Schließung von Flüchtlingsheimen am Beispiel Berlin-Lankwitz
Im Zuge der sinkenden Asylbewerberzahlen und der Strategie der Regierung, Flüchtlinge zukünftig in Sammellagern zusammenzufassen, wurden und werden zahlreiche Flüchtlingsheime in Berlin geschlossen. In vielen Fällen sind es gerade die Heime mit den besseren Bedingungen, die betroffen sind. Die Schließung ihres Heims nicht still schweigend hinzunehmen, sondern sich an die Öffentlichkeit zu wenden, hierzu hat sich ein Heim in Berlin-Lankwitz entschlossen. Zusammen mit einer UnterstützerInnen-Gruppe von SchülerInnen und StudentInnen wenden sich die Flüchtlinge seit September an Presse, Parteien und Flüchtlingshilfsorganisationen, um die Schließung ihres Heims zu verhindern.
Seit Juli 1993 ist das neue Asylrecht nach Artikel 16a des Grundgesetzes in Kraft. Die Folge davon ist, daß die meisten Flüchtlinge an den deutschen Grenzen abgewiesen und nur noch wenige ins Land gelassen werden. Die Asylbewerberzahlen gehen zurück, die Flüchtlingsheime sind angeblich nicht mehr ausgelastet und werden dem Land Berlin zu teuer. - So die offizielle Version der Senatsverwaltung für Soziales als Begründung für die Schließung zahlreicher Flüchtlingsheime in der Stadt.
Bis September 1993 existierten in Berlin 60 Flüchtlingsheime mit 14.800 Plätzen. Hiervon wurden bereits 8 Heime mit ca. 1400 Plätzen aufgegeben, und in zwei Heimen wurden 500 Plätze gestrichen. Bleiben z.Zt. also noch 52 Heime mit ca. 12.900 Unterbringungsmöglichkeiten. Die Senatsplanung ist, bis Ende 1993 noch 12 Heime mit ca. 2420 Plätzen zu schließen und auch im kommenden Jahr weitere Heimplätze durch Heimschließungen abzubauen.
Sieht man sich nun an, welche Heime bereits geschlossen wurden bzw. innerhalb des nächsten Jahres geschlossen werden sollen, wird offensichtlich, daß es in vielen Fällen gerade die Heime mit den besseren Bedingungen für die Flüchtlinge sind, die auf der "Abschußliste" stehen. Diese Heime zeichnen sich oftmals durch ihre überschaubare Größe, eine verkehrsgünstige Lage, durch gute Ausstattung und/oder die gute Betreuung der Flüchtlinge aus. Es ist zu befürchten, daß die Flüchtlinge statt dessen in den neu errichteten Sammellagern Berlins zusammengefaßt werden sollen.
Nach Aussage von "SOS-Rassismus" ist das Sammellager Brand, das ehemals NVA-Gelände war und in der Nähe von Lübben liegt, hierfür ein Beispiel. Brand soll einmal »Wohnplätze« für 3000 Flüchtlinge umfassen. Flüchtlinge die bereits dort in den ehemaligen Kasernen untergebracht sind, bauen z.Zt. für wenig Lohn, das Flüchtlingsheim, oder besser das Flüchtlingslager, weiter aus.
Die Senatorin für Soziales und Gesundheit Ingrid Stahmer (SPD), das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben und die zuständigen Senatsbeamten Westphal und Götting, unterstützen die Strategie, die Flüchtlinge aus dem Stadtzentrum möglichst in die Außenbezirke und in die Sammellager abzudrängen, indem sie nur nach finanziellen Gesichtspunkten Heime weiterführen oder schließen statt sich nach den Bedürfnissen der Menschen zu richten, die in diesen Heimen leben müssen. Um dieses zu kaschieren, wird mit Halbwahrheiten operiert, werden die Flüchtlinge mit leeren Versprechungen ruhiggestellt und Flüchtlingszahlen zurückgehalten.
Das Flüchtlingsheim Berlin-Lankwitz
Beispielhaft für diese Verfahrensweise ist der Umgang mit den Flüchtlingen eines Wohnheims in Berlin-Lankwitz: Viele der BewohnerInnen leben dort bereits seit vielen Jahren. Im Vergleich zu anderen Heimen akzeptieren sie dieses, da es stadteingebunden liegt und Schulen, Einkaufszentren und Ämter leicht zu erreichen sind. Für die Kinder des Heims ist es wichtig, daß sie in den umliegenden Schulen integriert sind, die jüngeren Kinder im hauseigenen Kindergarten betreut werden und behinderte Kinder spezielle Betreuung erfahren. Aufgrund des langjährigen Zusammenlebens haben sich unter den BewohnerInnen sehr enge persönliche Bindungen entwickelt, die besonders für die Frauen, die das Haus selten verlassen und daher kaum Außenkontakte haben, sehr wichtig sind.
