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Queer im „Dritten Reich“

Einleitung

Ein einheitliches Vorgehen des NS-Staates gegen queere Gruppen hat es nicht gegeben, allerdings ist die Forschungslage an vielen Stellen noch lückenhaft.

queer im 3 Reich
(Bild: "Copyright: Public Domain"; USHMM)

Von der NSDAP organisiert marschieren Studenten 1933 vor dem Gebäude des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin auf.

Den Begriff „Queer“ hat es während des Nationalsozialismus nicht gegeben – wohl aber die Menschen, die sich heute unter diesem oder dem Begriff LSBTIQ* wiederfinden würden. Jedoch waren die Verfolgungsmechanismen gegen von der heterosexuellen Norm abweichende Personen unterschiedlich. Menschen, die sich heute als Queer bezeichnen würden, hatten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine kollektive Identität, diese kam erst ab den 1970er Jahren mit den neuen Bürgerrechtsbewegungen und Identitätskonzepten auf. Ein einheitliches Vorgehen des NS-Staates gegen queere Gruppen hat es also nicht gegeben, allerdings ist die Forschungslage an vielen Stellen noch lückenhaft.

Verfolgung homosexueller Männer

Der Paragraf 175 „Die widernatürliche Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechts“ wurde nicht durch die Nazis eingeführt, sondern existierte bereits seit 1872 und wurde tatsächlich erst 1994 offiziell aufgehoben. Während der Paragraf in der Weimarer Republik relativ wenig zur Anwendung kam, sahen die Nationalsozialisten homosexuelle Männer als Bedrohung des „Volkskörpers“ an. Hitler selbst hatte lange Zeit kein Problem damit, dass die Sturmabteilung (SA) der NSDAP von Ernst Röhm, einem homosexuellen Mann, geführt wurde – solange diese ihm beim Aufstieg zur Macht hilfreich war. Gleichzeitig nutzte er diese bereits seit Jahren bekannte Tatsache ohne Skrupel aus, als es um die Zerschlagung und Verunglimpfung der SA-Führung ab 1934 ging.

Sexualität war im „Dritten Reich“ keine Privatangelegenheit, sondern eine Sache des „Lebens und Sterbens des Volkes“, wie SS-Führer Heinrich Himmler betonte. Die Verfolgung und Bestrafung nach Paragraf 175 wurde intensiviert. Razzien, Überwachung und das Schließen von bekannten Treffpunkten waren die Folgen. Parks, Bars und Toiletten wurden überwacht, um Männern, denen durch die Schließung von eigenen Treffpunkten viele Möglichkeiten genommen waren andere Männer kennenzulernen, in flagranti zu ertappen. 1935 wurde der Paragraf deutlich verschärft. Schon das bloße Anschauen und einfache Berühren konnten seitdem für eine Gefängnisstrafe ausreichen. Außerdem wurde der Strafrahmen deutlich erhöht: Bis zu zehn Jahre Zuchthaus konnten verhängt werden. Ab 1940 wurden immer häufiger männliche Homosexuelle statt oder nach einer Gefängnisstrafe von der Polizei in „Schutzhaft“ genommen – also in einem Konzentrationslager inhaftiert.

Die Verfolgung Homosexueller wurde mal durch die Gestapo, mal durch die Kriminalpolizei durchgeführt, was zeigt, dass auch im „Dritten Reich“ die Ansichten wechselten, ob es sich bei der Beziehung zwischen Männern um eine politische Straftat, oder um ein „gewöhnliches“ kriminelles Vergehen handelte. Circa 50.000 Männer wurden aufgrund des Paragraf 175 in Gefängnissen inhaftiert. Schätzungsweise 6.000 bis 10.000 Homosexuelle kamen in ein Konzentrationslager, wo sie mit einem rosa Winkel gekennzeichnet wurden und besonders harten Drangsalierungen bis hin zur Ermordung ausgesetzt waren.

Verfolgung lesbischer Frauen

Der Paragraf 175 nannte explizit nur das „Männliche Geschlecht“ – Frauen wurden hingegen, anders als z.B. in Österreich, nicht erwähnt. Damit standen sexuelle Kontakte zwischen Frauen nicht im Fokus. Solange lesbische Sexualität „privat“, also unauffällig, blieb, wurde sie geduldet. Der Leiter der 1936 gegründeten „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“  urteilte, dass bei „lesbischer Liebe [...] die Gefahr für den Bestand des Volkes absolut nicht so groß [sei] wie bei den Homosexuellen“, die für ihn Staatsfeinde darstellten. Da Frauen im „Dritten Reich“ generell nur eine untergeordnete Rolle zugewiesen bekamen und aus allen wichtigen Führungspositionen verdrängt wurden, galt auch lesbische Sexualität als vernachlässigenswert.

