal anschließt: Kronbügel erscheint als politischer Soldat, der seinen Körper trotz seines Alkoholkonsums stählt und sich bereit für den Endkampf hält. Ebenso deutlich wurde sein misogynes Frauenbild. Gewalt gegen Frauen zog sich nicht nur durch seine Beziehungen, sondern auch durch seine Verurteilungen.

Erkenntnisreicher als der vereinzelte Blick auf individuelle biografische Daten ist eine Perspektive, die die gesellschaftliche Situation und das Umfeld, in dem Kronbügel politisch sozialisiert wurde in den Blick nimmt. So finden sich in den Urteilen vergangener Straftaten Beschreibungen der Angeklagten und ihres politischen Milieus, in dem auch Kronbügel verortet werden konnte. Ab 1986 wurde Stephan Kronbügel immer wieder aufgrund von Gewaltdelikten verurteilt. Begangen wurden sie häufig gemeinschaftlich und ebenso häufig ließ sich durch die Verlesung der Urteile im Prozess wegen des Veddel-Anschlags erkennen, dass es sich um Taten handelte, deren Motiv in der rechten Orientierung und Zuordnung zur „Skinheadszene“ der Angeklagten beheimatet war. Die politische Sozialisation des Täters vollzog sich zu Hochzeiten der rechten Skinheadbewegung.

Bleiben notwendig – Antifaschistische Interventionen

Wie viele frühere Akteur_innen der extremen Rechten tauchte Kronbügel während des aktuellen gesellschaftlichen Rechtsrucks mit einem potentiell tödlichen Sprengstoffanschlag wieder auf. Darüber, wie er sich von der allgemeinen gesellschaftlichen Stimmung und den rassistisch geprägten Milieus, in denen er sich bewegte, zu seiner Tat angefeuert gefühlt hat, lässt sich auch nach dem Prozess nur spekulieren. Durch die antifaschistische Aufarbeitung, Recherchen und Prozessbeobachtung konnte der Hintergrund des Anschlags trotzdem vollständiger aufgeklärt werden, als es ohne diese Interventionen der Fall gewesen wäre. Mit Blick auf das Verhalten aller gesellschaftlichen Akteur_innen zu rechtem Terror muss dies auch weiterhin selbst in die Hand genommen werden.