1993: Deutschland macht seine Grenzen dicht
Seit Januar 1993 werden wöchentlich Roma vom Berliner Flughafen Schönefeld nach Rumänien abgeschoben. Dieses geschieht auf Grund des am 1. November 1992 zwischen Deutschland und Rumänien verabschiedeten Abkommens "über die Rücknahme von sich illegal in Deutschland aufhaltenden rumänischen Staatsbürgern". Als "illegal" gelten hierbei diejenigen, die ohne Ausweis in die BRD eingereist sind. Dies betrifft circa 40 000 in der BRD lebende Roma-Flüchtlinge.
In den Monaten Januar bis April 1993 wurden bereits 8000 Roma abgeschoben, 90 Prozent von ihnen wurden beim Überqueren der Oder-Neiße-Grenze abgefangen und, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Asylantrag zu stellen, zum Flughafen Schönefeld gefahren, von wo aus sie sofort nach Rumänien zurückgeflogen wurden. Mit dieser Vorgehensweise wendet der deutsche Staat bereits den veränderten Artikel 16 an, obwohl dieser noch nicht verabschiedet ist.
In Rumänien angekommen, werden die Männer sofort wegen illegaler Ausreise verhaftet. Dieses wissend und auch wissend, daß es in Rumänien immer wieder zu Pogromen kommt, bei denen Roma-Siedlungen bereits angesteckt und Menschen umgebracht worden sind, spricht der deutsche Staat nach wie vor davon, daß die Roma in Rumänien nicht verfolgt werden. Die bisherigen Geschehnisse werden auf den rebellierenden Mob geschoben, mit dem die Regierung angeblich nichts zu tun hat. Gleichzeitig ist jedoch in der rumänischen Presse und im Fernsehen, beides in der Hand der Regierung, zu lesen und zu sehen, wie öffentlich zum Haß gegen die Roma aufgerufen wird und wie sie zu Sündenböcken für die rumänische Mißwirtschaft und die soziale Armut gemacht werden. Dafür, daß Rumänien die Roma "zurücknimmt", zahlt die BRD 30 Millionen DM, die jedoch, nach Auskunft eines Vertreters der Roma-Jugend in Bukarest, nicht etwa für die Unterstützung der Roma, sondern für die Unterstützung von in Rumänien lebenden „Volksdeutschen“ verwendet wird.
Bislang ist es in der BRD zu fast keinen öffentlichen Protestaktionen gegen die Abschiebungen gekommen. Die Gruppe "SOS- Rassismus" rief wenige Male zu Aktionen am Flughafen Schönefeld auf, es kamen jedoch nie mehr als circa 30 Personen, die auch vom massiv auftretenden Bundesgrenzschutz schnell gezwungen wurden, das Flughafengelände wieder zu verlassen. Die Deportation der Roma ist aber nur ein Beispiel für eine Reihe von Maßnahmen, die die BRD einsetzt, um hier lebende ImmigrantInnen und Flüchtlinge des Landes zu verweisen und die Grenzen für Nicht-Deutsche zu schließen. Als weitere Beispiele müssen hier das neue Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz und die Veränderung des Artikel 16 des Grundgesetzes genannt werden.
Das Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz
Das Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz, das offiziell seit dem 1. Juli 1992 in Kraft ist, umfaßt zwei Maßnamen:
1. Das Asylverfahren wird von bisher zwei Jahren auf sechs Wochen verkürzt, wobei es nur einmal zu einer Anhörung der Flüchtlinge kommt, die in den ersten zwei Wochen stattfinden muß. Bei dieser Anhörung müssen die Flüchtlinge alle Fakten nennen, die für ihre Anerkennung als Flüchtling von Bedeutung sind. Alles, was zu einem späteren Zeitpunkt gesagt wird, spielt bei der Entscheidung über ihren Asylantrag keine Rolle mehr. Eine unmenschliche Bestimmung, wenn man weiß, daß z.B. Folter- oder Vergewaltigungsopfer oft erst nach mehreren Anläufen über die Verbrechen, die an ihnen begangen wurden, sprechen können.
