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Afghanistan: Verkrampftes Festhalten der Politik an einer beschämenden Abschiebepraxis

Stephan Dünnwald
Einleitung

Seit Oktober 2016 gibt es ein Übereinkommen zwischen der deutschen Bundesregierung und der Islamischen Republik Afghanistan, nach der abgelehnte afghanische Flüchtlinge ohne große Formalitäten auch ohne Reisepass nach Kabul abgeschoben werden können. Deutschland und die EU machten für dieses Zugeständnis der afghanischen Regierung mehrere Milliarden Euro für Hilfen locker. Seit dem 14. Dezember 2016 gibt es nun regelmäßige Abschiebungen nach Afghanistan. Obwohl in den ersten sechs Monaten nach der Übereinkunft fünfzig Afghanen pro Flugzeug hätten abgeschoben werden können, ist es den Behörden kein einziges Mal gelungen, auch nur in die Nähe dieser Zahl zu kommen. 23 Abschiebungen war die Höchstzahl, in vielen Fällen wurde gerade einmal ein Dutzend abgeschobene Menschen in einem Flugzeug nach Afghanistan gebracht.

Foto: Tim Wagner, CC BY-NC 2.0

Fragwürdige Kategorien

Seit am 31. Mai 2017 eine Bombe vor der Deutschen Botschaft in Kabul explodierte, und die für den gleichen Tag angesetzte Abschiebung ausgesetzt worden war, verständigte sich die Bundesregierung darauf, nur Straftäter, Gefährder und „hartnäckige Identitätstäuscher“ abschieben zu wollen. Dies kann als ein besonders bizarres Festhalten an einer Abschiebepraxis bewertet werden, die von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird. Um (beinahe) jeden Preis soll abgeschoben werden.

Die Botschaft in Kabul ist seit dem Anschlag nicht besetzt, das Personal wurde evakuiert, die Suche nach einem Ersatz für das schwer beschädigte Gebäude ist schwierig. Die Abschiebungen gehen dennoch weiter, auch wenn es die geballte Kraft von Ausländerbehörden und Innenministerien nicht schafft, mehr als ein Dutzend Afghanen für einen der teuren Charterflüge zusammenzubringen. Allein das Charterflugzeug kostet ca. 300.000 Euro, hinzu kommen die Kosten für Landespolizei und Bundespolizei.

Die aufgestellten Kategorien sind mehr als fragwürdig: Wer irgendwann zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt wurde, gilt als Straftäter. So werden Personen, die vielleicht wegen Bagetelldelikten wie Schwarz­fahren oder Diebstählen geringwertiger Sachen verurteilt wurden, durch die Abschiebung in höchste Gefahr gebracht. Häufig sind die Abgeschobenen nie in Afghanistan gewesen, weil sie im Iran aufgewachsen sind. In der Regel waren sie seit Jahren nicht mehr in Afghanistan. Eine Rückkehr in unbekannte Verhältnisse lässt sie hilflos in Kabul stranden, oft ohne die Unterstützung von Verwandten. So ist es kein Wunder, dass viele, vielleicht sogar die meisten der Abgeschobenen sich gleich wieder auf den Weg machen, zumindest in die Nachbarstaaten, oft aber auch wieder in Richtung Europa.

Insbesondere Bayern nutzt inzwischen auch die Kategorie „hartnäckige Identitäts­täuscher“, um wenigstens ein paar Afghanen abschieben zu können. Hier reicht es schon aus, wenn jemand mal nicht sofort der Aufforderung der Ausländerbehörde, beim Konsulat Papiere zu beantragen, gefolgt ist. Dies hat zur Folge, dass in Bayern weiterhin sehr viele Afghanen von Abschiebung bedroht sind, während in allen anderen Bundesländern bisher nur Straftäter für die Abschiebung gemeldet worden sind.

Möglichkeiten des Schutzes und der Intervention

Die sehr dünne Erfolgsbilanz der Behörden liegt auch daran, dass AntirassistInnen in der Regel die Termine für die Abschiebeflüge im Voraus erfahren konnten. So konnten Flüchtlinge und Unterstützer_innen rechtzeitig gewarnt werden. Zugleich wurden für diesen Zweck Netzwerke aufgebaut. Afghanen warnen sich untereinander über WhatsApp Mitteilungen, über verschiedenste E-Mail-­Listen werden Warnhinweise verschickt, auf den Webseiten verschiedener Organisationen (u.a. www.fluechtlingsrat-bayern.de) und Facebook-Seiten gibt es Hinweise darauf, wer überhaupt gefährdet ist und wie man sich als Betroffener bzw. Unterstützer_in verhalten kann. So können Flüchtlinge ihren aktuellen Rechtsstatus überprüfen lassen und klären, ob sich ein Folgeantrag lohnt. Wenn rechtlich nichts mehr zu machen ist, kann man zumindest sehen, dass ein Flüchtling nicht in der Zeit um die Abschiebung herum an den gewohnten Orten schläft. Das kann die Unterkunft sein, aber Afghanen wurden auch schon bei Freunden oder Freundinnen gesucht.

