Kerberos der Festung Europa
Die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX wird zur Koordinationsstelle der europäischen Grenzregimes ausgebaut
»Auch den Kerberos sah ich, mit bissigen Zähnen bewaffnet
Böse rollt er die Augen, den Schlund des Hades bewachend.
Wagt es einer der Toten an ihm vorbei sich zu schleichen,
So schlägt er die Zähne tief und schmerzhaft ins Fleisch der Entfliehenden
Und schleppt sie zurück unter Qualen,
Der böse, der bissige Wächter.«
(Homer, Odyssee)
Phantasievolle Namen sind etwas seltenes in den Behörden der Europäischen Union. Doch die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX ist anders. Beginnend mit ihrem eigenem bildhaften Namen betitelt sie ihre Operationen an Europas Außengrenzen mit Vorliebe nach Göttern und Monstern der griechischen Antike: Hera (Kanarische Inseln), Poseidon (östliches Mittelmeer) oder Hydra (chinesische Flugreisende). Ein FRONTEX-kritischer Blog kürte die geistreichen Grenzbeamten daraufhin zum Kerberos des EU-Grenzregimes, benannt nach dem mehrköpfigen Höllenhund, der den Eingang zur Unterwelt bewacht.
100.000.000 Euro für FRONTEX
FRONTEX ist die »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen« und nahm im Oktober 2005 in Warschau die Arbeit auf. Zu ihren Aufgaben gehören »Risikoanalysen«, Ausbildungs- und Forschungsprogramme und Abschiebungen. Am bekanntesten ist sie jedoch für ihre medienträchtigen Kontrolloperationen in Mittelmeer und Atlantik, bei denen FRONTEX gemeinsame Einsätze von Schiffen, Flugzeugen und Hubschraubern der Mitgliedsstaaten koordiniert.
Obwohl das Budget der von der EU und den Schengen-Staaten finanzierten Grenzagentur seit der Gründung massiv angestiegen ist, von 19 Millionen. in 2006 auf bis zu 100 Millionen. im Jahr 2009, liegt ihre momentane Bedeutung nicht primär in einer effektiveren Kontrolle der Zehntausenden Kilometer europäischer Außengrenze. Mittelfristig noch wichtiger erscheint die Produktion von Erfahrungen und Kooperationsnetzwerken, die Grundlage für den weiteren institutionellen und technologischen Ausbau des EU-Grenzregimes sind.
»Integriertes Grenzmanagement«
FRONTEX ist dabei nur ein Element, der seit Jahren diskutierten Europäischen Grenzmanagementstrategie. So präsentierte der EU-Kommissar für Justiz und Inneres Franco Frattini im Februar 2008 eine »Vision für ein integriertes europäisches Grenzmanagement für das 21. Jahrhundert«. Dieses sogenannte »Border Package« enthielt eine Evaluation von FRONTEX und Vorschläge für mehrere technologische Großprojekte: Das European Surveillance System (EUROSUR) soll Informationen von Satelliten, Drohnen, Radar, Geheimdienstberichten und andere Quellen technisch integrieren, um Europas Grenzen bis 2013 in »fast-Echtzeit« vollständig zu überwachen.
Ein neues Datenbank-System soll bis 2015 alle Reisenden, die mit einem Visum in den Schengen-Raum ein- und ausreisen biometrisch registrieren. Reist eine Person nach Ablauf eines solchen Visums nicht aus, soll sie automatisch zur Fahndung ausgeschrieben werden. Diese Projekte entsprechenden dem Ansatz eines »Integrierten Grenzmanagements«, dessen zentrales Konzept ein vierstufiger Grenzraum ist: In von Europa weit entfernten Ländern setzt die Kontrolle durch Konsulate und Transportunternehmen an, die Kooperation mit den Grenzschutzbehörden direkt »jenseits der Grenze« bildet den zweiten Ring. Die traditionelle Überwachung »an der eigenen Grenze« bildet erst die dritte Stufe. Schließlich wird auch der Raum »innerhalb der Grenze« durch Ausweiskontrollen, Residenzpflicht und Lager zum Teil des Grenzraumes.