2. Das neue Gesetz sieht die Unterbringung in "Gemeinschaftsunterkünften" vor, die die Außenstellen der Anerkennungsstelle für ausländische Flüchtlinge in Zirndorf und direkt dem Innenministerium unterstellt sind. Der Begriff "Gemeinschaftsunterkunft" ist dabei mehr als verklärend, denn in diesen Lagern müssen mindestens 500 Menschen auf engstem Raum, von Stacheldraht umgeben und von Wachschutz und Polizei bewacht, leben. Abgeschirmt von der Außenwelt sind sie den Entscheidungen des jeweiligen lagereigenen Verwaltungsrichters ausgesetzt, denn außer offiziellen Personen (Richter etc.) dürfen andere, z.B. Flüchtlingshilfsorganisationen, das Gelände nicht betreten. Praktisch wird das Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz seit dem 1. April 1993 vollzogen, da jetzt die 46 "Gemeinschaftsunterkünfte" fertiggestellt worden sind. In Berlin ist die neue Außenstelle von Zirndorf in Spandau in der Streitstraße, wohin nun die zentrale Aufnahmestelle von Hohenschönhausen umziehen wird. Mit diesen "Gemeinschaftsunterkünften" hat der Staat Internierungslager geschaffen, die dafür prädestiniert sind, den Haß der Rassisten auf sich zu ziehen.
Die Veränderung des Artikel 16
Schon mit dem Ausländergesetz von 1991 wurde es Flüchtlingen aus Asien und Afrika fast unmöglich gemacht, über den Luftweg in die BRD einzureisen, da sie ab diesem Zeitpunkt an den Flughäfen nur noch mit gültigem Paß und Ausweis akzeptiert wurden. Das ist mehr als zynisch, da es für Menschen, die aus ihrem Heimatland fliehen, sehr schwierig ist, einen Paß oder ein Visum zu erhalten. Dafür müßten sie zu öffentliche Behörden, wo sie die Gefahr eingingen, verhaftet zu werden.
Seit dem Mauerfall und dem Zerfall der ehemals sozialistischen Länder kommen nun aber 90 Prozent der Flüchtlinge auf dem Landweg aus den Balkanländern und den GUS-Staaten, was für die deutsche Regierung hieß, daß sie sich etwas neues ausdenken mußte, um diese Menschen von der BRD fernzuhalten. Der sogenannte "Asylkompromiß" von SPD/FDP/CDU/CSU ist nun das Ergebnis. Wobei der Kompromiß darin liegt, daß man das macht, was die CDU/CSU sowieso schon immer wollte.
Nach dem "Asylkompromiß" soll der veränderte Artikel 16 (dann 16a) beinhalten, daß zwar das individuelle Recht auf Asyl und die Rechtsweggarantie bestehen bleiben – aber: Es kommen erst gar keine Flüchtlinge mehr rein ins Land. Das wird dadurch erreicht, daß der Artikel 16a besagt, daß alle Flüchtlinge bereits an der Grenze abgeschoben werden können, die aus sicheren Drittländern kommen, wozu man selbstverständlich alle Nachbarstaaten der BRD erklärt hat. Flüchtlinge können also nur noch in die BRD einreisen, wenn sie mit einem Direktflug und mit gültigem Ausweis und Visum aus ihrem Heimatland kommen. Dieses ist für die Flüchtlinge kaum möglich, da sie auf ihren Heimatflughäfen sofort verhaftet werden. Es bleibt damit eigentlich nur noch der Schiffsweg, aber der ist bekanntlich zum Erreichen der BRD aus geographischen Gründen etwas schwierig.
Da Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Art.16a als Bürgerkriegsflüchtlinge außerhalb des Asylverfahrens behandelt werden und bleiben dürfen, wird das neue Gesetz hauptsächlich Menschen aus Rumänien und Bulgarien, darunter überdurchschnittlich viele Roma, und Menschen aus den GUS-Staaten betreffen. Um die Flüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien bereits an der Grenze abzufangen, sind an der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik, beides sogenannte sichere Drittstaaten, Radaranlagen errichtet worden. Darüber hinaus ist man dabei, einen Hilfsgrenzschutz zusammenzustellen, von denen einige Mitglieder von Zeitung "Der Tagesspiegel" bereits als äußerst rassistisch entlarvt wurden.
Polen und die Tschechische Republik, die dann verpflichtet sind, die Flüchtlinge aufzunehmen, haben jedoch keine Infrastruktur für diese Menschen und werden daher ihrerseits versuchen, die Flüchtlinge gar nicht erst in ihr Land zu lassen und werden "Mauern" an ihren Ostgrenzen errichten. Polen hat bereits die Visumspflicht für die GUS-Staaten eingeführt und diskutiert ebenfalls die Installation von Radaranlagen. Die Tschechische Republik schließt die Grenzen zur Slowakei, ein Staat, der noch bis zum 1. Januar 1993 Teil der CSFR war. Die jeweils im Osten sich anschließenden Staaten werden ähnlich reagieren, so daß die Flüchtlinge am Schluß wieder in dem Land sind, aus dem sie geflohen sind.
