(Anti) Rassismus 1988
Abschreckung in Bremerhaven
Die Stadt Bremerhaven solle vor Flüchtlingen geschützt werden, die „hierherkommen, um abzustauben und nach kurzer Zeit wieder zurückgehen“, meint der grüne Stadtverordnete und das Gründungsmitglied der Bremerhavener Partei "Die Grünen" Harry Bohnsack. Er bezieht sich auf 600 Roma aus Jugoslawien, die Anfang dieses Jahres einen Asylantrag gestellt hatten. Die Roma, in sechs „Sammellagern“ untergebracht, traten wegen der miesen Verpflegung und der 10 DM Taschengeld pro Woche und Person in einen Essensstreik und machten so auf sich aufmerksam. Der Bremerhavener Magistrat hielt jedoch an seiner Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlinge fest und fand Unterstützung bei den Grünen. Gemeinsam einigte man sich kurzerhand darauf, daß die Roma keine politischen Flüchtlinge seien. „Die Grünen teilen daher die Meinung des Magistrats, die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt in taschengeldmäßige und sächliche Hilfe in Form von Gemeinschaftsverpflegung aufzusplitten; in der Überzeugung, daß diese Maßnahme allein die Familien größtenteils zur Rückkehr in ihre Heimat veranlassen und sich die Situation vor Ort entspannen wird.“ Mehr als ein Viertel der Roma hat die Stadt bereits verlassen. Sie zogen ihren Asylantrag zurück und erhielten dafür vom Sozialamt Fahrkarten nach Jugoslawien.
"Aktion Fluchtburg"
Unter dem Motto „Sand ins Getriebe der Kewenigschen Abschiebemaschinerie“ initiierte die "Aktion Fluchtburg" in den vergangenen Wochen mehrere Aktionen gegen die verschiedenen Formen des staatlichen Rassismus. Nach der im Oktober letzten Jahres angekündigten sogenannten „Altfallregelung“ für einen Teil der in Westberlin lebenden Flüchtlinge, veröffentlichte Innensenator Wilhelm Alexander Kewenig (CDU) am 8. Juni einen Schlußbericht über die Umsetzung dieser, von ihm als „Akt der Humanität und Menschlichkeit“ gepriesenen, Weisung. Annähernd 4.000 ImmigrantInnen wurde so eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. 269 Flüchtlinge fielen jedoch durch die Maschen des eng geknüpften Kriteriennetzes und erhielten eine Ausreiseaufforderung. Die Abschiebung dieser 269 Menschen ist auf dem Rechtsweg kaum mehr zu verhindern. Sie stehen vor der Entscheidung, die mit einer „freiwilligen Ausreise“ verbundenen Risiken auf sich zu nehmen, oder den Weg in die Illegalität anzutreten.
Wie bedrohlich die Situationen für diese Gruppe ist, zeigen die bereits durchgeführten 25 Abschiebungen u.a. in den Libanon und nach Sri Lanka. Als Polizisten verkleidet stellten Mitglieder der „Aktion Fluchtburg“ das Vorgehen der Ausländerpolizei gegenüber Flüchtlingen dar. Knüppelbewehrt und fest zugreifend wurde ein „abzuschiebender“ Libanese zum Büro der Flughafengesellschaft von Pan Am (Pan American Airways) gebracht. Dort wurde in einem Redebeitrag auf die wichtige Funktion der Airline als Handlanger kewenigscher Abschiebepolitik aber auch den Protest einiger Angestellter hingewiesen. So wurde vor kurzem einem Mitarbeiter des Bodenpersonals für drei Monate der Flughafenausweis entzogen, da er sich der reibungslosen Abschiebepraxis widersetzte. Neben einem weiteren Beitrag über die aktuelle Lage im Libanon wurde mit Plakaten gegen die menschenverachtende Behandlung der Flüchtlinge hier (Arbeitsverbot, Sammellager etc.) demonstriert.
