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Corona-Proteste: „Wider der Vernunft“

Einleitung

Interview mit dem Autoren Andreas Speit über sein aktuelles Buch „Verqueres Denken: Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“

Symbolfoto: Christian Ditsch

(Symbolfoto: Christian Ditsch)

AIB: Eine These aus deinem Buch bezieht sich auf die „Corona-Proteste“ als Ausdruck einer dritten Lebens­reform-Bewegung. Was meinst du damit und woran lässt sich das festmachen?

Speit: Die Kritik an den staatlichen Maßnahmen gegen die Pandemie geht mit einem neuen Reflexivwerden der Moderne einher. In den vergangenen Jahren ist im öffentlichen Diskurs – wie zuvor lange nicht – intensiv über die Lebens- und Produktionsweise der westlichen Industriestaaten diskutiert worden. Die fundamentalen Auswirkungen der immer schnelleren Digitalisierung des alltäglichen Lebens und den beruflichen Arbeitsbedingungen lassen sich erahnen. Die ökonomische Globalisierung, die staatlich kaum reguliert wird, führt nicht zu mehr Solidarität, sondern zu mehr Konkurrenz. Ein „Weiter so“ in der Waren- und Finanzwelt, wo Besitz und Dinge das Ich ausmachen, wird vor allem seit der Finanzkrise hinterfragt. Die Suche nach anderen Wegen und das Beschreiten von alternativen Vorstellungen ist längst in der Mitte der Gesellschaft präsent. Das ewige Wachstum sehen selbst Ökonom:innen, die dem Kapitalismus wohlwollend gegenüberstehen, am Ende ankommen. ‚Der Markt‘ wird den Klimawandel nicht stoppen.

Diese Such- und Gegenbewegung kam am Vorabend der kapitalistischen Marktwirtschaft mit der industriellen Revolution schon auf. Diese erste Lebensreformbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts, trieb bereits jene Sorge vor der Industrialisierung, dem Materialismus und der Urbanisierung an. Die ‚Entzauberung der Welt“ -  wie Max Weber es ausdrückte -  durch Ratio und Logos wurde beklagt und durch die unterschiedlichsten Projekte eine Wiederverzauberung versucht: von alternativen Siedlungen und ökologischer Landwirtschaft über vegetarische Ernährung und ganzheitliche Medizin bis hin zu spirituellen Praktiken. Mit dem gesellschaftlichen Wandel durch die industrielle Revolution, die alles und jedes erfasste, sah diese heterogene Bewegung, dass der Mensch von sich selbst, den Mitmenschen und der Natur entfremdet werde. Der Rationalismus war mehr als fragwürdig geworden.

In der gegenwärtigen Lebensreformbewegung ist das Suchen und Gegenbewegen wieder immanent: Nachhaltigkeit, recyceln, aufarbeiten und sharen sind Bemühungen - wie auch Rad statt Auto, vegan statt Fleisch, Öko-Bekleidung statt Billigware, handgemacht statt industriell, regional und saisonal statt global und permanent, Ökostrom statt Atomstrom. Die neuen Lebensreformer:innen stellen ihr eigenes Leben um, fordern aber auch von den politischen Verantwortlichen Maßnahmen. Eine Umkehr für alle, die es sich leisten können. Das Privileg der Bio-Boheme. Der Klimawandel sorgt für ein Gefühl der Dringlichkeit und eine Endzeithaltung, die die Bewegung antreiben. Das die Grünen zur Bundestagswahl eine eigene Kanzlerkandidatin aufstellte, lag an der neuen Bewegung – und ihrer Breite. Die Grünen selbst kommen aus der zweiten Lebensreformbewegung Mitte des 20. Jahrhunderts.

AIB: Die ideologische Gemengelage dieser Proteste ist ja sehr diffus. Welches sind deiner Meinung nach die wirkmächtigsten Punkte?

Speit: Der antimoderne Reflex. In der ersten Lebensreformbewegung führte die Antimoderne auch schon zu Allianzen mit dem Völkischen und dem Reaktionären. Die Stellungnahme pro oder contra Vernunft, schrieb Georg Lukács in einer Reflektion zu bürgerlichen Philosophien, entscheide über das Wesen einer Philosophie als Philosophie, die Zerstörung der Vernunft führt zur Unvernunft. Und er wird sehr deutlich: In jeder Regung des Irrationalismus sei eine faschistische, aggressive, reaktionäre Ideologie sachlich enthalten. In einer radikalen Kritik aus der Lebensreformbewegung kann die Moderne gar als ‚jüdische Moderne‘ abgewehrt werden. Eine der vielen antisemitischen Verschwörungsnarrative. Keine Überraschung, dass ‚die Juden‘ mal direkt, mal indirekt als ‚die Rotschilds, die Rockefeller‘ bei den gegenwärtigen Protesten angefeindet werden.

