Antiasiatischer Rassismus und Corona
Chao ChanSeit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Wuhan in China häufen sich Fälle antiasiatischen Rassismus und antiasiatischer Gewalt. Besonders in den USA, wo Donald Trump bereits vor Corona eine antichinesische Stimmung beförderte, sprachen viele von der „Kung Flu“, oder wie Trump selbst vom „China Virus“. Selbst Jon Stewart, eigentlich für seine eher linke Gesellschaftskritik bekannt, ist überzeugt, dass das Corona-Virus aus einem chinesischen Labor stammt.
Das Bild von China als Gefahr für westliche Länder und die ganze Welt gibt es nicht nur in Bezug auf die Corona-Pandemie, sondern insbesondere auch bezüglich Chinas wirtschaftlicher Macht. Seit China ab 1978 seine Märkte für „den Westen“ öffnete, massiv seine Wirtschaft privatisierte und ausländische Investitionen in Sonderwirtschaftszonen erlaubte, stieg das Brutto Inlands Prodeukt (BIP) rapide. 2001 trat China der Welthandelsorganisation bei, bereits 2010 überholte es Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Zwar klagen viele westliche Kritiker*innen über die zunehmend expansionistische chinesische Außenpolitik, über die Menschenrechtsverletzungen in Tibet und Xinjiang, die ausbeuterischen Kreditverträge in Afrika und auf dem Balkan und die Abschottung des chinesischen Marktes. Doch Chinas Aufstieg zur zweitgrößten Wirtschaft der Welt wäre ohne die westlichen Staaten und ihre Unternehmen unmöglich. China hat sich lediglich der westlichen Marktlogik angepasst. Viele westliche Unternehmen haben Außenstellen in Xinjiang, die Abschottung und Kontrolle des chinesischen Marktes wird gerne in Kauf genommen, solange in wirtschaftlichen Sonderzonen billig Produkte produziert werden können. Die Knebelverträge Chinas in Osteuropa oder Afrika erinnern stark an Kreditverträge des Internationalen Währungsfonds.
Die Überwachungsstrukturen, Zensur des Internets, das Verschwinden von politisch Unliebsamen, das Fehlen von echter Demokratie hört sich nach wahrgewordenem Traum westlicher Geheimdienste und Innenpolitiker an. Für den Zugang zum zweitgrößten Markt weltweit lassen westliche Unternehmen ihre „Moral“ gerne zuhause.
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts galt China unter der Qing-Dynastie als eine der reichsten und fortschrittlichsten Nationen. Dank des Exports von Tee und Porzellan und hohen Zöllen auf westliche Importe stieg der Außenhandelsüberschuss Chinas gegenüber Großbritannien stetig an. Um diesem Trend entgegenzuwirken, führten die Briten raue Mengen Opium aus Bengalen nach China ein. Der Opiumschmuggel und die Opiumsucht drohten schnell, die ganze chinesische Gesellschaft zu lähmen. Von 1828 bis 1836 erzielte China ein massives Handelsdefizit – das Kalkül der Ostindien-Kompanie und der britischen Regierung ging auf.
Als die Qing-Dynastie den Handel mit Opium unter Todesstrafe stellte und große Mengen britischen Opiums zerstörte, reagierte Großbritannien mit militärischer Gewalt, um den „freien Handel“ zu gewährleisten. Im ersten Opiumkrieg von 1839 bis 1842 besiegte Großbritannien dank technischer Überlegenheit das chinesische Kaiserreich und erzwang mit dem Vertrag von Nanking den ersten von vielen sogenannten „Ungleichen Verträgen“. Darin verlangte Großbritannien extreme Reparationen, die Öffnung des chinesischen Marktes und „ewige Besitzrechte“ für Hongkong. Es folgten ein weiterer Opiumkrieg, viele Aufstände und Niederschlagungen durch Kolonialmächte. Jede westliche Nation, die etwas auf sich hielt, hatte sich schließlich ein Stück Chinas einverleibt.
So „pachtete“ auch Deutschland 1898 das Gebiet Kiautschou und nutzte es als Flottenstützpunkt. Die deutschen Kolonialambitionen wurden durch die vermeintliche Überlegenheit der Deutschen gegenüber den Chines*innen und der Zivilisierung und Missionierung von „Primitiven“ legitimiert – ganz dem Zeitgeist entsprechend. Als es 1899 zum sogenannten Boxeraufstand kam, sprach Kaiser Wilhelm II. den Chines*innen in der „Hunnenrede“ ihr Recht auf Leben ab. Dennoch arbeiteten bereits um 1900 tausende chinesische Seeleute und Heizer auf deutschen Schiffen und ließen sich ab 1919 vor allem in Hamburg nieder, um Geschäfte und Restaurants zu eröffnen.