Der deutsche UN-Flüchtlingskommissar, Walter Koisser, hat die Art der drohenden Kettenabschiebung bereits als Verstoß gegen das Völkerrecht bezeichnet und nannte es beschämend, daß nun nicht mehr der Fluchtgrund, sondern nur noch der Fluchtweg für die mögliche Anerkennung als Flüchtling relevant ist. Dagegen gibt es ein Abkommen zwischen der BRD und Polen und der BRD und der CR, nach dem beiden Ländern Geld für die abgeschobenen Flüchtlinge und die "Altlasten" (so wird hier über Menschen gesprochen) erhalten. Wie weit das Abkommen über die "Rücknahme" von Flüchtlingen rückwirkend ist, ist noch unklar. Im Gespräch ist, daß es nur auf Flüchtlinge angewendet werden kann, die in den letzten drei Monaten in die BRD gekommen sind. Die Forderung der angrenzenden Staaten, mit den Abschiebungen erst nach Verabschiedung des Artikel 16a zu beginnen, wurde nicht berücksichtigt.
Die Frage, die sich hier stellt, ist: Warum lassen sich Polen und die CR von der BRD so unter Druck setzen? Die Antwort darauf lautet, daß beiden Ländern versprochen wurde, daß die BRD sich dafür einsetzen werde, daß Polen und die Tschechische Republik in die NATO und die EG aufgenommen werden. Die Aufnahme in die EG würde für beide Länder den Niedergang der jeweiligen Wirtschaft bedeuten, da sie innerhalb der EG nicht konkurrenzfähig wären. Mit der EG-Mitgliedschaft kann sich daher für Polen und die Tschechische Republik nur die Hoffnung auf langfristige Gelder verbinden. Was die NATO-Mitgliedschaft anbelangt, ist es fraglich, ob die NATO im momentanen Zustand die GUS-Staaten damit verärgern will, daß man ihnen NATO-Truppen direkt an ihre Grenzen setzt. Wahrscheinlicher ist, daß man sich z.Zt. außenpolitisch nicht in Gegnerschaft mit den GUS-Staaten setzten will.
Neben den rassistischen und menschenverachtenden Inhalten des Veränderten Artikel 16 macht die gesamte Veränderung der Asylgesetzgebung und die damit im Zusammenhang stehenden außenpolitischen Verhandlungen deutlich, daß die BRD auf dem Weg ist, eine international zunehmend stärke politische Macht zu werden, der sich die kleinen europäischen Staaten unterzuordnen haben.
Aus der Bundestagsdebatte zur ersten Beratung des von CDU/CSU, FDP und SPD gemeinsam eingebrachten Entwurfs zur Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes.:
"Das hat nichts mit Anpassung, mit Koalitionsüberlegungen und was da sonst so alles vermutet wird, zu tun. Es geht einzig und allein darum, daß die Opposition die ihr beschränkten Mitgestaltungsmöglichkeiten nutzt, um ihren Vorstellungen entsprechend gemeinwohlorientiert zu arbeiten." (Hans-Ulrich Klose, SPD)
"Wie soll das nötige Vertrauensverhälfnis zwischen der Mehrzahl der Ankömmlinge und uns entstehen, wenn die erste Begegnung mit einer falschen Behauptung, nämlich der, politisch verfolgt zu sein, beginnt?" (Jörg van Essen, FDP)
"... eines der dringensten Probleme der Innenpolitik ..." (Innenmirnster Rudolf Seiters, CDU)
"Jahrelang sind diejenigen ... die eine Grundgesetzänderung als Voraussetzung für gerechtere und effizienters Asylverfahren forderten, als Hetzer oder gar Ausländerfeinde beschimpft worden. Ich hoffe, ... daß das endlich vorbei ist. Ansonsten wüßten sich alle, die den Asylkompromiß heute mittragen, als solche bezeichnen lassen." (Bayrischer Innenminister Edmund Stoiber, CSU)
" ... Radikale (in dem Fall war von "Die Republikaner" die Rede) würden in ihren Programmen etwas fordern, und jetzt mache die Mehrheit der demokratischen Parteien das nach, was dort gefordert werde. Ich sage Ihnen ganz offen: Bei allen Gruppierungen, ob radikal oder nicht, werden Sie einzelne Sätze finden, die sie inhaltlich nicht widerlegen können, die vielleicht richtig sind und die zu unterstützen nicht allein deshalb unterbleiben darf, weil sie politisch von der falschen Seite vertreten werden. Wenn Schönhuber das Einmaleins beherrscht, werden Sie sich nicht hinstellen und sagen wollen, daß Sie ab heute gegen das Einmaleins sind." (Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU)