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Der Fall Martin Zschächner in Thüringen

Einleitung

Als bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft Gera gegen das „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt, war der Aufschrei groß. Insbesondere die Frage, wie die Aktivitäten politischer Aktionskünstler_innen als organisierte kriminelle Aktivität bewertet werden konnten, beschäftigte die Öffentlichkeit. In den Tagen nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens wurde jedoch die Frage interessanter, wer denn da gegen das ZPS ermittelte.

Foto: (c) Patryk Witt / Zentrum für Politische Schönheit

Der Geraer Staatsanwalt Martin Zschächner hatte als Mitarbeiter der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft Gera das Verfahren gegen das ZPS eingeleitet, wohl wissend, dass ein solches Ermittlungsverfahren den Verdacht voraussetzt, dass sich mehrere Personen zu einer Gruppe zusammenschließen, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist.

Zwar hatte das ZPS selbst angekündigt, von der in unmittelbarer Nähe zu Höckes Wohnhaus angemieteten Wohnung den AfD-Rechtsaußen als „zivilgesellschaftlicher Verfassungsschutz“ zu überwachen – wenige Tage später stellte das ZPS jedoch klar, dass es keine geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahmen durchgeführt habe. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren stellte die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Mühlhausen daraufhin auch ein.

Eine örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Gera war aus keinem erdenklichen Gesichtspunkt gegeben. Einzig die Zuständigkeit als Schwerpunktstaatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität würde Gera zuständig machen. Schnell kam also der Verdacht auf, dass die Einleitung eines Strukturermittlungsverfahrens nach § 129 StGB einzig dazu diente, dass das Verfahren zu Staatsanwalt Zschächner kam. Zwar wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft Gera in dem über ein Jahr andauernden Verfahren keinerlei Ermittlungsmaßnahmen getätigt, dies jedoch führt einmal mehr zu der Nachfrage, welches Interesse dann an dem Verfahren bestand. Hierbei lohnt sich ein Blick auf die Person des ermittelnden Staatsanwalts und sein Gebaren in anderen Verfahren.

In die öffentliche Debatte um Zschächners dienstliche Handlungen meldete sich auf Twitter ein Rechtsanwalt Küstner, nach eigenen Angaben ehemaliger Kommilitone von Zschächner, mit den Worten „Ach Du Sch.... Der hat mit mir in Heidelberg studiert. Wir nannten ihn nur den „Jura-Nazi“. Wer hat denn den zum Staatsdienst zugelassen. Jemanden, der nur 50% so links ist wie der rechts, würde man nie einstellen. Kleiner Tipp: „Kaisertreu“ ist nicht GG-treu.“ In einem FAZ-Artikel kommt ein weiterer ehemaliger Mitstudent zu Wort, der aktuell Richter ist und über Zschächner sagt: „Wir haben den als Spinner abgetan, der damit angab, Sütterlin lesen zu können, Wagner-Opern pfeifend durch die Gänge zog und Kautabak kaute.“ Seine rechte Gesinnung sei „sonnenklar“ gewesen.

Wohlwollend könnte man der Staatsanwaltschaft Gera unterstellen, dass eine gewisse Form der Außendarstellung als eine Art "komischer Kauz" oder "Biedermeier" noch kein Grund ist, an der beruflichen Qualifikation bzw. der politischen Neutralität eines Staatsanwalts zu zweifeln. Jedoch fiel Staatsanwalt Zschächner auch weit vor diesem Skandal mit merkwürdigen Auffassungen und Aktivitäten auf.

In einem Verfahren wegen Vermummung, einer Bagatelle im staatsanwaltschaftlichen Alltag, ließ er als zuständiger Sachbearbeiter ein anthropologisches Gutachten einholen. Zwei Haupt­ver­handlungstage und 1.500 Euro Gutachterkosten später war klar, der Angeklagte ist nicht der Täter – eine Feststellung, die die Verteidigung schon frühzeitig anhand des Vergleichs der Bilder der Tat in der Akte und dem Aussehen des Angeklagten angemerkt hatte. Zwar ermittelte Zschächner auch gegen rechts und erhob auch in diesem Spektrum Anklagen. Der Nachdruck, mit dem er Personen des linken Spektrums nachsetzte, war hier laut BeobachterInnen der Prozesse allerdings eher selten zu spüren.

Was man Martin Zschächner jedoch nicht vorwerfen kann, ist, dass er sich mit seinem Verhalten strafbar gemacht hätte. Auch Staatsanwälte treffen Ermessensentscheidungen, wobei sie oft einen erheblichen Beurteilungsspielraum haben. In diesem hat sich Herr Zschächner stets bewegt. Ging es jedoch darum, in diesem Spielraum Entscheidungen zu treffen, waren sie nach bisherigen Erkenntnissen gegen Personen des linken Spektrums eher selten milde oder gnädig.

