Alles nur geklaut? Die Übernahme linker Symbolik durch Neonazis
»Damals Symbol der radikalen Linken. Zeichen für Militanz, radikalen Widerstand gegen das herrschende System und gegen nationale Strukturen jeglicher Art. Autonome Gruppen. Unabhängig, selbstständig, eigengesetzlich. Im BB [Schwarzer Block (englisch: Black Block)] sammelten sich jene, die schon durch ihr auftreten eine gewisse Militanz zeigen wollten. [...] Es ist an der Zeit, dass wir die neuen Möglichkeiten voll ausschöpfen und damit beginnen uns neu zu organisieren. Der gewaltfreie, friedliche Kampf hat fast 60 Jahre stattgefunden und wir haben nichts erreicht. Es ist unverantwortlich, wenn heute noch Kameraden davon reden, absolut und situationsunabhängig, gewaltfrei zu bleiben.«
Diese Forderung nach Schaffung eines rechten Schwarzen Blocks, gestellt in einem Neonazi-Internetforum und hauptsächlich unterstützt durch Neonazis aus den Umfeldern der Kameradschaft Tor und des Märkischen Heimatschutz (MHS), begleitete die eher unspektakuläre und träge Neonazimobilisierung zum 1. Mai in Berlin. Deutlich wird an diesen paar Zeilen die romantische Hoffnung der Neonazis, durch Schaffung eines rechten schwarzen Blocks von oben könnte schlagartig ein Agieren auf Demonstrationen erreicht werden, wie es bei der autonomen Linken in den 80er Jahren der Fall war. Völlig übersehen wird von Neonazi-Seite aber augenscheinlich, dass der schwarze Block bei den Autonomen immer nur ein Mittel zum Zweck war.
Oben zitierte Eigenschaften wie Unabhängigkeit und Selbständigkeit fehlen in der Neonaziszene völlig und laufen ihr ideell zuwider. Sie lassen sich auch durch einen schwarzen Block nicht realisieren und waren in der autonomen Linken bereits vor Aufkommen eines solchen vorhanden. Der schwarze Block stellte ein reines Zweckmittel dar, um diese Eigenschaften auf Demonstrationen gegen die staatlichen Organe verteidigen zu können. Dass Teile der Neonaziszene nun versuchen, über ein gemeinsames Auftreten in schwarz diese Eigenschaften mit ins Boot zu holen, zeugt also eher von absoluter Unkenntnis linker Geschichte. Gerade die Endphase des schwarzen Blocks bei den Autonomen, als Teile der AA/BO den schwarzen Block zum identitären Programmmerkmal erkoren hatten und gleichzeitig die Polizeistrategen einen »militärischen« Umgang mit ihm gefunden hatten, zeigt deutlich, dass dieses Konzept schon Mitte der 90er Jahre von der Realität eingeholt wurde.
So stößt dieses »Konzept« auch in großen Teilen der Neonazi-Szene auf Ablehnung. Einer der ersten, die auf diese Thesen reagierten, war Christian Worch, der seine Stellungnahme dazu nutzte, noch weiter zwischen den geplanten Mai-Aufmärschen in Berlin und Leipzig zu spalten. So äußert Worch in seinen »Leipziger Leitlinien«: »Wir brauchen in Leipzig keinen schwarzen Block in unserem Zug, denn unser Zug ist EIN Block.« In den folgenden Wochen entbrannte zwischen Worch und den Organisatoren des schwarzen Blocks ein Streit um die Ausrichtung nationalsozialistischer Politik, in dem es vor allem darum ging, sich zwischen Bürgernähe und Abgrenzung zu entscheiden. In einem Diskussionsbeitrag heißt es: »Das problem ist, ich sehe in agitation und propaganda keinen bezug zum deutschem volk und heimat bei euch ›autonomen nationalisten‹«. Auch wenn dieser Streit ohne gemeinsame Position beendet wurde, so machte er für AntifaschistInnen eines ziemlich schnell deutlich: Einen modernen oder gar fortschrittlichen Nationalsozialismus kann es nicht geben.
Doch nicht nur der zur eigenen Demonstration nach Leipzig mobilisierende Worch, sondern auch die wichtigsten Unterstützer für die Berliner Demonstration, das Aktionsbüro Norddeutschland, distanzierten sich sofort von der Idee eines schwarzen Blocks. So wird von Seiten des Aktionsbüros kritisiert: »Was für eine ›konsequente Haltung‹ mit einem ›schwarzen Block‹ ausgedrückt werden soll, ist nicht nachvollziehbar.« So werden auch hier die Grenzen der völkischen Ideologie schnell sichtbar. Eine nationalsozialistische Bewegung muss sich immer für das Volk einsetzen und kann nicht wie die autonomen Linken unabhängig vom Volk oder gar gegen dieses agieren.