Dennoch waren lesbische Frauen dazu gezwungen, sich unauffällig zu verhalten und heterosexuelle „Normalität“ nach außen darzustellen. Zwar gab es keine explizite Verfolgung nach Paragraf 175 – aber ein Anfangsverdacht konnte dazu führen, dass die Polizei andere „Gründe“ der Verfolgung fand: „Asozialität“, „jüdische Rasse“, Kontakt zu Juden, politische Opposition.

Die Verfolgung von Queers jenseits der Homosexualität

Die Details der Verfolgung anderer Gruppen, die sich heute womöglich als Queer bezeichnen würden, sind bis heute kaum erforscht. Das bekannteste Symbol für frühe queere Themen war das Institut für Sexualwissenschaften in Berlin. Im Bezirk Tiergarten 1919 vom Arzt Magnus Hirschfeld gegründet, war es bald weltweit bekannt. Hirschfeld hatte sich schon im Kaiserreich für die Abschaffung des Paragraf 175 eingesetzt und war über zwei Jahrzehnte Herausgeber des „Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen“. Er prägte den Begriff „Tranvestitismus“ für Menschen, die Kleidung des anderen Geschlechts trugen. Das Institut war Anlaufstelle für all jene, die sich jenseits der traditionellen Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität fühlten. Mit Büchern, Beratung, Vorträgen und Gutachten ging das Institut in die Öffentlichkeit. Als Arzt stellte Magnus Hirschfeld auch Bescheinigungen („Transvestitenscheine“) aus, welche deren Besitzer, zumindest teilweise, vor Verhaftungen bei Kontrollen wegen „Grobem Unfug“ schützen sollten.

Obwohl trans-Personen sowohl in der Weimarer Republik als auch im „Dritten Reich“ oft automatisch als homosexuell angesehen wurden, gab es keine systematische Verfolgung von „Transvestismus“ im NS. Auch Erlasse, Gesetze oder Richtlinienüber den besonderen Umgang mit „Transvestismus“ sind nicht bekannt. Selbst „Transvestitenscheine“ wurden in Einzelfällen neu ausgegeben. Wohl aber standen diese unter dem Dauerverdacht, homosexuell zu sein und mussten alles tun, um nicht wegen Paragraf 175 angezeigt zu werden. Der willkürlichen Behandlung durch Polizei und Gesellschaft war damit Tür und Tor geöffnet.

Magnus Hirschfeld war schon vorher regelmäßig bedroht und überfallen worden und musste ab 1930 im Ausland leben. Das Institut für Sexualwissenschaften überlebte den Machtantritt der Nationalsozialisten nur wenige Monate. Bereits am 6. Mai 1933 wurde das Institut durch NS-Studenten und die SA geplündert. Die Bibliothek bildete den Grundstock für die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 im Zentrum Berlins. Am 14. Juni wurde das Institut endgültig geschlossen.

Ob es medizinische Bevormundung und Ausgrenzung intersexueller Menschen im NS gegeben hat ist bislang unbekannt. Eine systematische Ausgrenzung und Verfolgung lässt sich über Quellen bislang nicht belegen. Wahrscheinlich ist jedoch, dass trans-Personen ins Visier von Gutachtern der Erbgesundheitsgerichte kommen konnten und daher in der ständigen Gefahr leben mussten, zwangssterilisiert zu werden.

Literatur:
• Michael Schwartz (Hrsg.): Homosexuelle im Nationalsozialismus. Neue Forschungsperspektiven zu Lebenssituationen von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen 1933 bis 1945; Oldenbourg 2014.
• Ilse Reiter-Zatloukal: Geschlechtswechsel unter der NS-Herrschaft. Transvestitismus“, Namensänderung und Personenstandskorrektur incder „Ostmark“ am Beispiel der Fälle Mathilde/Mathias Robert S. und Emma/Emil Rudolf K..
https://arolsen-archives.org/ueber-uns/standpunkte/die-ns-verfolgung-qu…