»Ian-Stuart-Memorial« nach Deutschland verlegt
Das seit Mitte August 1998 geplante Konzert zu Ehren des verstorbenen Sängers der RechtsRock-Band "Skrewdriver", Ian Stuart Donaldson, wurde von den Schweizer Behörden verboten. Trotzdem begaben sich nach mehreren Falschinformationen der Organisatoren am 19. September 1998 gut fünfzig Neonazis in den Kanton Waadt. Dort fand allerdings kein Konzert statt, sondern in Thüringen.
Es sollte das größte Neonazi-Ereignis in der Schweiz werden. Zu Ehren des vor fünf Jahren verstorbenen Briten Ian Stuart Donaldson, Hauptpromoter des neonazistischen "Blood & Honour"-Netzwerks, waren seit Mitte August 1998 Neonazi-Skinheads aus aller Welt für den 19.September 1998 in die Westschweiz eingeladen.
Insgesamt neun Neonazi-Musikgruppen aus ganz Europa sowie den USA sollten, wie bereits in den vergangenen vier Jahren, ihrem verstorbenen Vorbild huldigen. Folgende Bands wurden in der per Post verschickten Einladung angekündigt: "Bound for Glory" (USA) um Ed Wolbank, "Brutal Attack" (England) um Ken McLellan (sowie ein gemeinsames Set "Bound for Attack"), "Max Resist" (USA) um Sean Sugg, "Razors Edge" (England) um Andy Nolan, "Pluton Svea" (Schweden) um Joakim Karlsson, "Die Weissen Riesen" (Deutschland/Sachsen) um Ralf M. und Michael K., "Hate Society" (Deutschland/Bayern) um Bernd Peruch und "No Alibi" (USA) um Brian Kirchner.
Als Organisatoren traten die "Romandie Hammerskins" auf. Als weitere wichtige Personen im Organisationskreis galten auch der 24jährige Neuenburger Feinmechaniker Olivier Kunz und seine polnischen Freundin Karolina Wisniewska, die mittlerweise dem Kreis der "Blood & Honour"-Sektion Romandie zugerechnet werden. Olivier Kunz gilt in der Szene als eine Art Betreiber des "Mjölnir Diffusion" Versandes und Mitherausgeber der Neonazipostille "Mjölnir". Karolina Wisniewska galt als Herausberin des Fanzines "Walkiria" aus Polen. Sie war wohl auch für die Gestaltung der Festival-Einladung verantwortlich.
Durch das frühe Bekanntwerden der Veranstaltung waren auch die Behörden und die Medien auf den Plan gerufen. Das erprobte Argument von seiten der Polizei, es sei für ein Verbot zu kurzfristig, konnte nun auf keinen Fall angebracht werden.
Die Bestätigung der bisherigen Praxis
Am 7. September reichte eine grüne Parlamentarierin im Waadtländer Großen Rat eine Frage an den Staatsrat ein. Sie verlangte Auskunft darüber, welche Maßnahmen die Regierung zu ergreifen gedenke, damit der Kanton Waadt nicht zu einem Tummelfeld für Neonazis werde. Dies vor dem Hintergrund, daß im letzten Jahr mehrere Treffen mit einigen hundert BesucherInnen von den "Hammerskins" im Kanton Waadt organisiert werden konnten, die von der Öffentlichkeit kaum beachtet wurden.
Eine Woche später, am 14. September, nahm der verantwortliche Staatsrat, Jean-Claude Mermoud (SVP), vor dem Parlament Stellung und erklärte, daß die Veranstaltung toleriert werde und die Polizei erst einschreite, wenn die öffentliche Ordnung gestört werde. Das Signal war unmißverständlich und eine Bestätigung der bisherigen Praxis: Solange die Anlässe »privaten Charakter« haben und keine weiteren Vorfälle zu verzeichnen sind, scheint es für die Behörden kein Problem darzustellen, Versammlungen von mehreren hundert Neonazis über die Bühne gehen zu lassen. Dies obwohl die Bundespolizei empfiehlt, solche Konzerte zu verbieten und der Kanton Neuenburg nach dem bisher größten Neonazi-Treffen im März diesen Jahres (Vgl. AIB Nr. 44) sich die Möglichkeit offenhält, Anlässe mit rassistischem Charakter zu verbieten.
Noch bevor sich die Empörung über diesen Regierungsentscheid breit machen konnte, erfolgte nur einen Tag nach dem Segen ein Verbot für jegliche Neonazi-Anlässe in den folgenden drei Tagen auf dem Gebiet des Kantons Waadt. Wie den Verlautbarungen der Regierung zu entnehmen war, hatte offenbar die Bundespolizei Druck ausgeübt.
Katz und Maus Spiel
Als am Mittwochabend vor dem geplanten Konzert über das (geheime) "Nationales Infotelefon" (NIT) von Reinhold "Reini" F. (Mutschellen) aus dem Kreise der "Schweizer Hammerskins", zu erfahren war, daß das »Ian-Stuart-Memorial« aufgrund des Verbots kurzfristig nach Ostdeutschland verlegt werde, schien klar, daß sich die Schweizer Organisatoren nicht auf ein Kräftemessen mit der Polizei einlassen wollten. Um so größer war die Verwirrung, als zwei Tage später auf dem NIT dann zu hören war, daß es sich beim Hinweis auf die Verlegung des Konzerts in den Großraum Dresden um eine bewußte Falschmeldung gehandelt habe, in der Absicht, die Medien an der Nase herumzuführen. Der Treffpunkt sei indes auf einer Autobahnraststätte im Kanton Waadt.
Der Nachmittag des 19. September bot ein seltsames Bild: Gut fünfzig "vergessene" Neonazis aus den Kantonen Bern, Basel-Land, Solothurn, Luzern und Zürich, sowie zwei Fahrzeuge aus dem grenznahen Lörrach, treffen auf der Raststätte ein. Es war jedoch niemand anwesend, der sie zu einem Konzertlokal weiterleiten könnte. Unter den Anwesenden sind einige "verlorene" Neonazis aus der Deutschschweiz anzutreffen. So wurden etwa der 23jährige Michael K. von der "Rechtsfront Olten" (R.F.O.), Oliver B. (ehem. "Hammerskin-Aufbauorganisation"), sowie Rene B. (Gruppe "Morgenstern") vor Ort beobachtet.
Von den organisierenden "Romandie Hammerskins" ist jedoch niemand zu sehen. Allmählich wird klar, daß es sich bei dieser Mobilisierung um eine weitere Falschmeldung handeln dürfte.
Ende in Thüringen
Nachdem am Montag darauf zudem bekannt wurde, daß sich im thüringischen Pölzig hunderte Neonazis, unter ihnen auch Schweizer, getroffen haben, scheint klar zu sein, dass das »Ian-Stuart-Memorial« erfolgreich nach Deutschland verlegt werden konnte, und der Hinweis auf dem NIT in erster Linie bei den Medien und anderen Interessierten für Verwirrung sorgen sollte.
Dies geschah vermutlich, nachdem durch die Medien auf die Existenz eines solchen Kommunikationsmittels der Neonazi-Skinheads aufmerksam gemacht worden war.
Tatsächlich traten in Pölzig die zuvor angekündigten Neonazi-Bands "No Alibi", "Max Resist", "Pluton Svea" und "Weiße Riesen" vor ca. 800 Personen auf. Als lokale Veranstalter galten der Wirt der Pölziger Gaststätte "Zur Erholung" und einige Anhänger der "Blood & Honour"-Sektion Gera.