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Der Krieg der EU gegen Flüchtlinge und MigrantInnen in Afrika

Alassane Dicko
Einleitung

Alle sind aus Verzweiflung an Bord gegangen, die Mehrheit ist vor Gewalt, Verfolgung und Konflikten geflohen. Sie stammen mehrheitlich aus Syrien, Eritrea, Somalia, Nigeria, Gambia, Mali, Senegal, Niger, Guinea und der Elfenbeinküste — ihr Ansinnen ist die Suche nach einem besseren Leben. Sie ertrinken oder werden über das Meer zurückgeschoben, kurzum: Sie gehören zu den Unerwünschten. Eindrücke vom EU-Migrationsregime zwischen Nordafrika und südlicher Sahara

Foto: UNHCR/CC BY NC 2.0

Geflüchtete warten auf die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa.

Die Ereignisse des arabischen bzw. maghrebinischen Frühlings hatten die Hoffnungen der Jugend in Tunesien, von nun an ebenfalls die Vorzüge der Bewegungsfreiheit genießen zu können, erblühen lassen. Zudem hat diese Hoffnung tausende MigrantInnen aus Subsahara-Afrika genauso wie Flüchtlinge aus dem Nahen Osten angesteckt. Auch sie wollten von den Früchten der Massenrevolutionen bzw. -aufstände profitieren und sie setzten auf eine Öffnung der Fluchtrouten nach Europa. Aber umsonst. Die EU hat sich gegen humanitäre Lösungen und stattdessen für eine Sicherheitspolitik gegen die angebliche Überschwemmung der europäischen Küsten durch EinwanderInnen entschieden.

Die MigrantInnen auf Abruf — wir nennen sie KandidatInnen — wissen genau, dass sich Europa in der Krise befindet und folglich versucht seine Kräfte zu bündeln, um die Migration bereits an ihren Ursprungsorten zu kontrollieren oder eben den Zugang zum europäischen Territorium zu blockieren. Die afrikanischen MigrantInnen wiederum kennen all dies aus eigener Erfahrung oder aus den Berichten von RückkehrerInnen, auch solchen, die unter anderem deshalb an der Grenzüberquerung gescheitert sind, weil sich die europäische Politik an der Kontrolle der Binnengrenzen einzelner afrikanischer Länder beteiligt. Konkreter: Die aus EU-Mitteln finanzierten Abschiebezentren in Tunesien, Marokko und Libyen füllen sich regelmäßig mit hunderten MigrantInnen, aus denen reihenweise Konvois mit Rückzuführenden zusammengestellt werden, deren Ziel die mitten in der Wüste gelegenen Grenzposten der südlichen Saharaländer wie Niger, Mali und Mauretanien sind — eine Praxis kollektiver Abschiebungen, die als freiwillige oder humanitäre Rückführung schöngeredet wird.

Feststeckend, gejagt und zurückgeschoben, versuchen die MigrantInnen zu überleben, indem sie nach neuen Migrationsrouten Ausschau halten. Denn Fakt ist, dass die Schwierigkeiten der Grenzüberquerung im Maghreb und die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in den verschiedenen Transitländern vor allem den Abschreckungszielen der EU-Migrationspolitik dienen. Hinzu kommt, dass MigrantInnen und Flüchtlinge nicht nur von den bis heute andauernden politischen und sozio-ökonomischen Krisen im Zuge des maghrebinischen Frühlings negativ betroffen sind — insbesondere in Mali und Libyen. Vielmehr hat die EU bereits 2011 direkt Verhandlungen mit den nordafrikanischen Ländern über Nachbarschaftsverträge und Fragen der Migrationskontrolle aufgenommen — und das, obwohl die Bevölkerung dieser Länder klipp und klar eine Öffnung der Grenzen verlangt hat.

Die Übernahme der repressiven Gesetze gegen die sogenannte klandestine Migration hat die Lebensbedingungen der MigrantInnen zugespitzt und diese noch stärker in die Abhängigkeit der Schlepper gebracht. Schlimmer noch: Ihnen werden große Umwege aufgezwungen, um den vielfältigen und gezielten Kontrollen und vor allem der Überwachung durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex zu entgehen. Die finanziellen Belastungen für die Reise erhöhen sich dadurch exponentiell, was insbesondere den mit Kindern reisenden Frauen große Schwierigkeiten bereitet. Zudem erhöhen sich die Preise für die Überfahrt mit dem Boot, oft begleitet von Erpressung und Raub der letzten Ersparnisse.

