Es braucht hier schon etwas mehr als Alarmismus
Nach dem Einzug der NPD in den Schweriner Landtag schwimmen auch die Neonazis in Thüringen auf einer Euphoriewelle und wähnen sich auch hier schon im Landtag. Dieser Artikel ist der Versuch zu untersuchen, ob es in Thüringen dafür die Voraussetzungen und die Strukturen gibt und zu beschreiben wie die Neonazis dabei vorgehen.
Erklärtes Ziel der Thüringer NPD ist es, 2009 mit Fraktionsstärke in den Landtag einzuziehen. Dafür bereitet sie seit geraumer Zeit das Feld. Gliederte sich die NPD im Jahr 2003 noch in sieben Kreisverbände, so sind es aktuell 13. Auch ihre Mitgliederzahl ist im gleichen Zeitraum nach eigenen Angaben von 150 auf 437 (Stand Juli 2006) gestiegen. Damit haben sie fast die Thüringer Grünen erreicht. Durch ihre flächendeckende Präsenz in Thüringen und mit Unterstützung der Freien Kameradschaften hofft die NPD, einen für sie erfolgreichen Wahlkampf führen zu können. Spannend wird sein, ob sich die NPD an ihre Vereinbarung mit der DVU halten wird. Diese sieht für die Landtagswahl 2009 ein Antreten der DVU in Thüringen vor.
So zitierte die Berliner Zeitung schon jetzt den NPD-Vizechef Peter Marx, dass der »Deutschland-Pakt« mit der DVU neu verhandelt werde müsse, wenn die NPD in Mecklenburg-Vorpommern in den Schweriner Landtag einziehen sollte, was nunmehr geschehen ist. Das Dementi vom NPD Parteisprecher Klaus Beier, dass der Vertrag mit der DVU eingehalten wird, wirkt dabei eher wenig überzeugend. Denn allein unter der Führung der NPD werden die Freien Kameradschaften zu bewegen sein, aktiv Wahlkampf in Thüringen zu betreiben. Die anderen extrem rechten Parteien (DVU, DP, REP) spielen in Thüringen de facto keine Rolle und entwickeln auch fast keine Aktivitäten. Erwähnenswert ist lediglich das DVU-Stadtratsmitglied Uwe Bäz-Dölle in südthüringischen Lauscha. Er gilt als angesehener und engagierter Lokalpolitiker und erreichte bei der Bürgermeisterwahl im Mai diesen Jahres erschreckende 18 Prozent.
Bei den Landtagswahlen in Thüringen im Juni 2004 erreichte die NPD 1,6 Prozent – knapp 15.700 Menschen wählten sie. Bei den 15 Monate später durchgeführten Bundestagswahlen erzielte sie 3,7 Prozent oder knapp 53.000 absolute Wählerstimmen. Auf der Landesliste der NPD kandidierten dabei Walter Beck und Uwe Bäz-Dölle von der DVU und Kurt Hoppe von der DP. Die NPD festigte damit nicht nur ihre Vormachtstellung im extrem rechten Lager – die Republikaner erhielten 0,7 Prozent (knapp 10.000 Stimmen) – sie erreichte nach Sachsen auch das zweitbeste Landesergebnis. Gerade in ländlichen Gegenden oder in der Peripherie von größeren Städten und vor allem dort, wo schon seit längerem extrem rechte Akteure und neonazistische Organisationen relativ ungehindert für ihre ideologischen Ziele werben können, erreichte die NPD deutlich über fünf Prozent.
Viele bewerteten die Wahl als Protestwahl und blendeten so die eigentliche Situation aus. Denn Neonazis haben sich in den letzten Jahren vermehrt lokalen Themen zugewandt bzw. nutzen diese, um ihre völkische Ideologie zu verbreiten und sich als Sprachrohr der von den großen Volksparteien Vergessenen darzustellen. So beteiligen sich Neonazis aktuell mit Transparenten und Flugblättern an den Protesten gegen die geplanten Subventionskürzungen der Thüringer Theater, protestieren gegen Müllverbrennungsanlagen oder säubern Parks und Kriegsdenkmäler.
