Jugoslawien: Krieg heißt jetzt Krisenintervention
Als die NATO ("North Atlantic Treaty Organization") sich am letzten April-Wochenende 1999 in Washington traf, um ihren 50. Geburtstag zu feiern, war der Krieg in Jugoslawien bereits in vollem Gange. Ein Angriffskrieg, der neben dem Bruch des bestehenden Völkerrechtes scheinbar allem widerspricht, was das »Verteidigungsbündnis« Nato bis dato als militärische und politische Prinzipien verkündet hatte. Daß sich diese Prinzipien auch in der Vergangenheit stets als weit interpretierbar erwiesen haben, ist das eine. Das andere ist, daß die NATO seit dem Zusammenbruch des Ostblocks bemüht war, auf die veränderte internationale Lage konzeptionell und strategisch zu reagieren. Als vorläufig endgültige Antwort in dieser Frage beschlossen die Regierungschefs der NATO-Staaten auf der Geburtstagsfeier am 25. April 1999 das Neue Strategische Konzept des euro-atlantischen Militärbündnisses. Ein Konzept, das in weiten Teilen schon Praxis ist, und dessen Umsetzung man im Jugoslawien-Krieg bereits beobachten kann: Die militärische Durchsetzung machtpolitischer und wirtschaftlicher Interessen unter dem Deckmantel humanitärer Krisenintervention. Von der bislang immer noch erklärten Rolle als »Verteidigungsbündnis« hat man sich endgültig verabschiedet, auf dem Programm steht schnelle offensive Intervention - wo, wann, wie und aus welchen Gründen die NATO-Staaten der Ersten Welt es für nötig halten.
Das neue Strategische Konzept, das die Nato-Staaten Ende April in Washington verkündet haben, ersetzt die vorangegangene Novelle der Leitlinien von 1991. Es legt nun auch offiziell das Verständnis der neuen Rolle der Nato als internationale Interventionsmacht fest, das in den Jahren seit dem Zusammenbruch des Ostblocks herausgebildet wurde. Neben dem Schutz der Nato-Staaten durch Abschreckung und Verteidigung im Angriffsfall, der nach wie vor als ein zentraler Punkt definiert wird, sieht das Strategiepapier erhebliche Erweiterungen der Nato-Befugnisse vor: Das Bündnis stehe bereit, »zu wirksamer Konfliktverhütung beizutragen und aktive Krisenbewältigung zu betreiben, auch durch Krisenreaktionsemsätze«1 . Unter welchen Voraussetzungen diese Einsätze stattfinden sollen, ist in dem Papier nur sehr schwammig formuliert. Gründe können neben der militärischen Bedrohung demzufolge »Terrorakte, Sabotage, (...) Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen«1 sein. Dazugezählt werden aber auch Organisiertes Verbrechen und die »unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte«1 , sprich Flüchtlingsbewegungen.
An der NATO Wesen soll die Welt genesen?
Bundeskanzler Gerhard Schröder sieht keine zwingende Notwendigkeit eines UN-Mandats auch für Nato-Einsätze, kann hierin aber keine Selbstmandatierung der Nato erkennen, da sich das Militärbündnis ja nach internationalem Recht verhalte. Eine Sichtweise, die das Verständnis der Nato deutlich macht: Wir wissen, was Recht und richtig ist und dürfen uns daher auch alles erlauben. Auf diesem Wege wird dann ein Angriffskrieg zur humanitären Krisenintervention erklärt und per se als gerechtfertigt angesehen. Daß der Vorwand, die Menschenrechte im Kosovo retten zu wollen, schon bei oberflächlicher Betrachtung als lächerlich zu entlarven ist, scheint dabei weder Schröder noch die deutsche Öffentlichkeit zu stören. Auf die Spitze getrieben hat diesen selbstzufriedenen, allumfassenden Wahrheitsanspruch, der kein anderer ist als der der deutschen Soldaten, die 1914 in den Ersten Weltkrieg zogen, um die Welt am deutschen Wesen genesen zu lassen, Außenminister Joschka Fischer. Der zum Kriegstreiber mutierte Ex-Sponti will zwar auf UN-Mandate auch in Zukunft nicht verzichten. Um diese auch zu bekommen, sollen die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates nach seinem Willen aber dazu verpflichtet werden, ihre Stimmen »im internationalen Interesse« einzusetzen.2 Im Klartext: Rußland und China sollen im Sicherheitsrat gefälligst den von der Nato diktierten Beschlüssen zustimmen, denn was das internationale Interesse ist, weiß die Nato schließlich am besten. Sie definiert es ja.
Was steckt hinter dem neuen Konzept?
