Der NSU-VS-Komplex
Wolf WetzelWolf Wetzel will nicht zur Aufklärung der Taten des NSU und den Verstrickungen der Sicherheitsbehörden beitragen, indem er versucht zu beweisen, »wie es wirklich war«. Vielmehr stellt er in (staats-)kritischer Absicht und auf Grundlage bekannter Fakten andere mögliche Erklärungen der Abläufe vor oder nährt zumindest Zweifel an den offiziellen Darstellungen.
Es gelingt Wetzel mehrfach überzeugend, erhebliche Ungereimtheiten in den medial präsenten Erzählungen aufzuzeigen: das Nichtbeachten der Kontaktliste des frisch geflüchteten Trios durch die Fahnder lässt sich nicht mit Versagen, die Anwesenheit und das Verhalten des Verfassungsschützers Andreas T. an einem der Tatorte nicht mit Zufall plausibel erklären. Auch die These der Selbsttötung der schwer bewaffneten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aus Verzweiflung über ihre Entdeckung durch zwei Streifenbeamte lässt Wetzel nicht durchgehen.
Zu den Stärken des Buchs gehören ein lesenswertes Kapitel zur Bewertung politischer Forderungen im Umgang mit den Geheimdiensten und Wetzels Aufruf zu einer Debatte über Faschismustheorien. Leider ist das Buch zu eilig fertiggestellt, Tippfehler und inhaltliche Dopplungen stören bei der Lektüre. Zudem kann er nur mögliche Interpretationen anbieten, der zwangsläufig fehlende Wahrheitsanspruch stellt jedoch ein Problem dar.
So scheinen für Wetzel die im NSU-Umfeld präsenten V-Leute die umfassende Mitwisserschaft der Sicherheitsbehörden unmittelbar zu belegen und nicht etwa deren Versagen. Ebenso gebe es für die großangelegten Schredderaktionen nur die Erklärung, dass eben genau Beweise zum Wissen der Behörden über die Taten des NSU vorgelegen haben müssen und nicht etwa Datenmaterial über andere Straftaten und Peinlichkeiten, die sich über die Jahre angesammelt haben könnten. Keine Frage, die Vermutungen Wetzels könnten so oder so ähnlich stimmen, müssen sie aber nicht. Deshalb werden sie solange unbeachtet neben den offiziellen Versionen stehen, bis sich das Wissen darüber ändert, wie es wirklich war. Der beginnende Prozess in München lässt hoffen, dass Wetzel seine Perspektive mit neuem Material weiterverfolgen kann.
Wolf Wetzel:
Der NSU-VS-Komplex
Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf?
Unrast, Münster 2013
130 Seiten