Rechtsextreme Lokalblätter
Im Zuge ihrer Bemühungen, sich als ernstzunehmender kommunalpolitischer Akteur zu etablieren, stellen lokale extrem rechte »Mitteilungsblätter« ein wichtiges Medium ihrer Öffentlichkeitsarbeit dar. Sie haben so unscheinbar daher kommende Namen wie »Der Rennsteig Bote«, der vom Neonazi-Kader Sebastian Reiche für den Landkreis Gotha herausgegeben wird. Reiche war lange in der Kameradschaftsszene aktiv und ist seit April 2006 Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Gotha und seit Juli im Landesvorstand der Thüringer NPD. Für Eisenach und Umgebung gibt es den »Der Wartburgkreis Bote«, für den sich Patrick Wieschke verantwortlich zeigt.
Wieschke ist einer der aktivsten Neonazis in Thüringen. Wegen der Beihilfe an einem Sprengstoffanschlag auf einen türkischen Imbiss in Eisenach im Mai 2000 verbrachte er zwei Jahre im Gefängnis. Seit diesem Jahr übt er die Funktion des Landesgeschäftsführers für die Thüringer NPD aus. Die Auflage der beiden Hefte beträgt circa 20.000 und erreicht die Haushalte per Postwurfsendung. Der extrem rechte Hintergrund der Autoren ist für nicht besonders an Politik interessierte Menschen schwer zu erkennen. Die Artikel kritisieren meist die großen Volksparteien und stellen sich als Sprachrohr der Interessen und der Probleme der »kleinen Leute« dar.
Das gleiche Ziel verfolgt die »Bürgerstimme«, das »Mitteilungsblatt freier Kräfte der Region Erfurt – Arnstadt«. Der Herausgeber Patrick Paul studiert und wohnt in Erfurt und ist einer der intellektuellen Köpfe der Neonazis in Thüringen. Auf Demonstrationen setzt er sich schon mal mit der »Frankfurter Schule« auseinander. Jüngst konnte sein Praktikum im Erfurter Landtag in letzter Minute verhindert werden. Anders als die schon genannten Lokalblätter äußert sich die »Bürgerstimme« offen rassistisch, indem sie beispielsweise Kindergeld nur für deutsche Kinder oder die »Einquartierung« von zehn Schwarzafrikanern« in Wohnungen von namentlich genannten Antifaschisten fordert.
Die DVU-Postille »Der Pappenheimer« wird per Postwurfsendung im südthüringischen Lauscha und Umgebung verteilt. Für diese zeichnet sich der 37jährige Finanz- und Unternehmensberater Mike Steiner verantwortlich, welcher einer der Köpfe der Kameradschaft Lauscha ist und auch dem Thüringer Heimatschutz zuzurechnen ist. Artikel von Udo Voigt zeigen die extrem rechte Intention des Blattes. Zu lesen ist auch von Aktivitäten der örtlichen Kameradschaft, die sich für die Pflege und den Erhalt von Wanderhütten einsetzt.
Verhältnis von NPD und Freien Kameradschaften in Thüringen
Nachdem Frank Schwerdt im April 2001 den Landesvorsitz übernommen hat, lässt sich eine intensivere Zusammenarbeit von NPD und freien Kräften beobachten. Der im Bundesvorstand der NPD sitzende Schwerdt steht schon seit den 1990er für die enge Zusammenarbeit mit den Kameradschaften. Es gibt in Thüringen keinen einzigen Neonazi-Kader, der der NPD mit Vorbehalten entgegen tritt. Im Gegenteil, denn in den letzten Jahren sind Leute wie Michael Burkert (Gotha), Martin Rühlemann (Weimar), Sven Geyer (Arnstadt), Reiche und Wieschke in die NPD eingetreten und haben dort Führungspositionen eingenommen. Andere aktive Thüringer Neonazis, die noch nicht Mitglied der NPD sind, wie André Kapke (Jena), Patrick Paul (Erfurt) und Thomas Gerlach (Kampfbund deutscher Sozialisten, Meuselwitz b. Altenburg) arbeiten eng mit der NPD zusammen. Der Zuzug von Thorsten Heise nach Thüringen (Fretterode) und dessen Funktion beim Referat Kameradschaften bei der Bundes-NPD verstärkte ebenso diese Zusammenarbeit. Auf dem Grundstück von Heise steht das in Marienfels an der Lahn zerstörte und jetzt wieder reparierte Denkmal des 1. Panzerkorps der Waffen-SS. Hier finden auch regelmäßig Kameradschaftsabende statt.
