Staatliche Kontrolle und Repression in Pandemiezeiten
Andreas BlechschmidtSeit dem globalen Ausbruch der COVID19-Pandemie sind auch in Deutschland einschneidende Maßnahmen zur Eindämmung getroffen worden. Im Folgenden sollen diese staatlichen Maßnahmen nicht im Hinblick auf ihre Sinn- und Zweckhaftigkeit für eine wirksame Pandemiebekämpfung beleuchtet werden. Es wird vielmehr um die Frage gehen, wie im Windschatten der Pandemie-Verordnungen staatliche Kontrolle und Repression ausgeübt wurden, von denen nicht nur die linke antifaschistische Bewegung betroffen war und ist.
Der Fokus soll dabei exemplarisch auf das Agieren der Hamburger Polizei seit dem Frühjahr 2020 gelegt werden, weil gerade hier das Zusammenspiel neoliberaler Rahmenbedingungen, politischer Machtausübung und der Polizei als repressiv-politischer Akteur darin nachgezeichnet werden kann. Dabei kann der Blick auf das Verhalten der Repressionsorgane als Brennglas für bundesweite Entwicklungen gelten: Dass, was lokal in Hamburg passiert, ist auch bundesweit wahrzunehmen.
Damit keine Missverständnisse aufkommen sei zunächst klargestellt: Die COVID19-Pandemie war und ist eine außerordentliche Bedrohung und staatliche Maßnahmen wie die der Kontaktbeschränkungen, der Einführung von Abstandsregeln und der Tragepflicht von Mund-Nasen-Schutzmasken waren notwendig und verhältnismäßig. Dem Grunde nach waren ebenso die Lockdowns vernünftig, auch wenn hier bereits die staatliche Weigerung, wirklich alle Arbeiternehmer*innen an ihren Arbeitsplätzen konsequent zu schützen, ein Tribut an die kapitalistischen Verwertungsinteressen der Wirtschaft darstellten.
Das polizeiliche Handeln in Hamburg seit dem Beginn der Pandemie war geprägt von einem restriktiven Handlungsnormativ, das zum einen einseitig das Recht auf Versammlungsfreiheit linker Gruppen beschnitt, während Coronaleugner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen demgegenüber quasi unbehelligt von Eingriffen in deren Versammlungen blieben, obwohl dort offensiv Abstandsregeln und die Maskenpflicht ignoriert wurden.
Zum anderen wurden Verbots- und Restriktionszonen im öffentlichen Raum definiert, die sich primär gegen Jugendliche und jung erwachsene Menschen richteten, die bereits in der Vergangenheit als „delinquent“ stigmatisiert von polizeilichen Kontrollen überzogen wurden. Zudem wurden antipandemische Maßnahmen zum willkommenen Vorwand, die zuvor nicht kontrollierbare subversive Raumnahmen wie das „Cornern“ im Freien durch diese Verbots- und Restriktionszonen einzudämmen.
All diese polizeilichen Maßnahmen waren schon deshalb fragwürdig, weil sie sich sowohl gegen die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit als auch gegen soziales und kommunikatives Verhalten wandten, die beide im Freien wesentlich geringere Ansteckungsrisiken bargen, als z.B. Spreaderevents in geschlossenen Räumen bzw. kommerziellen Bars und Clubs oder der Aufenthalt an Arbeitsplätzen und in Schulen.
Um das polizeiliche Agieren in der Coronapandemie einzuordnen, müssen die politischen Kontinuitäten dieses Handelns umrissen werden. Städtische Räume sind seit der in den 1970er Jahren initiierten Transformation des Fordismus hin zum neoliberalen Regime zu einem Schauplatz eines rasanten ökonomisch-sozialen Wandels geworden. Diesen Wandel fasst der Humangeograf und Sozialtheoretiker David Harvey so zusammenfassen: „Die traditionelle Stadt ist von der zügellosen kapitalistischen Entwicklung zerstört worden, sie ist dem endlosen Bedürfnis, überakkumuliertes Kapital zu investieren, zum Opfer gefallen, so dass wir uns auf ein endlos wucherndes urbanes Wachstum zubewegen, das keine Rücksicht auf die sozialen, ökologischen oder politischen Konsequenzen nimmt.“ Alle Senate in Hamburg haben diese Logik staatlich verwalteter neoliberaler Deregulation, als Folge eines Konzeptes des europaweiten Wettbewerbs unternehmerischer Stadtpolitik zuverlässig verinnerlicht.