Konsequent warnt das Aktionsbüro davor, mit einem schwarzen Block »Angst im Volk zu erzeugen« und stellt später fest, »wer unsere politischen Zusammenhänge mit einem Abenteuerspielplatz verwechselt, sollte lieber ganz schnell aus unseren Reihen verschwinden.« Auch in der bürgerlichen Presse blieb die Forderung nach einem schwarzen Block natürlich nicht unbemerkt und es wurde plötzlich allerorts bemerkt, dass Nazis nicht mehr nur in Bomberjacke und Springerstiefeln rumlaufen, sondern man sie ja sowieso schon nicht mehr von »normalen« Jugendlichen unterscheiden könne.
Erste Praxisversuche für einen schwarzen Block gab es bereits Ende letzten Jahres auf einem Nazi-Aufmarsch in Berlin. Damals liefen ca. 30 jugendliche Nazis weitgehend in schwarz gekleidet und mit roten Fahnen bestückt an der Spitze der Demo. Dieser Versuch scheiterte jedoch fast an der verwirrten Berliner Polizei, die wahrscheinlich auch wegen der mitgeführten Transparente mit Antifa-Aktionszeichen, von einem antifaschistischen Störmanöver ausging und erst einmal versuchte, den gesamten Block aus der Demonstration zu entfernen.
Am 1. Mai selbst fand sich dann eine größere Anzahl von schwarz gekleideten Nazis auf dem Aufmarsch ein, die sich dann zu einem (ca. 150 Personen starken) schwarzen Block formierten. Diese fast ausschließlich aus Berlin und Brandenburg stammenden Nazis waren zum Teil mit Tüchern und Sonnenbrillen vermummt. Nur mit der geforderten Radikalität haperte es noch ein wenig; als die Polizei dazu aufforderte, die Vermummung zu unterlassen, leistete ein Großteil Folge. Auch als einzelne Teilnehmer aus den Reihen des schwarzen Blocks in Gewahrsam genommen wurden, gab es keinen nennenswerten Widerstand. Bis auf einige vereinzelt geworfene Plastikflaschen und ein bisschen Drängeln an einer Polizeiabsperrung waren diese Vorkommnisse auch schon alles, was diesen Block in seinem Agieren vom Rest des Aufmarsches unterschied. Damit konnte der Schwarze Block keine seiner seitens der Naziszene definierten Funktionen erfüllen. Somit bleibt der Schwarze Block lediglich ein Versuch unter vielen, den Anteil jugendlicher Erlebniswelten auf Aufmärschen weiter zu steigern.
So ähnlich sehen es auch Teile der Organisatoren selber, die den schwarzen Block zwar als lustig und aufregend empfanden, aber über die Wirksamkeit und die Umsetzung der Ursprungsforderungen doch eher enttäuscht waren. Der Rest der Nazi-Szene hat anscheinend gar nicht erst Notiz vom schwarzen Block genommen und so wird dieser auch in keiner der uns vorliegenden Nachbetrachtungen näher erwähnt.
Von Kuba bis nach Palästina
Auch wenn diese Bemühungen um einen schwarzen Block auf dem 1. Mai-Aufmarsch gerade nach dem großen Vorfeldgetöse eher lächerlich und aufgesetzt anmuten, reiht sich diese Adaption linker bzw. antifaschistischer Symbolik in eine ganze Reihe derartiger Versuche ein. So ist es längst nichts besonderes mehr, Nazis mit Palästinenser-Tüchern oder Che-Guevara-T-Shirts auf Aufmärschen zu sehen.
Es stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Motivation der Nazis, Symboliken ihrer politischen Widersacher zu übernehmen. Meist funktionieren die Argumentationsmuster in der Nazi-Szene hier nach einem ähnlichen Schema. Die Symboliken werden aus ihrem (linken) politischen Kontext gerissen und so auf einige wenige Punkte reduziert, dass die Nazi-Szene politisch an diese anknüpfen kann und sie von rechts neu besetzt. Das Palästinenser-Tuch wird so ausschließlich als das Symbol eines unterdrückten Volkes gesehen, welches militant für seine Befreiung gegen die Juden kämpft.
Diese Reduktion passt natürlich in das Weltbild der Nazis, die ihre Identität ganz ähnlich konstruieren und sich selbst als Freiheitskämpfer für ein unterdrücktes (deutsches) Volk sehen, das gegen eine konstruierte jüdische Weltverschwörung kämpft. Ähnlich funktioniert es auch bei Che Guevara und anderen Symbolen wie Liedern von »Ton Steine Scherben« oder »Slime«, die mitunter auf Aufmärschen abgespielt oder von Nazi-Bands gecovert werden. Besonders gut funktioniert dieses natürlich bei Symboliken, deren politischer Gehalt eher platt oder fragwürdig ist.