Deutlich wird also, dass MigrantInnen als BotschafterInnen des Nicht-Funktionierens von Regierungshandeln fungieren, vor allem aber, dass sie sich im Schnittfeld zwischen geopolitischen Erwägungen sowie unterschiedlichen Krisen und Konflikten wiederfinden. Dabei sehen sie sich zu einer Art strategischen Münze zwischen EU und den maghrebinischen Ländern degradiert. Zudem werden sie zu Lande und zu Wasser in einem Ausmaß ihrer Rechte beraubt, dass dies nur noch als Verletzung sämtlicher Konventionen zum Schutz von Menschen in schwierigen Situationen bezeichnet werden kann.

Ein Beispiel: Im Rahmen des am 7. Juni 2013 in Luxemburg unterzeichneten Mobilitätsabkommens zwischen Marokko und 10 Mitgliedsstaaten der EU sowie eines vergleichbaren, am 3. März 2014 in Brüssel verabschiedeten, Abkommens mit Tunesien, wird die eigentliche Stoßrichtung der EU-Migrationspolitik in Nordafrika erkennbar: Die Partner — in diesem Fall Marokko und Tunesien — werden finanziell bei der Umsetzung des Rückübernahmeabkommens unterstützt, welches zunächst einmal die Abschiebung von DrittstaatlerInnen aus Europa in die beiden Länder erlaubt, insbesondere von solchen aus Subsahara-Afrika. Praktisch geht es bei der finanziellen Unterstützung um die Einführung von Maßnahmen zur Identifizierung und Verifizierung (insbesondere der Staatsangehörigkeit), um Techniken zur Erlangung der Reisedokumente für die aus Europa Abgeschobenen sowie um den Aufbau einer Kooperation zwischen den Ländern des Maghreb und den Herkunftsländern der DrittstaatlerInnen. Denn letztlich können die Länder des Maghreb ihre Rolle als Gendarm der EU nur unter der Bedingung erfolgreich ausfüllen, dass sie ihrerseits die aus Europa Abgeschobenen direkt weiter abschieben — sei es in ihre Herkunftsländer oder in solche Länder, die die Betreffenden ursprünglich nur durchquert haben. Letzteres trifft beispielsweise auf Mali zu, das aufgrund seiner geographischen Lage für die meisten Flüchtlinge und MigrantInnen aus West- und Zentralafrika zum Transitland geworden ist.

Für die afrikanischen Länder, insbesondere die südlichen Anrainer-Länder der Sahara stellt diese Konstellation einen Bruch in den traditionellen Beziehungen der Gastfreundschaft dar. Denn die BewohnerInnen subsaharaischer Länder trifft die migrationspolitische Kooperation mit voller Wucht — verschärft durch das Agieren der bewaffneten, unter anderem islamistischen Gruppen an den entsprechenden Hotspots in der gesamten Sahara-Region. Aber nicht nur MigrantInnen sind betroffen. Denn auch die nomadische Bevölkerung kann die Region nicht mehr durchqueren, ohne Schutzgelderpressungen oder anderen Schikanen unterworfen zu sein, manchmal auch durch jene bewaffneten Kräfte, die die MigrantInnen durch die Sahara begleiten.

Schließlich: Die MigrantInnen haben auch deshalb ihre geographischen Orientierungspunkte im Transit verloren, weil jene sozialen Orte gezielt zerstört wurden, an denen sich MigrantInnen entlang der Migrationsrouten zum gemeinsamen Austausch zusammengefunden haben.1 Beispielsweise haben die Behörden im Niger und in Algerien in jüngerer Zeit solche Camps der Hoffnung zerstören lassen und somit tausende MigrantInnen weiteren Irrfahrten ausgeliefert.

 Der Autor ist bei der Assoziation der Abgeschobenen Malis (AME) und Afrique-Europe-Interact aktiv. 

  • 1Die soziale Funktionsweise solcher Treffpunkte hat Emmanuel Mbolela in seinem Buch „Vom Kongo nach Europa. Zwischen Widerstand, Flucht und Exil“ auf beeindruckende Weise beschrieben.