Machtkritische Bildung und Prozessbegleitung für politische Gruppen
Gründer:innen des Projektes (Gastbeitrag)Über die Gründung eines Fördertopfes für machtkritische Bildung und Prozessbegleitung von politischen Gruppen.
Unser Leben als Aktivist:innen unterliegt einem permanenten Handlungsdruck. Wir versuchen eigene politische Akzente zu setzen, während wir parallel ständig auf Ereignisse und Angriffe reagieren müssen. Dabei reproduzieren wir - entgegen unseren eigenen Ansprüchen - eine Leistungs- und Ergebnisfixiertheit. Konfliktlinien innerhalb unserer Zusammenhänge werden oft viel zu spät oder auch gar nicht erkannt. Es wird Priorität auf produktiven und sichtbaren Aktivismus gelegt und das Politische wird in Aktionen, dem gemeinsamen Ausdruck nach außen gesehen und nicht im Zwischenmenschlichen.
Doch Angriffe finden nicht nur von außen sondern auch innerhalb unserer Strukturen auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlicher Intensität statt. Oft mangelt es an politischem Bewusstsein und einer Analysefähigkeit bzgl. dem politischen Charakter von Haltungen und Handlungen. Aufgrund von Ignoranz oder individuellen Interessenlagen wird z.B. sexistisches, transfeindliches oder rassistisches Verhalten in eigenen Zusammenhängen geduldet, nicht hinterfragt und somit normalisiert. Wird allerdings ein politischer Charakter wahrgenommen, fehlt es an Werkzeugen oder Selbstvertrauen einen Umgang mit der Situation zu finden. Es wird selten erkannt was es braucht, um einen kollektiven und verantwortungsvollen Umgang zu finden, der mit unseren Idealen übereinstimmt.
Wir wollen unseren eigenen politischen Ansprüchen gerecht werden und unsere Theorie auch im Alltag in eine konkrete Praxis umsetzen. Genauso wollen und müssen wir arbeitsfähig bleiben. Mit jedem gegen die Wand gefahrenen Konflikt machen wir uns die nächsten Schritte schwerer. Frustration über falsch oder nicht ausgetragene Konflikte in unseren Kreisen und Gruppen beraubt uns der Kraft, woanders für Schönes, Kraft- und Sinnvolles zu kämpfen. Auf dem Weg verlieren wir uns selbst oder andere Gefährt:innen durch den Schaden und die Frustration, die wir mitverantworten.
Wir plädieren für das Erlernen einer neuen Analysefähigkeit bezüglich der Auswirkungen gesellschaftlicher Machtverhältnisse innerhalb unserer Zusammenhänge. Wir denken, dass es eine neue Konfliktkultur und eine Umstrukturierung im Sinne eines nachhaltigen politischen Handelns braucht, das alle Bereiche unseres Lebens mit einbezieht. Deshalb haben wir den „Fördertopf für machtkritische Bildung und Prozessbegleitung von politischen Gruppen“ gegründet.
Der Fördertopf
Wir sind der Überzeugung, dass herrschaftskritische Zusammenhänge ein verändertes Verständnis von und neue Umgangsformen mit Diskriminierung und Gewalt innerhalb der eigenen Strukturen brauchen. Die Auseinandersetzung mit „Gewalt“ – jenseits von staatlichen oder institutionalisierten Gewaltbegriffen- ist dabei elementar. Genauso wie ein konstruktiver Umgang mit Kritik, Fehlern und Konflikten.
Es braucht mehr Praxis kollektiver (Selbst-)Reflexion, um Unterschiede besprechbar und Widersprüche aushaltbar zu machen und so Spaltungen und Desillusionierung entgegenzuwirken. Oft ist es Gruppen nicht möglich eigene Machtdynamiken aus sich heraus zu reflektieren und zu durchbrechen. Externe, machtkritische Bildung und Prozessbegleitung kann dabei unterstützen.
Es gibt diverse linke Kollektive, die eine solche Unterstützung anbieten. Da es aus dem Selbstanspruch der Kollektive heraus nicht an der Finanzierung scheitern soll, oft gegen Spende oder umsonst. Darin spiegelt sich der patriarchale Charakter der Arbeitsverteilung innerhalb unserer Szene wieder: Die Arbeit wird häufig von FLINTA*s verrichtet, wobei es sich um kaum sichtbare und prozesshafte Arbeit handelt, die wenig sichtbaren Output generiert. Wir wollen, dass herrschaftskritische Gruppen die Möglichkeit haben, sich in reflexiven Gruppenprozessen begleiten zu lassen. Für sie soll Geld nicht die Hürde sein, während die Kollektive für die konkrete Arbeit auch entlohnt werden sollen.