Dennoch waren der Staatsanwaltschaft Gera und auch der Generalstaatsanwaltschaft als Aufsichtsbehörde weit vor dem Skandal um die Ermittlungen gegen das ZPS andere skandalöse Entscheidungen Zschächners bekannt. Auf einer Demonstration der "Alternative für Deutschland" (AfD) 2017 in Jena sangen Teilnehmer das sogenannte „U-Bahn-Lied“.1 Die Anzeige der evangelischen Kirchengemeinde stellte Zschächner ein. Über die rechtliche Begründung der Einstellung mag man juristisch streiten können, über die in der Entscheidung enthaltene politische Entgleisung des Staatsanwalts indes nicht. Zschächner merkte in der Einstellungsbegründung an, dass das Wort „Auschwitz“ als Synonym für eine größtmögliche Niederlage auch durch das Wort „Waterloo“ hätte ersetzt werden können. Damit stellt der Staatsanwalt den wörtlichen Inbegriff der Shoa mit einer militärischen Niederlage gleich.

Die Argumentation, man könne diese beiden Begriffe – Auschwitz und Waterloo – sinngemäß gleichsetzen und austauschen, rezipiert gewisserweise die geschichtsrevisionistische Mär von der „Jüdischen Kriegserklärung“. Geschichtsrevisionisten deuten zum Beispiel einen Brief des damaligen Vorsitzenden der Jewish Agency, Chaim Weizmann, an den britischen Premierminister nach dem Überfall auf Polen – in dem es heißt, alle Juden würden an der Seite Englands stehen – als Kriegserklärung gegen das deutsche Volk. Der Holocaustleugner David Irving begründete damit z.B. die Verfolgung von Jüdinnen und Juden mit Kriegsbeginn und auch der Historiker Ernst Nolte sah die Äußerungen Weizmanns als Beleg für die These, Hitler habe die deutschen Juden als Kriegsgefangene internieren dürfen.2

Noch heute nutzen antisemitische Geschichtsrevisionisten solche und andere Thesen, um in nationalsozialistischer Tradition eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben und „den Juden“ die Verantwortung für die Shoa zu übertragen. Wenn sich also ein Staatsanwalt in die Nähe einer solchen Argumentation begibt, obwohl diese vollkommen unnötig für die Begründung seiner juristischen Entscheidung ist, dürfte er damit den Boden der staatlich verordneten politischen Neutralität der Strafverfolgungsbehörden verlassen.

Da gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt worden ist, in deren Begründung auch auf die haarsträubenden Vergleiche und Annäherungen an Argumentationsmuster von Geschichtsrevisionisten Bezug genommen und mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde verbunden wurde, müssen der Vorgesetzte des Staatsanwalts und auch die Generalstaatsanwaltschaft Kenntnis von diesen Ansichten Zschächners genommen haben. Die Generalstaatsanwaltschaft hob die Verfahrenseinstellung auf. Passiert ist jedoch bis zum Öffentlichwerden der Ermittlungen gegen das ZPS nichts.

Zschächner wurde nunmehr auf „eigenen Wunsch“ in eine andere Abteilung der Staatsanwaltschaft versetzt. Eine grundlegende Aufarbeitung der von ihm bearbeiteten Fälle, Konsequenzen für Vorgesetzte, die zumindest weggeschaut und ignoriert haben, stehen jedoch nicht in Aussicht. Die rot-rot-grüne Landesregierung will bislang nach allen Bekundungen einen Deckel auf die Causa Zschächner machen. Allen voran der Grüne Justizminister, der von nichts gewusst haben will und sich nicht in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden einmischen möchte.

Die Landesregierung täte gut daran, jedenfalls die interne Organisation der Staatsanwaltschaft Gera zu überprüfen. Im Falle Zschächner haben alle Kontrollmechanismen entweder vollständig versagt, oder der Skandal ist deutlich größer als bislang angenommen, und weitere Untersuchungen sind zwingend notwendig. Wer bei solchen Vorkommnissen damit zufrieden ist, die skandalträchtige Person zu versetzen und den Verdacht struktureller Probleme in einer Behörde, die sich schon bei der Verfolgung der späteren Mitglieder des rechtsterroristischen NSU nicht mit Ruhm bekleckert hat, strikt von sich weist, macht sich zum Steigbügelhalter einer politisch motivierten Strafverfolgung.

  • 1Das so genannte „U-Bahn Lied“ basiert u.a. auf den Text „Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von (...) bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir!“. Das Singen dieses Liedes führte im Fußball-Kontext bereits zu Verurteilungen wegen Volksverhetzung. Das OLG Hamm (Beschluss vom 01.10.2015 - 1 RVs 66/15) urteilte, es sei ohne Weiteres davon auszugehen, dass der gesungene Text „Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von Jerusalem bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir!“ sich auf unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art beziehen. Dafür steht schon das Synonym „Auschwitz“ (Vgl. hierzu auch: BGH, Urteil vom 20. Dezember 2004 – 2 StR 365/04, BeckRS 2005, 01227; LG Traunstein, Urteil vom 30. August 2006 – 7 Ns 110 Js 43293/04, BeckRS 2007, 04556).
  • 2Ernst Nolte: Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus? Das Dritte Reich im Blickwinkel des Jahres 1980. In: Ernst Reiner Piper (Hrsg.): „Historikerstreit“: Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Piper, München 1988, S. 13–36, hier S. 24.