Rudolf-Heß-Pilgerstätte Wunsiedel
Das Spandauer-Kriegsverbrechergefängnis ist, zwar verspätet aber wie vorgesehen, dem Erdboden gleichgemacht worden. Nach dem Alliierten Beschluß von 1946 sollte die Leiche von Hitlerstellvertreter Rudolf Heß verbrannt, seine Asche in alle Winde zerstreut werden, damit keine Kultstätte für alte und neue Nazis entstehen könne. Der Beschluß die Heß-Leiche zu verbrennen wurde allerdings 1982 durch einen anderen ersetzt.1 Danach sollte sie den in Wunsiedel lebenden Angehörigen zur Bestattung auf Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde übergeben werden.
- 1Die Haftanstalt stand unter der Leitung der Alliierten, die sich im Monatsabstand bei der Bewachung abwechselten. Insbesondere die Vertreter Englands und Russlands waren sich im Fall Rudolf Heß uneinig.
Wie beschlossen, so geschehen – die Zeichen stehen auf Versöhnung mit der NS-Vergangenheit. Ein Jahr nach dem Heß-Tod ist Wunsiedel von der bundesdeutschen Neonazi-Szene zum Wallfahrtsort erkoren worden. Für den 20. August 1988 hatte der Neonazi und Herausgeber der Neonazi-Zeitschrift „Wehr Dich“ Berthold Dinter aus Rheda-Wiedenbrück eine Kundgebung angemeldet.1 Mehrere hundert Neonazis wurden zur Teilnahme erwartet. Das Landratsamt Wunsiedel verhing vorsorglich ein Versammlungsverbot im Ort und an dem benachbarten Schlageter Felsen.2
Dinter schaltete den Neonazi- Anwalt und Neonazi Jürgen Rieger ein. Der setzte den geplanten Aufmarsch vor dem Verwaltungsgericht München durch. Unter den etwa 120 am 20. August 1988 angereisten Neonazis befanden sich auch die Neonazi-Anführer Michael Kühnen und Christian Worch. Neben der Neonazi-Gruppe „Freiheitliche Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) waren die Mitglieder der Organisation „Nationalistisch Front“ (NF) am stärksten aufmarschiert.3 Der Friedhof war von der Polizei abgeriegelt und so zogen die Neonazis in „Formation“ hinter der Reichsflagge („solange Hakenkreuzverbot flaggen wir schwarz-weiß-rot“) durch die Wunsiedeler Innenstadt.
Michael Kühnen hatte bereits vor drei Monaten angekündigt, daß der Ort nicht mehr zur Ruhe kommen würde. „Organisationsleiter“ Worch bestätigte „in Gedenken an den Märtyrer Heß“, daß die „Bewegung“ in Zukunft jedes Jahr nach Wunsiedel kommen will. Die protestierenden Wunsiedeler konnten den Neonazis wenig entgegensetzen. Mit Transparenten wie „Nie wieder Nationalsozialismus“ und „Nazis raus“-Rufen standen sie dem neonazistischen Treiben in ihrer Stadt ziemlich hilflos gegenüber. Polizei und BGS beschränkten sich auf insgesamt 21 vorrübergehende Festnahmen wegen Tragens von Uniformen und verfassungswidriger Kennzeichen. Bei KfZ-Kontrollen wurden Schlagwaffen, ein Dolch mit Hakenkreuz und Propagandamaterial beschlagnahmt.
- 1Ein ehemaliger NPD-Kreisvorsitzender und Redakteur der Hetzpostille „Sieg“ (Österreich/Lochau) der nunmehr im Namen einer „Rudolf Hess Gesellschaft“ die Rückgabe der Ehrenbürgerschaft der Stadt Wunsiedel an Rudolf Heß fordert.
- 2Eine Felsengruppe im Fichtelgebirge, benannt nach dem NS-Idol Albert Leo Schlageter.
- 3Im VS-Bericht 1988 ist der Anmelder namentlich erwähnt, er habe anläßlich des 1. Todestages von Rudolf Heß die Anmeldung für „Kühnen-Anhänger“ übernommen, welche zwei Drittel der etwa 150 Neonazis gestellt hätten. (Verfassungsschutz in Hessen – Bericht 1988, S.20)