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Nato sich in ihrem Neuen Strategischen Konzept das Recht einräumt, ohne UN-Mandat politisch und militärisch nach ihren Interessen und freier Entscheidung zu intervenieren. Aus der Feder des Leiters des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, Generalleutnant Harald Kujat, hört sich das so an: »Infolge der neuen Risiken - Sicherheit kann heute weder ausschließlich militärisch definiert noch geographisch eingegrenzt werden - wird die Allianz ihr gesamtes Spektrum politischer und militärischer Reaktionsmöglichkeiten intensivieren. Die Fähigkeit zur effektiven Krisenprävention in den Ursprungsländern steht dabei an erster Stelle.«3
Vor dem Hintergrund, daß insbesondere die USA auch bereits in der Vergangenheit schonungslos ihre machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen auf militärischem Wege durchgesetzt haben, mag dies kaum verwundern. Neu ist indes doch die Rolle der Nato und damit auch die Rolle Deutschlands bei dieser Durchsetzung der imperialistischen Interessen der Ersten Welt. Im Vordergrund stehen nicht mehr die Verteidigung des Bündnisgebietes und die Unterstützung der USA bei ihrer Kriegspolitik, sondern die gemeinsame militärische Durchsetzung der gemeinsamen Interessen überall auf der Welt. Die in der Nato zusammengeschlossenen Länder sehen in dem Bündnis dafür das ideale Werkzeug und haben es in den vergangenen Jahren in diese Richtung umgebaut. Dazu noch einmal Generalleutnant Kujat: »Was sie [die Nato, AIB] damit von anderen Sicherheitsorganisationen unterscheidet, ist nicht nur ein überzeugendes und in sich geschlossenes Konzept für Stabilität in und für Europa, sondern auch das Vorhandensein der Mittel zur Umsetzung dieses Konzepts.«3 Im Anschluß macht der Autor die Unzulänglichkeiten von Organisationen wie OSZE, UNO, EU und WEU in diesem Zusammenhang deutlich und postuliert auf diesem Wege den Führungsanspruch der Nato.
Wer sich diesem Führungsanspruch ergibt und wirtschaftlich und politisch stabil genug ist, der wird wie jüngst Polen, Ungarn und die Tschechische Republik in den erlauchten Kreis der Nato-Staaten aufgenommen. Wer sich aber den Nato-Interessen ernsthaft widersetzt, dem ergeht es wie Jugoslawien. Damit das Militär-Bündnis den neuen Aufgaben gerecht werden kann, hat es in den vergangenen Jahren bereits entscheidende Umbauten in der militärischen Struktur gegeben. Seit 1997 hat die Nato eine neue Kommandostruktur und insbesondere die europäischen Länder sind schon in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, ihre Armeen den neuen Anforderungen anzupassen: »Kleinere, mobile Einheiten sowie ausreichende Transportkapazitäten und Kommunikationsmittel sollen die Projektion militärischer Macht über weite Distanzen ermöglichen.«4 Bereits seit 1994 wird das Konzept der Combined Joint Task Forces in diesem Sinne umgesetzt.
Testfeld Jugoslawien
Der Krieg in Jugoslawien, der die konsequente Fortrührung der Nato-Politik der vergangenen Jahre auf dem Balkan ist, dient gleichzeitig als willkommener Anlaß für die beispielharte Umsetzung der neuen Strategie: Die Durchsetzung von Nato-Interessen mit militärischen Mitteln ohne UN-Mandat außerhalb des Bündnisgebietes. Für die USA lag darin einerseits die Möglichkeit, das neue Konzept gegen die zum Teil noch zögerlichen europäischen Verbündeten einfach in der Praxis durchzusetzen und andererseits militärische Stärke zu demonstrieren. Allen anderen Ländern wird hier gezeigt, was es bedeutet, sich gegen die Interessen von Nato und USA zu stellen. Die vorrangigen Interessen der Nato und insbesondere der USA an diesem Krieg dürften allerdings machtpolitischer, wirtschaftlicher und geopolitischer Natur sein.
Insbesondere scheint es darum zu gehen, den Balkan weiter aufzuteilen und den russischen Verbündeten Jugoslawien wirtschaftlich und politisch zu marginalisieren. Das an strategisch wichtiger Stelle gelegene Land soll politisch, militärisch und wirtschaftlich verfügbar gemacht werden, um es für den Weltmarkt zu öffnen und an dieser Stelle die Süd-Flanke der Nato zu schließen. Man kann sich darauf gefaßt machen, daß die Nato auch in Zukunft ihrem Neuen Strategischen Konzept und ihrem Führungsanspruch gerecht wird, und sich endgültig als internationale ordnungspolitische Macht der dort zusammengeschlossenen Staaten der Ersten Welt installiert. Nun geht es nicht mehr auch darum, sich politisch und militärisch gegen einen anderen Machtblock zu stellen. Im Vordergrund stehen die Erhaltung und völlige Absicherung der Interessen der Ersten Welt und damit der Erhalt des Systems von Ausbeutung und Unterdrückung.
- 1a1b1cOffizielle Übersetzung des Neuen Strategischen Konzepts der Nato, zit. nach AP vom 25.April 1999
- 2zitiert nach taz vom 24. April 1999
- 3a3bKujat, Harald: »Überzeugend und umsetzbar - Strategische Perspektiven des Bündnisses«, in: Informationen für die Truppe, Heft 3/99
- 4Kamp, Karl-Heinz: »Eine globale Rolle für die Nato? - Zur Diskussion um das Neue Strategische Konzept«, in: Informationen für die Truppe, Heft 3/99