Die Thüringer Kameradschaften haben sich in den letzten Jahren stark verbreitet. In fast jeder etwas größeren Stadt Thüringens sind sie mittlerweile zu finden. Auf ihren Homepages berichten sie teilweise sehr freimütig von ihren Aktivitäten. Beispielsweise berichtet die Kameradschaft Blankenhain im Weimarer Land, dass sie in den umliegenden Dörfern umfangreiche Wahlwerbung für die NPD betrieben hat. So verwundert es nicht, dass dem Ortsteil Tromlitz von Blankenhain, wo der NPD-Bürgermeisterkandidat Jan Morgenroth im Mai 2006 38 Prozent erreichte, selbst Udo Voigt einen Besuch abstattete. Die Kameradschaft Zella-Mehlis organisiert schon mal eine größere Kulturfahrt nach Nordrhein-Westfalen und zeigt sich 45 Personen stark vor einem Kaiser-Wilhelm-Denkmal.
Die »Freien Kräfte Erfurt« berichten von einem Wikingerfest im August diesen Jahres mit »Wissenstest«, Bogenschießen und anderen antiquierten Sportarten. Ein regelmäßiges Herbstfest veranstaltet der »Nationale Widerstand Jena«. Fußballturniere dürfen ebenfalls nicht fehlen: In Pennewitz (Ilmkreis) trafen sich zum fünften Mal in Folge 200 Neonazis, um in zehn Mannschaften gegeneinander zu kicken. Der Bürgermeister und der Sportverein hatten nichts dagegen, da sie sich sicher sein konnten, dass alles ruhig verlaufen wird. Nur dieses Jahr versuchten Antifas durch verschiedene Aktivitäten dieser groben politischen Fahrlässigkeit etwas entgegen zu setzen. Ihnen und der Öffentlichkeitsarbeit der Linkspartei ist es zu verdanken, dass der Landrat äußerte, dass es das letzte Turnier gewesen sein soll. Fast schon traditionell sind die Sommer- und Wintersonnenwendfeiern zu nennen oder regelmäßig stattfindende Wanderungen und Wochenendausflüge. Diese rechte Erlebniswelt hat eine große Bindungskraft nach innen, fördert den Zusammenhalt, erfüllt soziale Bedürfnisse der KameradInnen und schafft positive Gruppenerlebnisse.
Durch diese Aktivitäten machen sich die Kameradschaften gleichzeitig attraktiv für andere Jugendliche, weil »bei denen ja was los ist«. Bei einer fast nicht mehr vorhandenen engagiert-demokratischen oder emanzipatorischen Jugendarbeit und einem Fehlen von alternativen Subkulturen vor allem in Kleinstädten und im ländlichen Raum ist ihr rechtes Erlebnisangebot oft alternativlos.
Gewalttaten mit einem rechten Hintergrund werden von den Ermittlungsbehörden selten als solche eingestuft. Das Land Thüringen meldete mit 53 rechtsextremen Gewalttaten die geringste Zahl in den neuen Bundesländern. Viele Opfer schweigen aus Angst vor den möglichen Folgen einer Anzeige durch die Täter. Ihr Misstrauen in Polizei und Rechtsprechung ist entsprechend groß, denn oft erfahren die Opfer bei Übergriffen Gleichgültigkeit durch die Polizei und die Verfahren werden meist eingestellt. Auch erleben sie bei Beschimpfungen und Übergriffen keine Hilfe von den Umherstehenden. Weit verbreitete rassistische Ressentiments belegt eine jährliche Thüringer Studie. 60 Prozent der Thüringer sind der Meinung, dass die BRD durch Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet sei. Forscher der Uni Jena bescheinigen 22 Prozent der Menschen in Thüringen ein recht geschlossenes rechtes Weltbild.
Neonazistische Konzerte und Bands
Mindestens 31 neonazistische Konzerte zählten Szenekenner im vergangenen Jahr in Thüringen (2004 waren es 19). Mittlerweile ist es auch hier Standard, Kameradschaftsabende oder NPD-Veranstaltungen mit Konzerten oder Liederabenden ausklingen zu lassen. Vor bis zu 1800 Neonazis traten mehrere Neonazibands nach dem NPD-Landesparteitag am 2. April 2005 in Pößneck auf. Michael Regeners »Lunikoff Verschwörung« mobilisierte so zum größten Neonazikonzert der Republik im vergangenen Jahr. Für das NPD-Open-Air in Gera (seit 2003), das »Fest der Völker« in Jena oder den »Thüringentag der nationalen Jugend« (seit 2002) helfen schonmal die Parteistrukturen bei der Anmeldung und im Rechtsstreit.