Im September kam nun der Beschluß des Landesamts für Zentrale Soziale Aufgaben (LaSoz), das Heim zum 31.3.1994 zu schließen. Als Begründung wird das Auslaufen des Pachtvertrages für das Gelände des Heims genannt. Verschwiegen wird, daß die Heimleitung bereits die schriftliche Zusage des Eigentümers des Geländes, des Auguste-Viktoria-Krankenhauses, für die Verlängerung des Pachtvertrags hatte.
Flüchtlinge und UnterstützerInnen im Kampf für den Erhalt des Heimes
Die Flüchtlinge und eine UnterstützerInnen-Gruppe von Steglitzer SchülerInnen und StudentInnen, die seit zwei Jahren engen Kontakt zu den BewohnerInnen des Heims halten, verfassen daraufhin einen offenen Brief an den Zuständigen des LaSoz, Götting, in dem sie die Rücknahme der geplanten Schließung fordern. Organisationen wie SOS-Rassismus, Flüchtlingsrat, Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, GEW-Berlin und die Parteien Bündnis 90/ Grüne und die FDP schließen sich der Forderung an. Der Tagesspiegel berichtet in einem längeren Artikel und einem LeserInnenbrief über die Situation im Heim und die Forderung nach Erhalt des Heims.
In einem dann folgenden Gespräch mit einem Vertreter des LaSoz sichert dieser den Flüchtlingen zu, daß er sich darum kümmern werde, daß sie bei Schließung des Heims innerhalb des Bezirks untergebracht werden. Der Vertreter selbst schlägt ein Steglitzer Heim als Alternative vor und einige der Flüchtlinge unterschreiben sogar einen Antrag auf Aufnahme in ein momentan neuentstehendes Heim im Bezirk. Kurze Zeit darauf wird bekannt, daß die Flüchtlinge wahrscheinlich weder in das von ihnen beantragte Heim können, da der Bezirk dieses für Kriegsflüchtlinge aus Bosnien und deutsche Obdachlose vorsieht, noch in das vom LaSoz vorgeschlagene, denn - dieses Heim soll auch geschlossen werden.
Nach Aussage des Steglitzer Sozialstadtrats sollen neben dem Lankwitzer Heim noch drei andere Heime im Bezirk aufgelöst werden, da das LaSoz trotz mehrfacher Nachfrage keine Zahlen über die benötigten Heimplätze für Flüchtlinge an den Bezirk weitergegeben habe, dieses als »kein Bedarf« gewertet werde und die Heime bei auslaufenden Pachtverträgen dann geschlossen werden.
Deutlich wird also: Die Notwendigkeit der Heimschließung wird vom LaSoz mit der vorgeschobenen Begründung, der Pachtvertrag wäre nicht zu verlängern, erklärt. Die Flüchtlinge werden verschaukelt, in dem ihnen Alternativen genannt werden, ohne daß die Verantwortlichen dafür sorgen, daß es wirklich Alternativen werden können.
Das Lankwitzer Heim ist kein Einzelfall, ähnliches Vorgehen des Senats ist der Redaktion bei der geplanten Schließung eines Spandauer Flüchtlingsheims bekannt, das vor fünf Jahren speziell für Folteropfer eingerichtet worden war. Die Strategie des Senats scheint immer dieselbe zu sein: die Heimschließungen mit möglichst wenig Aufsehen über die Bühne zu kriegen. Die UnterstützerInnen des Lankwitzer Heims werden fortfahren, sich an Presse und Öffentlichkeit zu wenden (an einem Vormittag wurden im Bezirk bereits 800 Unterschriften gegen die Schließung gesammelt), denn nur durch das Öffentlichmachen kann vielleicht verhindert werden, daß, nachdem Deutschland nach außen seine Grenzen dichtgemacht hat, nun die restlichen Flüchtlinge innerhalb des Landes in Lagern interniert werden.
(Der Artikel entspricht dem Stand von Anfang November, inzwischen wurde der Redaktion bekannt, daß der Bezirk Steglitz und das LaSoz erneut die Verhandlung über den Erhalt des Heims aufgenommen haben.)