Passenderweise wird dieser Prozess seit Jahren durch eine öffentliche Stimmungsmache begleitet, die nicht Arbeitslosigkeit, Armut und Obdachlosigkeit bekämpft, sondern Arbeitslose, Arme und Obdachlose sowie Flüchtlinge. Parallel wird die Privatisierung öffentlicher Räume zu Konsum- und Investitionszonen durch ein rigides Kontroll- und Ausschlussregime der Polizei, Ordnungsbehörden und privater Sicherheitsdienste gegenüber unerwünschten und vermeintlich störenden Personen abgesichert.
Dazu werden unterschiedliche populistische stigmatisierende Ablenkungsdiskurse initiiert wie z.B. die Beschwörung eines angeblichen Missbrauchs von Transferleistungen oder des Asylrechts und das Schüren der Kriminalitätsfurcht und damit „Abfuhrobjekte“ für die durch staatliche Deregulation ausgelösten Unsicherheiten angeboten. In Hamburg wurden in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang immer wieder Treffpunkte von Jugendlichen als Problemorte und gefährliche Zonen markiert. Mal wurde eine Gefahrenzone im beschaulichen Vorort Hamburg-Volksdorf aufgespürt, mal in Hamburg-Altona und regelmäßig in der Innenstadt. Stigmatisierende und alarmistische Presseberichte begleiteten diese Polizeimaßnahmen. Dabei handelte es sich um ein soziales Konstrukt, denn die zumeist genannten „Probleme“ bewegten sich weit im Vorfeld von Ordnungswidrigkeiten oder gar strafbarer Handlungen.
Eigentlich straffreie Verhaltensweisen im öffentlichen Raum wie der Konsum von Alkohol und das damit verbundene kollektive „Abhängen“ an Treffpunkten, wurde zum Anlass für polizeiliches Einschreiten. Rechtlich legitimiert wurde dieses polizeiliche Kontrollregime seit 2005 durch die Einführung so genannter „Gefahrengebiete“. Die Polizei konnte anlasslos Personen überprüfen, Platzverweise, Ingewahrsamnahmen und sogar längerfristige Aufenthaltsverbote aussprechen. Damit wurde ein Ausnahmerecht geschaffen, das die in der Strafprozessordnung festgelegten Begrenzungen der Eingriffsrechte der Polizei aushebelte. Nach massiver Kritik wurde dieses Instrument 2016 in Hamburg zwar abgeschafft, aber mit einem veränderten Konstrukt der „gefährlichen Orte“ etwas abgemildert faktisch erneut eingeführt.
Seit März 2020 hat die Polizei in Hamburg auf dieses erprobte Arsenal unter dem Label „Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus“ zurückgreifen können. Es wurde gegen Treffen Jugendlicher in verschiedenen Hamburger Parkanlagen teilweise mit dem Einsatz von Zwangsmitteln vorgegangen. In den Ausgehvierteln wurden (temporäre) Alkoholverbotszonen eingerichtet um das „Cornern“ im Freien zu unterbinden. Diese Verbotszonen erlaubten aber absurderweise den Ausschank von Alkohol in kommerziellen Bars und Clubs bzw. Restaurants. An Orten also, in denen das Infektionsrisiko ungleich höher war als im Freien.
Der Umgang mit Versammlungen durch die zuständige Polizeibehörde machte ebenfalls unübersehbar, dass neben der vorgeblichen Eindämmung der Pandemie durch Kontaktvermeidung und Abstandsregeln das Versammlungsrecht gegenüber linken und antifaschistischen Aufzügen und Kundgebungen vor allem einer politischen Agenda folgte. Das Verhalten der Hamburger Versammlungsbehörde entsprach dabei wesentlich der bundesweiten Praxis: Während linke Versammlungen, wenn nicht verboten, so doch mit kleinteiligsten und restriktiven Auflagen überzogen wurden, konnten die „Proteste“ von „Querdenker*innen“ im Bunde mit organisierten Rechten mit größter Nachsicht rechnen. Gegenüber linken antifaschistischen Mobilisierungen sorgte die ungebrochen wirksame polizeiliche Feindbilderklärung für die „übliche“ versammlungsfeindliche und mit entsprechender Gewalt begleitete Haltung der Polizeikräfte. Besonders eindrücklich zeigte sich diese polizeiliche Haltung beim Aufeinandertreffen von „Querdenker*innen“-Aufzügen auf antifaschistische Gegenproteste. Da räumten Polizeieinheiten Hunderten von Coronaleugner*innen ohne Masken und Abstände auf teilweise ausdrücklich zuvor gerichtlich verbotenen Aufzügen mit polizeilichen Zwangsmitteln als Spontanversammlung geduldet den Weg frei.
Zu resümieren bleibt: Auch während der COVID19-Pandemie hat der Repressionsapparat sein manifestes Feinbild gegen Links kreativ mit den Möglichkeiten von Eindämmungsverordnungen weiter pflegen können. Also alles wie gehabt.