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»Wild Bill« setzte auch auf Kommunisten

Peter Fisch
Einleitung

Das Nationalkomittee »Freies Deutschland« (NKFD) wurde am 12./13. Juli 1943 in Krasnogorsk bei Moskau gegründet. In ihm befanden sich sowohl Militärs der deutschen Wehrmacht, die sich in russischer Kriegsgefangenschaft offen gegen Nazideutschland positionierten, als auch deutsche kommunistische Emmigrant_innen.Das Nationalkomittee »Freies Deutschland« (NKFD) wurde am 12./13. Juli 1943 in Krasnogorsk bei Moskau gegründet. In ihm befanden sich sowohl Militärs der deutschen Wehrmacht, die sich in russischer Kriegsgefangenschaft offen gegen Nazideutschland positionierten, als auch deutsche kommunistische Emmigrant_innen.

Foto: Bundesarchiv; Bild 183-P0926-309 /CC BY SA 2.0

Sitzung des NKFD, sitzend rechts: Erich Weinert, Präsident des Komitees, links daneben: General von Seydlitz.

Bereits wenige Tage nach der Kons­ti­tuierung des NKFD stellte der Leiter der Planungsgruppe des US-Geheimdienstes »Office of Strategic Services« (OSS), James Rogers, fest, dies sei einer »der weitreichendsten Schritte, den die sowjetischen Regierungsstellen bis jetzt mit Auswirkungen auf ihre zukünftigen Beziehungen zu den Vereinten Nationen unternommen haben«. Auch die Gründung des Bundes Deutscher Offiziere (BDO) am 21./22.September 1943 in einem Gefangenenlager in Lunjowo, ebenfalls bei Moskau, sowie die Entstehung analoger Bewegungen »Freies Deutschland« in den westlichen Ländern (Frankreich, England, Mexiko u. a.) wurden in den USA aufmerksam und zugleich argwöhnisch beobachtet.

Für die Washingtoner Administration war wichtig, welche Schlussfolgerungen daraus für die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen im Krieg abzuleiten wären. Einig waren sich die US-Behörden im Urteil, dass die Gründung des NKFD ein »meisterhafter Schachzug« der UdSSR gewesen sei, wie es in einer Studie der OSS-Forschungsabteilung »Research and Ana­ly­sis« (R & A) »German Situation in 1918 and 1943« vom August 1943 hieß.

Das OSS erkannte im NKFD wie im BDO zutreffend die Wiederaufnahme kommunistischer Volksfrontpolitik. Von allen 33 Personen, Wehrmachtsoffizieren wie Zivilisten, die das Manifest des NKFD unterzeichnet hatten, wurden Psychogramme erarbeitet. Das erste OSS-Fazit lautete: Das NKFD ist kommunistisch dominiert, wird von der sowjetischen Führung unterstützt und strebt eine breite Front aller Hitler-Gegner an, bei gleichzeitigem Verzicht auf eine revolutionäre Strategie. Im Fokus des Interesses des OSS standen die Programme des NKFD und BDO. Erkannt wurde die vorrangige Absicht psychologischer Einwirkung auf die Wehrmachtssoldaten sowie deren Angehörige in Deutschland. Man vermutete, das deutsche Heer solle zum Rückzug nach Deutschland, zum Sturz des Hitler-Regimes sowie zur Bildung einer »nationalen Regierung« bewogen werden. Dies würde freilich mit dem alliierten Grundsatz der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands (Casablanca-Formel) kolli­dieren. Einige OSS-Analysten hegten die Befürchtung eines deutsch-sowjetischen Separatfriedens bzw. die Nutzung des NKFD als Trumpfkarte in den Verhandlungen zwischen den Alliierten.
Noch während die Schlachten in Ost und West tobten, sah das OSS bereits die »Gefahr der Sowjetisierung Ost- und Mitteleuropas« nach dem Krieg. Lange Zeit hielt sich im US-Geheimdienst die Auffassung, Stalin beabsichtige aus dem NKFD die deutsche Nachkriegsregierung zu formieren. Aus diesem Grund war das OSS sehr daran interessiert, ein konkretes Stimmungsbild der Deutschen im »Reich« und deren Meinungen zum NKFD und BDO zu ermitteln. Diese analytische Arbeit erbrachten Emigranten, die vor Hitlers Machtantritt der Frankfurter Schule angehört hatten. Die Resultate waren ernüchternd: Eine übergroße Mehrheit der Deutschen sei nicht bereit, mit dem Regime zu brechen, obwohl dessen Agonie 1944/Anfang 1945 längst offensichtlich war.