Der Irrationalismus, zu dem Verschwö­rungs­­narrative gezählt werden dürften, führt bei der „Querdenken“- und Corona­leugnungs-­Bewegung auch wieder zu rechten Allianzen: Nicht nur das Rechte sich bei ihren Protesten einreihen können, der Gründer von „Querdenken“, Michael Ballweg, hat keine Bedenken mit Reichsideologen zusammen zu diskutieren und sich beim COMPACT-Magazin zu inszenieren. Und Xavier Naidoo singt ein Duett mit Hannes Ostendorf – Sänger von „Kategorie C“.

AIB: Was bedeutet das alles für das Verhältnis zwischen den sog. Pandemie-Leugner_innen und rechten Strukturen, wie z.B. der AfD?

Speit: In der AfD wird beklagt, dass diese Protestbewegung zu spät wahrgenommen wurde. Die Partei hat zu Beginn der Pandemie nicht erkannt, dass auch bei ihrer Klientel eine Verschwörungsmentalität sehr virulent ist. Die AfD scheint diese erst an dem Einbruch ihrer sonst starken Präsenz in den Sozialen Medien wahrgenommen zu haben. Die Bundes- und Landesführungen positionieren sich jetzt schon länger fundamental gegen die staatlichen Pandemiemaßnahmen. Ihr Jargon, inklusive Verschwörungsnarrativen und Fake News, unterscheidet sich kaum von der Rhetorik der „Querdenken“- und Coronaleugnungs-Bewegung. Im Bundestag als auch in Landtagen inszenieren sie sich durch Masken- und/oder Test-Verweigerung als die Repräsentat:innen der Bewegung. Nicht ohne Erfolg: Eine Umfrage im November offenbarte dass 50 Prozent der Nicht-Geimpften die AfD wählen würden.

AIB: Aus dieser Szene hat sich ja die Partei „Die Basis“ entwickelt. Wie schätzt Du deren Potential ein? Sie haben bundesweit zwar nur 1,4 Prozent der Zweitstimmen bekommen, sind aber in Teilen bereits in kommunalpolitische Parlamente eingezogen.

Speit: In Sachsen-Anhalt war ich am Abend der Landtagswahl bei der Wahlparty der „Die Basis“. Der Eindruck, der bei mir blieb, könnte eine Einschätzung sein. Bei der Wahl erreichten sie 1,5 Prozent. Die Stimmung war dennoch bestens - ohne Abstand und Masken, küssten und herzten sie sich. Der Tenor, den einer der Spitzenkandidat_innen, Alkje Fontes vermittelte: Sie stünden erst am Anfang und wären im Aufbruch. Diese Stimmung scheint noch immer zu motivieren. Trotz internen Streitereien. Seit der Bundestagswahl steht ihnen auch eine staatliche Teilfinanzierung von rund 768.000 Euro zu. Staatliches Geld für eine Partei der Verschwörungsnarrative und Holocaust-Relativierungen. So behauptete ihr Bundestagspitzenkandidat, Reiner Fuellmich, die Bundesregierung plane in der Pandemie „Schlimmeres“ als den Holocaust.  

AIB: Einen angemessenen Umgang mit den „Corona-Protesten“ zu finden fällt Anti­faschist_innen häufig schwer. Ein Problem dabei ist, dass trotz klarer fehlender Abgrenzung nach Rechts und vereinzelter Teilnahme von organisierten Rechten, die „Corona-Proteste“ keine klassische rechte Mobilisierung darstellen. Viel mehr ist ja quasi die „Mitte“ auf der Straße. Hast Du für die linke Praxis ein paar Tipps?

Speit: Also auf der Straße organisieren doch vor allem antifaschistische Initiativen die Gegenbewegung: Stellen sich quer, stabil und geimpft. Sicher, immer nur ein symbolischer Akt gegen diese Form der ‚rohen Bürgerlichkeit‘. Ohne Symbole und Parolen gibt es jedoch auch keine Konfrontation. Die Auseinandersetzung mit dieser Entkultivierung in der Mitte der Gesellschaft muss ebenso im Alltag geführt werden. Wir können ihr auch nicht ausweichen: schließlich sind diese Protestierenden und Impfverweigernden, Freunde, Familienmitglieder und Bekannte. Einzelne von ihnen haben auch mal gegen die AfD auf der Straße gestanden. Dass sie heute mit ihnen auf der Straße sind, muss ihnen um so deutlicher vorgehalten werden. Diese Bewegung denkt nicht quer, sie denkt egoistisch und unsolidarisch. Der Urlaub auf einem Biobauernhof in der Toskana ist kein Grundrecht.

Andreas Speit
"Verqueres Denken. Gefährliche
Weltbilder in alternativen Milieus"
Ch. Links Verlag, 240 Seiten
ISBN-10: 3962891595