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Aufklärung zu Rechtsterrorismus und Geheimdiensten nur in Ausnahmefällen

Einleitung

Im Mai 2015 reichten die Bundestagsfraktionen der LINKEN und Grünen beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Bundesregierung ein. Hintergrund waren verschiedene Anfragen, auf die die Bundesregierung in Teilen die Antworten verweigerte. Viele dieser Anfragen berührten den Einsatz von V-Leuten in extrem rechten und rechtsterroristischen Szenen.

Bild: wikimedia.org; High Contrast; CC BY 3.0 DE

Ein kleiner Sieg und eine große Niederlage

Knapp zwei Jahre später entschied das Gericht, dass die Bundesregierung auf einige der Fragen Antworten geben muss. Gleichzeitig enthält die Entscheidung Begründungen und Formulierungen, die für zukünftige Fragen restriktive Antworten erwarten lassen.

Ausgangspunkt der Klage waren parlamentarische Anfragen zum Oktoberfest­attentat und zur Wehrsportgruppe Hoffmann. So wollten die Grünen wissen, ob der 1981 in Haft durch Selbstmord verstorbene Heinz Lembke für einen deutschen Geheimdienst tätig war. Die Linksfraktion wiederum fragte nach Quellen deutscher Geheimdienste bei der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und mögliche Bezüge zum Oktoberfestattentat. Wie viele andere Fragen, die das Agieren von Geheim­diensten in rechtsterroristischen Szenen, insbesondere in Bezug auf das NSU-­Netzwerk, berührten, blieben die Antworten der Bundesregierung an entscheidenden Stellen aus.

Die Verweigerung der Antworten begründete die Bundesregierung in der Regel mit zwei Argumenten.

Zum einen würden derartige Antworten die Nützlichkeit menschlicher Quellen für den Geheimdienst einschränken und eine Gefährdung für ehemalige oder gegenwärtige V-Leute bedeuten. Eine Antwort käme also einer Enttarnung gleich. Dadurch würden aktive Quellen keine Informationen mehr liefern können und aktive wie inaktive Quellen wären potentiell in Lebensgefahr, weil sie mit Racheakten der Szene zu rechnen hätten.

Das zweite Argument bezieht sich auf den Schutz der Geheimdienste. Deren Arbeit würde durch die Beantwortung der Fragen auf dergestalt empfindliche Art und Weise beeinträchtigt werden, dass dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet sei.

Beide Argumente befanden die Klägerinnen für untauglich.

Zum einen existieren keine Beispiele, die die Annahme begründen würden, eine Enttarnung von V-Leuten in der Neonazi-Szene würde eine Gefahr bedeuten. Stattdessen verhält es sich in vielen Fällen so, dass die Kooperation mit dem Geheimdienst durchaus im Einverständnis mit den entsprechenden neonazistischen Organisationen stattfindet. So sagte Wolfgang Frenz, der über 30 Jahre für den Verfassungsschutz arbeitete und in dieser Eigenschaft Spitzenfunktionär der NPD war, über den Geheimdienst: „Das war eine Institution, um Geld zu bekommen, für mich und für die Partei zur Finanzierung dieser Sache. Ich habe mich in erster Linie als ein Mann der NPD beim Verfassungsschutz gesehen, nicht als ein Verfassungsschützer bei der NPD.“ Im konkreten Fall der Klage handelte es sich zudem um eine Person, die seit über 30 Jahren tot ist. Eine persönliche Gefährdungssituation hätte also durch Beantwortung nicht entstehen können.

Ohnehin dient die Geheimschutzordnung des Bundestages genau dazu, sensible Informationen gegen Unbefugte zu schützen und gleichzeitig den Informationsanspruch des Parlamentes sicherzustellen. Konkret hieße das, die Fragen zu beantworten und die Antworten in eine der vier möglichen Geheimhaltungsstufen einzuordnen. Auf diese Weise lässt sich der Kreis derer, die die Antwort zu Gesicht bekommen effektiv und nachvollziehbar begrenzen. Die Antworten jedoch zu verweigern bedeutet also entweder, der Geheimschutzordnung zu misstrauen oder den Informationsanspruch des Parlamentes zu missachten.