Etwa Mitte 1944 entwickelte das OSS neue Denkansätze zur Paralysierung des NKFD: Erwogen wurden amerikanische Gegen- oder Komplementärmaßnahmen (u. a. Etablierung eines ähnlichen Komitees oder einer »Generalsgruppe« analog des BDO bzw. einer deutschen Exilregierung), zweitens Verbesserung der eigenen psychologischen Kriegsführung und drittens Festigung der Beziehungen zur UdSSR. Die Gründung von Gegen-Komitees scheiterte an Zerwürfnissen innerhalb der deutschen  Emigration in den USA sowie an divergierenden Auffassungen zwischen dem State Department, dem OSS, der R & A-Abteilung und dem Berner OSS-Residenten John Foster Dulles.

Entscheidend war letztlich, dass US-Präsident Franklin D. Roosevelt ohne Einschränkung am Bündnis mit Stalin festhielt, auch um zu verhindern, dass Deutschland die Alliierten gegeneinander ausspielte.

Maxime der USA war Ende 1944 /Anfang 1945, die eigene militärische Präsenz in Europa auszubauen. Ergänzend dazu sollten deutsche Kriegsgefangene in der Kriegspropaganda stärker eingespannt sowie deutsche Emigranten aus dem Umkreis der auch in Amerika gegründeten Bewegungen »Freies Deutschland« für einen geheimdienstlichen Einsatz in Deutschland rekrutiert werden. Nach Genehmigung durch das Alliierte Oberkommando im November 1944 verwies OSS-Direktor William Joseph (»Wild Bill«) Donovan explizit darauf, hierfür auch linksorientierte Emigranten zu gewinnen, Kommunisten eingeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt hatten Briten und Amerikaner bereits 25 sowjetische Kundschafter nach Europa eingeschleust.

Insgesamt organisierte das OSS zwischen September 1944 und Mai 1945 den Einsatz von 55 Gruppen in Deutschland; dazu kamen noch 76 kurzfristige Sonderkommandos. Für die OSS-Aktion »Hammer« unter dem Kommando des 29-jährigen US-Leutnant Joseph Gould im März 1945 war zwecks fähiger Einsatzkandidaten Kontakt zum deutschen Kommunisten und US-Oberstleutnant Jürgen Kuczynski in London aufgenommen worden, der dort im »Strategic Bombing Survey« tätig war. Der spätere Nestor der DDR-Wirtschaftswissenschaften sorgte zugleich dafür, dass der Nachrichtendienst der Roten Armee (GRU) und die Moskauer KPD-Führung entsprechend informiert wurden. Besonders enge Kontakte, vermittelt durch den US-Diplomaten und Gründer einer Hilfsorganisation Noel H. Field, unterhielt der OOS zum kommunistisch dominierten »Comité ›Allemagne libre‹ pourl'Ouest« (CALPO) in Frankreich.

So widersprüchlich sich die Beziehungen zwischen dem US-Geheimdienst OSS und den Bewegungen »Freies Deutschland« gemäß der divergierenden Interessenlage der Haupt­mächte der Anti-Hitler-Koalition gestalteten, so widerspiegelten sie doch auch einigende Momente. Die US-Behörden waren bereit, ihr Misstrauen gegenüber dem NKFD im Interesse des Sieges über Hitlerdeutschland zurückzustellen. Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erhielten zwei deutsche Kommunisten, Anton Ruh und Paul Lindner, den Silver Star, eine hohe militärische Auszeichnung der USA. Sie waren mit Hilfe Kuczynskis im Umfeld des britischen Komitees »Freies Deutschland« für die Gould-Mission gewonnen worden und wurden in den letzten Kriegswochen 1945 bei Berlin mit dem Fallschirm abgesetzt, um für den OSS Informationen aus der Reichshauptstadt zu liefern. Die Ehrung nahmen 2006 posthum deren Kinder entgegen.
 

Nachdruck aus »Neues Deutschland« vom 13./14. Juli 2013. Mit freundlicher Zustimmung der »Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH«.