FRONTEX sollte in seiner Bedeutung also nicht überschätzt werden. Die Agentur ist ein wichtiger Baustein einer langfristigen Umgestaltung des europäischen Migrations- und Grenzregimes, die von den EU-Mitgliedsstaaten und vor allem Deutschland vorangetrieben und finanziert wird. Nach Willen der EU-Kommission soll FRONTEX jedoch in diesem Regime eine wichtige Rolle spielen. Es soll das EUROSUR-System koordinieren, eigenes Gerät zur Grenzkontrolle erhalten, neue Stützpunkte in Südeuropa eröffnen und das Recht bekommen, in Nicht-EU-Staaten eigenständig Kontrolloperationen durchzuführen. FRONTEX wird damit nicht nur zur Keimzelle einer EU-Grenzpolizei, sondern einer Koordinationsstelle, die von Abschiebungen über Risikoanalysen bis zur Forschung das Grenzregime koordinieren soll.
Kritik und Widerstandsperspektiven
Von dieser Einordnung ausgehend, lässt sich über Widerstandsperspektiven nachdenken. Aus einer liberalen Sicht wird FRONTEX vor allem aus zwei Gründen kritisiert: Erstens verletzen die FRONTEX-Operationen in Mittelmeer und Atlantik internationales und europäisches Recht, unter anderen die Genfer Flüchtlingskonvention, da sie Menschen gewaltsam an der Weiterfahrt nach Europa hindern, noch bevor diese EU-Territorium erreicht haben – ohne die vorgeschriebene Einzelprüfung von Asylanträgen, ohne schriftliche Begründung, ohne die Möglichkeit Widerspruch einzulegen. Der zweite liberale Kritikpunkt ist die mangelnde demokratische Kontrolle und Verantwortlichkeit von FRONTEX. Während das Europaparlament und der Ministerrat die Budgetkontrolle ausüben, sind die allen Operationen zugrundeliegenden »Risikoanalysen« als geheim klassifiziert. Auf diese Weise ist die Legitimationsbasis für die Operationen von öffentlicher Kontrolle ausgenommen. So lange die Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments und der Öffentlichkeit in dieser Weise beschränkt sind, kann FRONTEX nicht einmal liberaldemokratische Legitimität beanspruchen.
Doch selbst wenn die EU-Grenzagentur keine Gesetze brechen würden (was sie tut) und wenn liberaldemokratische Legitimität gewährleistet wäre (was sie nicht ist), muss FRONTEX aus antinationaler antirassistischer Perspektive, die von einem Recht auf globale Bewegungsfreiheit ausgeht, als Ganzes abgelehnt werden. Eine transnationale Kampagne gegen FRONTEX ist dabei nicht nur notwendig, weil FRONTEX direkt für das Ansteigen der Zahl der Todesopfer an der europäischen Außengrenze verantwortlich ist. Die zynische Einseitigkeit mit der FRONTEX die Bekämpfung von Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben betreibt und die offensichtlichen Widersprüche dieser Institution bieten zusammen mit dem martialischen Namen und den mythenbehafteten Operationsnamen die Chance eine Anti-FRONTEX-Kampagne als Ansatzpunkt zu einer weitergehenden Infragestellung der europäischen Migrationspolitik insgesamt zu nutzen.
Mehr Infos:
FRONTEX-kritischer Blog und Archiv: http://frontex.antira.info
Offizielle FRONTEX-Homepage: www.frontex.europa.eu
Literatur:
CARRERA, SERGIO (2007): The EU Border Management Strategy. FRONTEX and the Challenges of Irregular Immigration in the Canary Islands. CEPS Working Document No. 261/March 2007. Brussels. Online: http://ceps.eu
FISCHER-LESCANO, Andreas; Löhr, Tillmann (2007): Rechtsgutachten. Menschenund flüchtlingsrechtliche Anforderungen an Maßnahmen der Grenzkontrolle auf See. Berlin. Online: http://www.proasyl.de