Rechtsrock — Aufstieg und Wandel neonazistischer Jugendkultur am Beispiel Brandenburgs
Gideon Botsch Jan Raabe Christoph SchulzeAktuell beginnt wieder die Neonazi-Festivalsaison. Der Rechtsrock boomt und das wie seit Jahren nicht mehr. Die Rechten agieren dabei zum Teil immer offener, was sich an Konzerten und Festivals in Themar, Ostritz und anderen Orten mit BesucherInnen im vierstelligen Bereich deutlich zeigt. Parallel existieren weiterhin die klandestin agierenden Vertriebs- und Organisationsstrukturen, die militanten Netzwerke, die solche Events organisieren aber lieber im Hintergrund bleiben würden. In der Vergangenheit haben wir und andere Medien uns immer wieder mit diesen Strukturen und Veranstaltungen befasst, doch aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichen sind in diesem Feld überschaubar.
Insofern passt die Neuveröffentlichung „Rechtsrock - Aufstieg und Wandel neonazistischer Jugendkultur am Beispiel Brandenburgs“ schon vom Zeitpunkt her ideal. Das der Blick sich nicht auf die „klassischen“ Bundesländer zu dem Thema wie Sachsen und Thüringen fokussiert, ist ebenfalls begrüßenswert. Denn auch Brandenburg „verfügt über eine vitale Rechtsrock-Szene, deren Akteure auf vielfältige Weise in den Rechtsextremismus der Region eingebunden sind und bundesweiten Einfluss nehmen.“ Zurecht weisen die Autoren in ihrer Einleitung darauf hin, dass „der Rechtsrock in Brandenburg auch als Exempel (taugt), aus dem sich Erkenntnisse über den Rechtsrock in anderen Bundesländern und international ableiten lassen.“
Inhaltlich kann sich der Sammelband sehen lassen: Jan Raabe macht den Einstieg mit einer Übersicht zu „Rechtsrock in Deutschland“ und benennt „Funktionen, Entwicklung, zentrale Akteure“. Christoph Schulze analysiert die Rechtsrockszene in Brandenburg, Michael Weiß widmet sich den Netzwerken von „Blood & Honour“ und „Hammerskins“ im Bundesland. Gideon Botsch schreibt über die „V-Mann-Problematik im brandenburgischen Rechtsrock“.
Es folgen weitere Texte, die verschiedene Phänomene oder Betrachtungsweisen in den Blick nehmen, darunter Antisemitismus als ein zentrales Element der RechtsRock-Szene, Frauen- und Männerbilder, Männlichkeitsinszenierungen und die Rolle von Frauen in der Szene; Bilderwelten, bei dem die Symbole und Codes der Szene anhand ihrer Cover und Booklets analysiert werden oder die Wechselwirkung von Gewalt und Rechtsrock. Der Abschlussbeitrag beschäftigt sich mit zivilgesellschaftlichen Interventionsmöglichkeiten am Beispiel von Finowfurt, wo eine Immobilie von Neonazis zum regelmäßigen Konzertort etabliert werden sollte.
Besonders spannend und empfehlenswert ist die „wissenschaftliche Zurückweisung der fortgesetzten Rede von der ‚Einstiegsdroge Musik’“ von Thorsten Hindrichs, weil sie die gesetzte Erzählung diskutiert und letztlich ablehnt. Er kritisiert, dass sich der Konsum von RechtsRock „als das zentrale Erklärungsmodell für den Einstieg“ in die Szene etabliert habe, obwohl dies aus musikwissenschaftlicher Perspektive „schlechterdings falsch“ sei. „Pädagogische Maßnahmen gegen den Rechtsrock sollten sich darum nicht an ‚Einstiegsdrogen’-Hypothesen orientieren“, heißt es in der Einleitung.
Insgesamt ist das Buch eine gelungene Mischung aus regionaler, historischer Analyse und exemplarischer Betrachtung eines internationalen Phänomens zu einem Thema, dessen Aktualität außer Frage steht. Der Anspruch des Buches, „grundlegendes Wissen über die Szene (zu) vermitteln“ ist nicht nur inhaltlich gelungen, sondern auch sprachlich.
Gideon Botsch, Jan Raabe, Christoph Schulze (Hrsg.):
Rechtsrock — Aufstieg und Wandel neonazistischer Jugendkultur am Beispiel Brandenburgs
Be.bra wissenschaft verlag
Berlin 2019
400 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-95410-229-7