Die zweite Auflage des »Fest der Völker« wurde zwar in diesem Jahr auf Grund der Sicherheitslage zur WM verboten, ist aber für das kommende Jahr am 2. Juni wieder angemeldet. Selbst die finanziellen Einbußen hindern die Thüringer Neonazis nicht an einer Wiederholung. Es gehört schon einiges an logistischen und organisatorischen Fähigkeiten dazu, europäische Neonaziredner und –bands nach Thüringen zu holen. Dabei helfen die alten Blood & Honour Strukturen, die auch in Thüringen weiter fortbestehen. Nicht ohne Grund wurden bei einer bundesweiten Polizeiaktion am 7. März 2006 in sechs Thüringer Städten elf Wohnungen durchsucht.
Doch Neonazis in Thüringen benötigen nicht die NPD, um Konzerte erfolgreich durchzuführen. So traten in den von der Stadt gemieteten Lagerräumen eines Hausmeisterdienstservice in Saalfeld-Gorndorf Neonazibands auf. In den gepachteten Räumen des rechtsextremen Toringi e.V. in Gotha, dessen Vereinszweck unter anderem die Brauchtumspflege ist, gab es mehrere Konzerte bis die Räume nach einem Gerichtsbeschluss versiegelt wurden. Auch im südthüringischen Sonneberg veranstaltete der Neonazi Ricky Nixdorf ohne Parteiunterstützung mehrere neonazistische Konzerte. Er galt als Mitglied mehrerer RechtsRock-Bands (Volksverhetzer, Sturmangriff, Blutstahl und Ungeliebte Jungs). Es muss von einer Dunkelziffer an durchgeführten Konzerten ausgegangen werden, über die nur selten etwas zu lesen ist.
Antifaschistische Gegenwehr und staatliche Maßnahmen
In den letzten zwei Jahren haben sich in einigen Regionen wieder antifaschistische Gruppen gebildet und vernetzt. Vor allem ist die antifaschistische Recherche verbessert worden. Doch um wirklich aktionsfähig zu sein, sind die antifaschistischen Gruppen zu klein. Sie bestehen meist aus jungen Menschen, von denen die wenigsten in Thüringen bleiben werden. Ihr Engagement erfährt zu wenig Unterstützung aus dem linksbürgerlichen Lager. Indem sie das zunehmende Problem des Neonazismus in Thüringen ansprechen, werden sie selbst als Problem von der Mehrheitsgesellschaft bezeichnet und mit den Neonazis in den »Extremismus-Topf« geworfen. Die südthüringer Antifagruppe AGST deckte jüngst Verbindungen von Neonazis mit einem Fussballverein in Zella-Mehlis auf und sieht sich jetzt mit dem Zorn des Bürgermeisters und der Stadtmehrheit konfrontiert, die einen Imageschaden für »ihre« Stadt befürchten.
Seitens der CDU-geführten Thüringer Landesregierung erfahren Projekte und Initiativen, die gegen Neonazismus arbeiten, keinerlei Unterstützung. Die CDU fördert nur, wer ihnen wohlgesonnen ist. Dem engagiert arbeitenden Opferberatungsprojekt ABAD wurden auf Druck der Landesregierung die Bundesmittel verweigert. Seitdem betreibt ein der CDU genehmer Jenaer Verein die Opferberatung in Thüringen weiter, welcher Neonazi-Übergriffe in keinster Weise öffentlich thematisiert und darüber hinaus noch weniger Übergriffe zählt als die staatlichen Behörden. Ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus wurde zwar mehrfach von den Oppositionsparteien gefordert. Dafür wird es aber vermutlich erst 2009 eine Chance geben, wenn die CDU vielleicht nicht mehr allein regiert und die NPD im Landtag ist. Es gibt in Thüringen nicht nur keinen Aufstand der Anständigen der diesen Namen verdient, sondern auch keinen Aufstand der politisch Zuständigen. Innenminister Gasser sagte vor der Wahl in Mecklenburg Vorpommern, dass Thüringen die Rechtsextremen im Griff hat.
Die Thüringer NPD hat mit Unterstützung der Freien Kameradschaften eine reelle Chance, 2009 ins nächste ostdeutsche Landesparlament einzuziehen. Durch den Ausbau ihrer Strukturen, ihr Wirken im vorpolitschen Raum mit Erlebnisangeboten für junge Menschen, ihre vermehrten Aktivitäten in den Kommunen und die weite Verbreitung von extrem rechten Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft stellen für einen Einzug in den Erfurter Landtag eine gute Basis dar. Hinzu kommt die derzeitige Schwäche der antifaschistischen Gegenwehr sowie die Untätigkeit der politisch Verantwortlichen.