Skandalisiert wurde ein Abschiebeversuch aus der Berufsschule heraus. In der Nürnberger Schule solidarisierten sich Mitschüler_innen mit dem jungen Mann, die Polizei rief das Unterstützungskommando zur Hilfe, mit sehr rüden Methoden wurde der Afghane abtransportiert und die Sitzblockade aufgelöst. Die Schüler_innen dieser Berufsschule haben inzwischen ein Bündnis gegen Abschiebungen gegründet. Die Versuche des Bayerischen Innenministeriums, die Proteste zu kriminalisieren, liefen weitgehend ins Leere. Zahlreiche Proteste von Schüler_innen, Lehrer_innen und anderen kritisierten vehement die Haltung von Polizei und Behörden. Gewerkschaften und Verbände machten sich gegen Abschiebungen aus Schulen stark.

Weil bei den ersten Abschiebeversuchen viele Afghanen nicht zu Hause angetroffen worden sind, da Unterstützer_innen ihnen Schutz und Obdach geboten hatten, gingen die Behörden inzwischen dazu über, schon weit im Vorfeld Personen in Abschiebehaft zu nehmen. Das ist in den meisten Fällen illegal, weil Abschiebehaft nur verhängt werden darf, wenn Hinweise auf Fluchtgefahr bestehen. Systematisch legen Anwält_innen Haftbeschwerden ein, in einigen Fällen sogar erfolgreich. Der Erfolg wäre noch höher, würden die zuständigen Gerichte die Fälle nicht liegenlassen, bis der Abschiebetermin verstrichen ist.

Mit der Unterstützung des Rechtshilfefonds von Pro Asyl versuchen verschiedene Akteure, Betroffenen im Bedarfsfall Anwält_innen zu vermitteln, und diese dann im Verfahren gegen die geplante Abschiebung zu unterstützen. Dies ist inzwischen eine gut eingespielte Praxis, die dafür Sorge trägt, dass von Abschiebung bedrohte Afghanen eine qualifizierte rechtliche Vertretung bekommen und, in allerdings wenigen Fällen, auch vor Gericht erfolgreich gegen die Abschiebung interveniert werden konnte.

In einigen Fällen konnten auch Kirchenasyle organisiert werden, um von Abschiebung bedrohten Afghanen vorübergehend Schutz zu gewähren. Etwa in der Hälfte dieser Fälle konnten über eingelegte Rechtsmittel, vor allem Asylfolgeanträge, zumindest eine zeitweilige Lösung gefunden werden. Da aber Kirchenasyle rar sind, sind die meisten Afghanen eher darauf angewiesen, dass sie anderweitig Schutz und Obdach bekommen. Außerdem dürfen sie nicht unangemeldet länger als drei Nächte ihrer Unterkunft fernbleiben, da sie sonst Gefahr laufen, als flüchtig bzw. untergetaucht bezeichnet und zur Fahndung ausgeschrieben zu werden. Zunehmend wird komplementär zu Kirchenasylen ein Bürger_innen-Asyl diskutiert. Das wäre eine Möglichkeit, zumindest symbolisch zivilen Ungehorsam zu üben und gegen Abschiebungen nach Afghanistan Stellung zu beziehen.

All dies trägt dazu bei, Afghanen vor einer drohenden Abschiebung in Schutz zu nehmen und den Protesten und Kampagnen gegen Abschiebungen nach Kabul Schwung zu verschaffen. Für AntirassistInnen wird deutlich: "Der beharrliche Wille der Innenminister, trotz einer sich kontinuierlich verschlechternden Sicherheitslage Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen, zeigt, dass Menschenwürde und Menschenrechte in Deutschland wenig gelten, wenn es um die Durchsetzung politischer Interessen geht. Dagegen heißt es aufzustehen, den Abschiebebehörden möglichst viele Steine in den Weg zu legen, und den Abschiebeministern klar zu zeigen, dass diese Politik nicht gewollt ist".