Deshalb bieten wir mit dem spendenbasierten Fördertopf eine (Mit-)Finanzierung an. Ziel ist eine machtkritische Sensibilisierung der Szene zu unterstützen. Es soll verhindert werden, dass Menschen, die von Diskriminierung und struktureller Gewalt betroffen sind und konkrete Gewalterfahrungen (in ihren Gruppen) machen, aus ihren Zusammenhängen fallen. Eine gemeinschaftliche Reflexion von Machtdynamiken ist dabei unerlässlich. Problematisches individuelles und kollektives Verhalten soll verhindert bzw. aufgearbeitet und verändert werden. Strukturelle Themen sollen entindividualisiert werden. Lernen und Wiedergutmachen sollen ermöglicht werden. Zudem sollen sich Kompetenzen zur Konfliktprävention und Bewältigung in der Szene verbreiten. Wir möchten, dass Gruppen selbst befähigt werden, indem sie konkrete Tools lernen und weitergeben können.
Was ist ein Konflikt?
In einem Konflikt sehen die meisten Menschen eine (scheinbare) Unvereinbarkeit zwischen zwei oder mehr Parteien, in der sich mindestens eine Partei durch Handlung oder Nicht-Handlung anderer Parteien gestört oder verletzt fühlt. Wenn wir genauer hinschauen, bedeutet „einen Konflikt haben“ aber nicht immer für alle Menschen das Gleiche. Für manche bedeutet ein Konflikt ein offener Streit, für andere äußert sich ein Konflikt in spitzen Kommentaren oder fiesen Nachfragen. Für wieder andere Menschen zeigt sich ein Konflikt in eigenen Unsicherheiten und Ängsten oder in einem „sich rausziehen“ oder resignieren. Konflikte können also sehr laut sein, sich aber auch subtil und leise äußern.
Unter den sichtbaren- und unmittelbar spürbaren Elementen eines Konflikts liegen oft Interessen, Wünsche und Bedürfnisse, die erst mal an der Oberfläche nicht sichtbar sind, aber im Hintergrund eine wichtige Rolle spielen. Störende Gruppendynamiken sind dabei nicht immer klar auf einzelne/eingrenzbare Konflikte zurückzuführen. Beispielsweise kann es sein, dass immer wieder Leute mit ähnlichem Background aus einer Gruppe aussteigen, oder ein grundsätzlich angespanntes Klima herrscht, ohne dass genau benannt werden kann, woher dieses kommt.
Woran erkenne ich, dass wir Begleitung brauchen?
Generell gilt: Je früher Konflikte bearbeitet werden, desto mehr Ressourcen können geschont und umso mehr Schaden kann vermieden werden. Es ist sinnvoll sich selbst und die Gruppe zu beobachten und frühzeitig auf Anzeichen zu achten. Typische Signale sind zum Beispiel: Angespannte Stimmung, Gefühle von Überlastung und Überforderung. Das Gefühl nicht gehört zu werden, sich beweisen zu müssen oder das Treffen immer wieder mit Gefühlen wie Erschöpfung, Wut, Traurigkeit zu verlassen. Das kann dazu führen, dass Menschen Treffen fernbleiben oder große Fluktuation in Gruppen herrscht.
Es kann auch sein, dass es regelmäßig bei bestimmten Themen eskaliert oder diese Themen bewusst gar nicht mehr angesprochen werden. Es gibt innerhalb politischer Gruppen oft den eigentlich sinnvollen Anspruch, Dinge selbst regeln zu wollen. Allerdings ist es im Umgang mit Konflikten wichtig, die dabei eintretenden eigenen Ausreden zu erkennen und potentielle Vermeidungsstrategien als solche zu erkennen.
Warum externe Begleitung?
Eine Begleitung kann dabei helfen, gemeinsam herauszufinden, welche Gruppendynamiken bestimmten Stimmungen und Entwicklungen zugrunde liegen. Es können Konfliktlinien und dahinter liegende Interessen, Wünsche und Bedürfnisse an die Oberfläche geholt und damit besprechbar gemacht werden. Durch den Blick von außen wird ermöglicht, festgefahrene Routinen und Muster aufzuzeigen und versteckte Hierarchien und übersehene Themen sichtbar zu machen. So kann auch ungehörten Stimmen ein Raum gegeben werden. Aus den Erfahrungen mit anderen Gruppen kann eine externe Begleitung ähnliche Muster erkennen und Werkzeuge an die Hand geben, um gemeinsame Lösungen zu entwickeln.
Es gibt verschiedene Methoden der Begleitung, die je nach Ausgangslage sinnvoll sind. So können Gruppen beispielsweise moderiert, mediiert oder auch einfach theoretisch gebildet werden. Wir sehen in dem Erlernen eines konstruktiven Umgangs mit Konflikten einen Weg dem „Guten Leben für alle“ etwas näher zu kommen.
Wie funktioniert der Fördertopf?
Gefördert wird Bildung und Prozessbegleitung für kollektive, machtkritische Sensibilisierung von politischen Gruppen. Hierbei ist es egal, ob dies präventiv oder anlassbezogen stattfindet. Wir unterstützen sowohl bestehende Gruppen als auch Gruppen, die sich explizit für einen bestimmten Prozess zusammengefunden haben. Voraussetzung ist, dass die Finanzmittel der anfragenden und zu begleitenden Gruppe begrenzt sind und die Gruppe einen politischen Zweck verfolgt.
Mehr Informationen findet ihr unter: prozessbegleitungfoerdertopf.wordpress.com