Das zweite Argument ist grundsätzlicher Art: Wenn die Geheimdienste Auskunft über ihre Arbeit geben würden, würde das Rückschlüsse auf Strukturen und Methoden erlauben, die die Arbeit der Behörden und vermittelt die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden würden. Wer regelmäßig die Antworten auf Kleine Anfragen liest, kennt die entsprechenden Satzbausteine, die das Innenminis­terium an den entsprechenden Stellen einsetzt:

Der Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze bei geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden kann (…) Aus der Abwägung der verfassungsrechtlich garantierten Informationsrechte des Deutschen Bundestages und seiner Abgeordneten mit den negativen Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste sowie den daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der Gefährdung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nachrichtendienste sowie der Quellen folgt, dass auch eine Beantwortung unter VS-Einstufung ausscheidet. Im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz der wehrhaften Demokratie und der Bedeutung der betroffenen Grundrechtspositionen hält die Bundesregierung die Informationen der angefragten Art für so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden kann.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hat zwar verfügt, dass die Bundesregierung verschiedene konkrete Fragen nach der V-Mann Tätigkeit Lembkes und dem Einsatz von Quellen in und zu der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ beantworten muss, jedoch folgt sie grundsätzlich der Bundesregierung darin, dass in vielen Fällen die Beantwortung die Arbeit der Dienste und vermittelt das Staatswohl gefährden wird.

Mehr noch: Die Beweislast wird umgekehrt. Die Bundesregierung muss also nicht begründen, warum von der Beantwortung eine Gefahr für das Staatswohl ausgehen würde, das Parlament bzw. faktisch die Oppositionsfraktionen müssen begründen, warum dies nicht der Fall ist. Die Regel wird also nicht als Auskunftsgewährung bestimmt, sondern als Verweigerung und nur in Ausnahmefällen soll die Regierung antworten müssen.

Damit bleibt die Haltung der Bundesregierung in doppelter Weise problematisch.  Sie behindert zunächst einmal die öffentliche Aufklärung von schweren Verbrechen. Kein terroristischer Akt hat in der Geschichte der Bundesrepublik mehr Opfer gefordert als das Oktoberfestattentat. Doch weder die Rolle deutscher Geheimdienste noch der Kreis der Täter ist bekannt.

Viele Fragen zu den Morden des NSU sind nicht beantwortet – auch weil die Geheimdienste in ihrem Schweigen von der Bundesregierung geschützt werden. In Hessen lässt das Landesamt für Verfassungsschutz einen Bericht für 120 Jahre als geheim sperren, in dem es um den Mord an Halit Yozgat, Verbindungen des NSU zur hessischen Neonazi-Szene und mögliche Verstrickungen des Geheimdienstes geht.

Das zweite Problem betrifft das Verhältnis von Parlament und Regierung. Die Bundesregierung definiert das Staatswohl so, dass es eine umfassende Unterrichtung von Parlament und Öffentlichkeit ausschließt. Damit gewichtet sie das Interesse der Nachrichtendienste, so wenig wie möglich über ihre Arbeit preiszugeben höher als den Informationsanspruch des Parlamentes.

In einer Demokratie ist aber das Parlament und darin vor allem die Opposition auch zur Kontrolle der Regierung da. Damit diese Funktion erfüllt werden kann gibt es eine Reihe von Einrichtungen. Das parlamentarische Kontrollgremium, in dem die Geheimdienste den Vertreter/innen der Fraktionen über ihre Arbeit unterrichten, gehört ebenso dazu wie die erwähnte Geheimschutzordnung. Diese Institutionen dienen dazu, dass Parlament und Opposition über politiknotwendige Informationen verfügen, diese aber dennoch nicht der Öffentlichkeit bekannt werden. Das vereinte Bemühen von Geheimdiensten und Bundesregierung, den Informationsanspruch des Parlamentes faktisch auszuhebeln, zeigt deutlich, wie fragwürdig die Vereinbarkeit von Demokratie und geheimdienstlichen Praktiken ist.