Nach den Opium-Kriegen zog es viele Chines*innen in die USA, besonders um in Minen, auf Feldern und vor allem für die Eisenbahn zu arbeiten. Bereits damals sahen viele weiße Siedler*innen in den USA chinesische Migrant*innen als wirtschaftliche, gesundheitliche und moralische Gefahr. 1882 machte der „Chinese Exclusion Act“ legale Migration aus China unmöglich. Der Immigration Act von 1917 errichtete eine „Asiatic Barred Zone“ aus der jegliche Migration verboten war. Nach dem Angriff auf Pearl Harbour wurden 120.000 japanische Amerikaner*innen in Internierungslager gesperrt.
Die Kriege in Korea und Vietnam trieb viele Koreaner*innen und Vietnames*innen in die USA. Während des Vietnamkriegs wurden asiatisch gelesene Menschen oft insgesamt als „Feinde“ wahrgenommen, da Durchschnittsamerikaner*innen keine Unterschiede erkennen konnten oder wollten. Während der Unruhen in Los Angeles 1992 (Rodney King riots) wurden koreanische Ladenbesitzer*innen, die ihre Geschäfte gegen Plünder*innen mit Waffengewalt verteidigten, in den Medien als Helden*innen gefeiert. Bereits in den Jahren zuvor hatten sich die Spannungen zwischen POCs und koreanischen Ladenbesitzer*innen in Los Angeles hochgeschaukelt.
Migrantische Gruppen gegeneinander auszuspielen gehört zum klassischen rassistischen Repertoire. Nicht zuletzt dank dieser Vorstellung von „Idealmigrant*innen“, die als fleißig, genügsam und hart arbeitend gelten, denken beim Thema Rassismus die wenigsten Deutschen an Asiat*innen sondern eher an Menschen aus dem Nahen Osten, Afrika oder Osteuropa. Der Begriff Antiasiatischer Rassismus kann darüber hinaus unterschiedlich gedeutet werden. In Großbritannien und den USA gelten auch Menschen aus Indien und Pakistan als „asiatisch“, während in Deutschland hauptsächlich Ost- und Südostasiatische Nationalitäten asiatisch gelesen werden.
Positiver Rassismus kann allerdings schnell in negativen umschlagen. Bereits 1907 wurde gegen die „Gelbe Gefahr“ aus China argumentiert, da diese die „Chinesenpest“ einschleppen würden. Das Bild der „Fremden“, die Krankheiten einschleppten und deren Essgewohnheiten und Traditionen zugleich faszinierend, exotisch und abstoßend sind, ist ein altes rassistisches Motiv.
Dieser Rassismus, gepaart mit der Frustration der Nachwendezeit, führten zu den rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Nach dem Vietnamkrieg kamen über 40.000 Geflüchtete aus Vietnam in die Bundesrepublik. Beinahe zeitgleich warb die DDR ab 1980 Vietnames*innen als „Arbeitsmigrant*innen“ an. 1991 und 1992 wurden Wohngebäude, in denen viele Vietnames*innen lebten, von Rassist*innen mit Molotow-Cocktails beworfen und die Bewohner mit Baseballschlägern angegriffen. In Lichtenhagen sowie in Hoyerswerda versammelten sich „Zuschauer“, die den Rassist*innen applaudierten und Polizeimaßnahmen behinderten. Die Polizei sah tatenlos zu und zog sich zeitweise komplett zurück. Nach den Attacken wurden die Asylsuchenden abtransportiert, Neonazis in Hoyerswerda deklarierten die Stadt als „ausländerfrei“.
Seit der Corona-Pandemie nehmen Angriffe auf asiatisch gelesene Menschen zu, sei es in Deutschland, den USA oder anderen westlichen Ländern. Menschen werden angespuckt, beleidigt, getreten und verprügelt. Menschen setzen sich im Bus an einen anderen Platz. In Atlanta erschoss ein Mann acht Menschen, darunter sechs Asiatinnen. Seit 2020 hat sich die Zahl Antiasiatischer Angriffe in den USA massiv erhöht. Dabei spielt oft keine Rolle, woher die Opfer kommen, sondern lediglich, dass sie „asiatisch aussehen“.
Antiasiatischer Rassismus vermischt alle asiatisch gelesenen Menschen zu einer homogenen Masse, von der Gefahr für die weiße Mehrheitskultur ausgeht. Asiat*innen werden als Krankheitsüberträger*innen dargestellt, als schmutzig, exotisch, hinterhältig und grausam, um nur einige Vorurteile zu nennen. Besonders von Chines*innen gehe eine wirtschaftliche Gefahr aus, da sie westliche Produkte seelenlos kopieren, ohne sich um Patentrecht und Sicherheit zu scheren. Sie verschmutzen den Globus und beuten Minderheiten aus. Gleichzeitig sind sie fleißig, intelligent und arbeitsam.
Etwa eine Million asiatische Deutsche und Asiat*innen leben in Deutschland. Sie werden seit Corona wieder vermehrt Opfer rassistischer Gewalt. Wir müssen uns jetzt den TäterInnen und jenen, die klatschend daneben stehen entschieden in den Weg stellen, damit Hoyerswerda nie wieder „ausländerfrei“ wird.