Skip to main content

Auschwitz-Prozeß 4Ks2/63 Frankfurt am Main

Fast 20 Jahre nach Kriegsende wurde erstmals die Frage der Verantwortung für die Massenvernichtung in Auschwitz-Birkenau in einem großangelegten Prozess in die Wohnzimmer eines bis dahin vornehmlich mit dem Wiederaufbau und der Westeingliederung beschäftigten Publikums gebracht. Am 19.12.1963 begann in Frankfurt der sog. »Auschwitzprozess« . Dieser Prozess, in dem zunächst 22 (später 20) Täter des KZ und Vernichtungslagers Auschwitz angeklagt waren, dauerte zwei Jahre. Es war nicht nur der bis dahin längste, sondern auch der meist beachtetste Prozess vor einem deutschen Gericht. Wiederum 40 Jahre später, im Jahr 2003, eröffnete in Frankfurt am historischen Ort das Fritz Bauer Institut eine Ausstellung, die die Geschichte des Prozesses zum einen dokumentieren, zugleich sich aber auch künstlerisch mit der Thematik auseinandersetzen wollte.
In der Ausstellung selbst, die Ende 2004 auch in Berlin zu sehen war, überwiegt jedoch leider der künstlerische Aspekt gegenüber dem dokumentarischen Interesse. Exemplarisch wird das Prozessgeschehen schwerpunktmäßig an sechs Angeklagten veranschaulicht. Größtes Manko der Ausstellung ist sicherlich, dass die Zeugen als eigenständige Gruppe allzu farblos bleiben, sie kommen lediglich im Zusammenhang mit den Angeklagtenportraits zu Wort, darüber hinaus blicken sie einen stumm von Fotos an der Wand an.
Diesen - und weitere, z.B. den dokumentarischen - Mangel auszugleichen bemühen sich drei Begleitpublikationen. Zum einen ist da der Katalog - mit seinen knapp 900 Seiten und einem Preis von 50 Euro kaum der naheliegendste Kauf -, der sowohl die Kunstwerke der Ausstellung dokumentiert und erläutert, als auch eine Einführung in wesentliche Aspekte der juristischen Aufarbeitung allgemein und des Ausschwitzprozesses im besonderen gibt. übersichtlich gestaltet ist er eine durchaus weiterführende Lektüre. Wirklich hervorzuheben sind aber die pädagogischen Begleitmaterialien zur Ausstellung. Sie füllen besonders gut die Lücke, die die Ausstellung zur Frage der Zeugenproblematik lässt wer waren die Zeugen, wo kamen sie her, wie wurden sie betreut und wie erging es ihnen vor Gericht? Abgerundet werden die Materialien mit einer Hör-CD, die Mitschnitte von 21 Zeugenaussagen enthält.
Insgesamt schwach, weil einseitig, bleibt in der Ausstellung wie auch in den Materialien die Frage der Wirkung und Rezeption des Prozesses. Der Schwerpunkt liegt hier nahezu ausschließlich auf der künstlerischen und intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Thema. So kommt die Frage der öffentlichen Meinung und Stimmung allenfalls indirekt zur Sprache. Dabei wäre es sicher spannend, z.B. die Wirkung des Prozesses auf die später als »68er« etikettierte bundesrepublikanische Linke der frühen 60er Jahre zu beleuchten oder auch die Ergebnisse von zeitgenössischen Meinungsumfragen zu betrachten.
Betrachtet man aber die Ausstellung nicht isoliert, sondern gemeinsam mit Katalog, pädagogischem Begleitheft und der noch zu erwähnenden DVD, die den gesamten 430-stündigen Tonbandmitschnitt der Verhandlung sowie ausgewählte Dokumente des Prozessgeschehens enthält, so ergibt sich ein Gesamtbild, das die immense Bedeutung dieses Prozesses in seinen verschiedenen Facetten deutlich werden lässt und gerade auch durch die DVD zum eigenständigen Weiterlesen/hören/denken einlädt.

Weitere Infos unter www.fritz-bauer-institut.de

Katalog: Fritz Bauer Institut (Hg.): Auschwitz-Prozeß 4Ks2/63 Frankfurt am Main. Köln 2004,49,80 EUR

OVO: Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hg): Der Auschwitz-Prozeß. Protokolle und Dokumente. Berlin: Directmedia Verlag 2004, Die digitale Bibliothek 101, 45,- EUR

Begleitheft: Monica Kingreen: Der Auschwitz-Prozeß. Geschichte, Bedeutung und Wirkung. Frankfurt a.M. 2004, Pädagogische Materialien Nr. 8 (mit CD) 112 S., 15,- EUR, ISBN 3-932883-21-7