Nachdem das Konterfei von Che durch die Band Rage against the Machine quasi zum Pop-Symbol erkoren wurde, ist es natürlich nicht mehr besonders schwer, es aus dem eigentlichen Kontext zu entreißen. Auch ein in heutiger Betrachtung platt antiamerikanisch erscheinendes Lied wie »Yankees raus« von Slime braucht nicht mehr besonders weit entkontextualisiert zu werden, um auch von Nazis benutzt zu werden.
Die meisten Teilnehmer von Nazi-Aufmärschen scheinen dieser Argumentation aber trotzdem nicht ganz oder nur widerwillig Folge leisten zu wollen. Dieses äußert sich darin, dass besagte Symboliken zwar auf Aufmärschen relativ weit verbreitet sind, aber auf der Straße vom »Nazi-Fußvolk« kaum benutzt werden. Mitunter kommt es auch zu recht skurrilen Szenen, wie zum Beispiel beim zweiten Nazi-Aufmarsch in Gladenbach, als der Organisator des Aufmarsches, Manuel Mann, einen Tag vorher in einem linken Infoladen eine stattliche Anzahl Palästinensertücher kaufte, um sie an die Teilnehmer zu verteilen. Denen wird es aber auch nicht allzu schwer gemacht, da sie sich trotz dieser ungewohnten Kleidungsstücke nicht von ihrer bisherigen rassistischen Ideologie und Praxis trennen müssen. Bedeuten diese Solidaritätsbekundungen doch auf keinen Fall eine Solidarität mit in Deutschland lebenden MigrantInnen, sondern getreu der »Blut-und-Boden-Ideologie« der Nazis erstreckt sich die Solidarität nur auf Befreiungskämpfer, die auf »eigenem« Boden für ihre Freiheit kämpfen.
An dieser Stelle ist dann auch das Weltbild der »Fußtruppen« vollständig wiederhergestellt, und sie können nach dem Aufmarsch – das Palästinenser-Tuch wurde längst wieder vom Führungskameraden eingesammelt und im Autoradio läuft wieder Landser – trotzdem Hetzjagden auf Südamerikaner machen oder beim arabischen Imbiß einen Brandsatz durch die Scheibe werfen.
Neue Entwicklung oder alter Hut
Für AntifaschistInnen zeigt sich in diesem Phänomen nur ein weiteres Indiz für einen Wandel der Nazi-Szene in eine Jugendbewegung. So ist nur noch ein relativ diffuses »Nazi sein« das einende Moment für diese Bewegung und innerhalb dieser sind fast alle kulturellen Ausprägungen der deutschen Gesellschaft erlaubt, mit denen sich irgendwie (auf Biegen und Brechen) Übereinstimmungen konstruieren lassen. Es ist schon seit Jahren zu beobachten, dass auf Aufmärschen nicht mehr rechte Skinheads die Mehrzahl der Teilnehmenden stellen, sondern ein Mix aus Anhängern verschiedener Jugendkulturen.
Diese Entwicklung hat den faschistischen Kadern in den letzten Jahren vielfältige neue Agitationsfelder eröffnet und die jugendlich geprägte Kameradschaftsszene sah sich einem starken Zulauf ausgesetzt. Mancherorts wurde diese neue Entwicklung fast euphorisch kommentiert. Hinzu kam, dass durch das gewandelte äußere Erscheinungsbild sich die Nazis nicht mehr durch ihr Aussehen gleich als solche zu erkennen geben und sich somit die Ablehnung durch die Gesellschaft auf ein Minimum reduzierte.
Denn wegen der durch sie vertretenen Werte z.B. in Bezug auf Nation, Leistung und Arbeit sind und waren Nazis von weiten Teilen der Gesellschaft nie ausgegrenzt, sondern nur wegen ihres »Nazi seins«. Gerade dieses »Nazi sein« war es, was durch einen Großteil der Medien eben jahrelang als identisch mit dem »Skinhead sein« dargestellt wurde. Diese neuere Entwicklung stellt daher weniger AntifaschistInnen als die Zivilgesellschaft vor das Problem, dass zum Beispiel auf politischen Veranstaltungen immer wieder auch Nazis versuchen mitzudiskutieren, ohne dass eine entsprechende Handhabe gefunden wird. Meistens ist sich kaum jemand sicher, ob es sich überhaupt wirklich um Nazis handelt. Auf Veranstaltungen rund um den Irak-Krieg war dies besonders häufig der Fall, gerade wenn auf Seiten der Zivilgesellschaft antiamerikanische Ressentiments und eine verkürzte Kapitalismuskritik vorherrschten, an welche die Faschisten mit Leichtigkeit anknüpfen können.