Abschiebungen unter Polizeischutz
Vier Tage nach der Besetzung kam es erneut zu einem Aufeinandertreffen mit der Polizei. Ort des Geschehens diesmal: Flughafen Westberlin - Tegel, 6 Uhr früh. Nachdem am Abend zuvor Informationen über die geplante Abschiebung von zwei Flüchtlingen mit einer Pan Am-Maschine nach Beirut durchsickerten, konnten für den Morgen circa 100 Menschen zum Flughafen mobilisiert werden. Dort wurden sie bereits von einer Hundertschaft der Polizei erwartet, Teile des Flughafens waren hermetisch abgeriegelt. Nachdem der Aufforderung des Einsatzleiters nach Herausgabe der mitgebrachten Megaphone, diese stellten angeblich „eine erhebliche Störung des internationalen Flugverkehrs“ dar, nicht Folge geleistet wurde, versuchte die Polizei die DemonstrantInnen unter Einsatz von Tritten und Schlägen aus dem Flughafengebäude zu drängen. Eine Mitarbeiterin aus dem BAZ erlitt dabei Gesichtsprellungen und eine Gehirnerschütterung. Daß es der Polizei nicht gelang die Abfertigungshalle vollständig zu räumen und so störungsfrei abzuschieben, ist den festen Ketten der DemonstrantInnen zu verdanken.
Erfolgreicher Hungerstreik im Abschiebegefängnis Kruppstraße
Fast zwei Wochen lang befanden sich sechs Abschiebehäftlinge in der Westberliner Kruppstraße im Hungerstreik. Sie wehrten sich unter anderem gegen eine klammheimlich durchgeführte Verschärfung der Polizeigewahrsamsverordnung, nach der nur noch bestimmte Personen als Besucherinnen zugelassen wurden. Nach in Kraft treten dieser Regelung wurde mehrmals Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen der Zugang verwehrt. Weitere Schikanen, z.B. Löschen der Zellenbeleuchtung bereits um 22.00 Uhr, konnten durch diesen Hungerstreik ebenso wie die neue Besuchsregelung verhindert werden.
Gegen Nichtversorgung
Die Westberliner Ärztegruppe Asyl wendet sich mit einer Broschüre (Abschrecken statt Heilen - zur medizinischen Versorgung von Asylsuchenden; Hrsg.: Ärztegruppe Asyl Westberlin ) gegen die Unterversorgung von Flüchtlingen, die in der BRD oder in Westberlin Asyl beantragt haben. Insbesondere kritisiert die Gruppe die medizinische Nichtversorgung. In Interviews mit Ärzten und Flüchtlingen enthüllen sie, daß die Nichtversorgung sowohl zu chronischen Krankheiten wie auch öfters zum frühen Tod der Flüchtlinge führt. Asylbewerber haben nach dem Bundessozialhilftegesetz und dem Vertrag zwischen BRD und dem Deutschen Roten Kreuz keinen Rechtsanspruch auf medizinische Versorgung, obwohl sie sie häufig nötig haben. Ob und welche Ärzte zur Verfügung stehen, ob ein Flüchtling Medikamente erhält oder nicht, liegt im Ermessen der kommunalen Behörden die für seine „Versorgung" zuständig sind. Wer unter meist erbärmlichen materiellen Umständen und bereits im Ursprungsland der Verfolgung ausgesetzt über Tausende von Kilometern flüchtet, ist oft krank. Insbesondere die Folgen von Folter werden hierzulande kaum behandelt, und wenn, dann meist mit Beruhigungsmitteln. Die Gruppe wertet die Tatsache, daß den Flüchtlingen die medizinische Versorgung vorenthalten wird, als Bestandteil der Politik der Bundesregierung, alles zu tun, um Flüchtlinge abzuschrecken. Sie fordert u.a.: Abschaffung des Absatz 2 im §120 des Bundessozialhilfegesetzes, der die medizinische Betreuung als „Kann"- Leistung festschreibt.