Zwischen Subkultur und Beliebigkeit
Trotz verbesserter Agitationsmöglichkeiten und einem breiteren Aktionsfeld in der Gesellschaft hat diese Entwicklung, weg von der Szene, hin zur Bewegung, den Nazis nicht nur Vorteile verschafft. Durch die Verankerung in den verschiedenen Jugendkulturen und den Wegfall des abgrenzenden Skinheadoutfits ist die Identifikation mit der Nazi-Ideologie stark gesunken. Es fällt viel leichter, nach einigen Jahren der politischen Betätigung die Szene wieder zu verlassen und einem scheinbar bürgerlichen Leben nachzugehen. Dieses hat mitlerweile massive Auswirkungen auf die Struktur so mancher Kameradschaften genommen, in denen sich, durch die extreme Kurzlebigkeit bedingt, oft keine erfahrenen Aktivisten mehr befinden. Das früher zentral durch Parteien und Organisationen »verwaltete« nationalsozialistische Weltbild ist oft einem diffusen Mix aus Rassismus und Erlebnishunger gewichen.
So beschwert sich Christian Worch nach der Demonstration in Leipzig über das Auftreten der Teilnehmer: »Solange Befindlichkeitsmode und teilweise grobe Entstellungen von Gesicht und Körper mithilfe von Formen primitiver Stammeskulturen das Bild einer Versammlung zumindest deutlich sichtbar ausmachen, wird sich niemals auch nur eine erkennbare Gruppe seither abseits stehender Deutscher in unserer Mitte einfinden.« (Gemeint waren Piercings und Tattoos. Der Verfasser). Dieses »neue« Lebensgefühl macht sich auf der einen Seite oft in einer gesteigerten Militanz, gepaart mit einem totalen Realitätsverlust gegenüber staatlicher Repression bemerkbar. Auf der anderen Seite sind Konzerte und »autonome Aktionen« interessanter geworden als langweilige Schulungsveranstaltungen und politische Inhalte. Dieser Entwicklung wollten auch die Berliner »Erfinder« des schwarzen Blocks in nichts nachstehen und die ohnehin nur durch ihren extremen Drang zur Selbstdarstellung auffallende Kameradschaft Tor konnte sich so erneut vom Rest der Szene absetzen.
Antifaschistische Praxis?!
Die antifaschistische Bewegung hat diese Entwicklung eine ganze Zeit lang verschlafen und sich nicht ausreichend mit dem Wandel in der Naziszene auseinandergesetzt. So wird lieber darüber gestritten, ob das Benutzen von teilweiser gleicher Symbolik auf Überschneidungen in der Ideologie hindeutet oder nicht, anstatt darüber zu diskutieren, was diese Entwicklung für eine antifaschistische Intervention bedeuten muss. Gerade was die Frage der Verwendung linker Symbole angeht, muss hier aber eindeutig gesagt werden, dass diese Entwicklung keine neue ist! So haben sich Nazis auch schon vor zehn Jahren in Palästinasolidarität versucht und auch linke Symbole wurden schon Anfang der 90er Jahre von der ersten Anti-Antifa-Kampagne aufgegriffen.
Überhaupt wurde schon bei der ursprünglichen Konstruktion des Nationalsozialismus auf linke Symboliken und Phrasen zurückgegriffen. Die Entwicklung, dass Nazis einerseits in vielen Jugendkulturen Fuß gefasst haben und diese Kulturen auf der anderen Seite in eine sich neu formierende Nazibewegung mit einbringen, ist jedoch sehr wohl relativ neu und verlangt nach einem offensiven Umgang.
Antifaschistische Strategie sollte somit nicht mehr nur noch an den offen auftretenden Nazis ansetzen, sondern auch an den Anknüpfungspunkten, die die entsprechenden Jugendkulturen überhaupt interessant für Nazis machen. Ebenso kann es die Aufgabe von AntifaschistInnen sein, das Bild, das die Medien jahrelang von Nazis gezeichnet haben, zu korrigieren und für ein neues Problembewusstsein in der Öffentlichkeit zu werben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Problem Neonazis in der Öffentlichkeit weiter an Stellenwert verliert, da kaum noch jemand die Existenz von Nazis im öffentlichen Raum wahrnehmen wird.
Letztenendes sollte sich eine antifaschistische Linke aber auch über eigene Symboliken und Parolen Gedanken machen, da auch hier, wie beschrieben, genug Einfallstore für faschistische Argumentationen vorhanden sein können.