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Der PEGIDA-Effekt

Antifa-Komitee Leipzig
Einleitung

Die rassistisch gefärbte Protestserie in Dresden hat unerwartete Ausmaße angenommen. Versuche, das nachzuahmen, bleiben weit dahinter zurück. Doch die eigentlichen Folgen der Bewegung werden sich erst noch zeigen — und könnten drastisch sein.

Foto: Caruso Pinguin/CC BY NC 2.0

Die vielfachen Versuche, PEGIDA zu imitieren, klappten einstweilen nirgends so recht. Schon rasch nach der Etablierung der Dresdner Demonstrationsserie sproßen dutzende „GIDA“s, verteilt auf dem ganzen Bundesgebiet, wie Pilze aus dem Boden. Aber die meisten fristen ein rein virtuelles Dasein. Tatsächliche Kundgebungen und Demonstrationen folgten in mindestens 20 deutschen Städten, von denen die meisten zahlenmäßig gering ausfielen. Zu Großveranstaltungen mit mindestens 1.000 Teilnehmenden entwickelten sich lediglich die Ableger in Leipzig (LEGIDA), München (Bagida) und Suhl (Sügida). Auf zumindest 500 Teilnehmende brachten es analoge Veranstaltungen in Magdeburg (Magida), Berlin (BärGidA), Schwerin (MVgida) und Chemnitz (Cegida). Versuche, das Protestformat ins europäische Ausland zu exportieren, blieben hinter den Zielen zurück und damit auch hinter dem namentlichen Anspruch, das „Abendland“ zu repräsentieren, eine Bewegung der „europäischen Patrioten“ zu schaffen.

Nachahmungen mit begrenztem Erfolg

Zieht man den Vergleich der Ableger mit dem Original, so fällt einerseits auf, dass AnhängerInnen der extremen Rechten und der Neonaziszene fast überall unverhohlener, mithin aggressiver auftreten als in Dresden und teils vehement versuchen, die Veranstaltungen als Plattform zu nutzen. Sie gehen dort einfach weniger in der Masse unter. Aber, und das ist der Punkt: Nirgendwo kam eine mit Dresden vergleichbare Mobi­lisierungsdynamik zustande, wo sich der Zulauf anfangs von Woche zu Woche jeweils fast verdoppelte und im gleichen Maße die Medienaufmerksamkeit zugenommen hatte. Gerade in dieser weitgehend ungestörten,1 kontinuierlichen Anlaufphase formierte sich ein augenscheinlich stabiler Protestkern, an dessen Kohärenz kein PEGIDA-Ableger heranreicht. Diese haben insoweit auch zuverlässig die Erwartungen des eigenen, auf die Dresdner Attraktion geeichten, Publikums verfehlt.

Der bislang erfolgreichste PEGIDA-Klon namens LEGIDA hat sich in Leipzig etabliert. Zum ersten LEGIDA-Marsch am 12. Januar 2015 erschienen bis 4.800, bei einer Wiederholung neun Tage später nach Polizeiangaben sogar 15.000 Personen. Eine Einzelauszählung anhand Foto- und Videomaterial zeigt allerdings, dass es sich höchstens um 5.000 Menschen gehandelt haben kann. Der starke Zulauf mag sich hier gerade durch die Unterschiede zu PEGIDA erklären: Das Demonstrationsmodell in Leipzig erinnert weni­ger an die „Abendspaziergänge“ an der Dresdner Elbe, als an die krawalligeren „Hooligans gegen Salafisten“. Von Kontinui­tät ist hier nichts zu sehen, nach mehrfacher Änderung der Demonstrationstage, nicht zuletzt aber auch wegen des energischen Widerstands, brach der Zulauf wieder zusammen.

Ergebnis und neuer Höhepunkt rassistischer Mobilisierungen2

Wenn nach den Auswirkungen der PEGIDA-Bewegung gefragt wird, so zählt nicht allein, inwieweit und unter welchen Bedingungen eine Übertragung des Dresdner Protestmodells in andere Städte gelingt oder scheitert. Ein wichtiger Gesichtspunkt wird gern vergessen: Ganz ohne sichtbares Zutun der ProtagonistInnen haben die PEGIDA-Events einen enorm stimulierenden Effekt auf rechte Mobilisierungen, die den Themenkreis Migration und Religion berühren und im öffentlichen Raum sichtbar werden. Blendet man PEGIDA und deren Ableger aus, so gab es in den vier Monaten seit der allerersten PEGIDA-Veranstaltung am 20. Oktober 2014 in Sachsen mindestens 60 derartige Protestereignisse an 16 verschiedenen Orten. Daran beteiligten sich summiert mindestens 12.300 Personen. Die erhebliche Größenordnung wird deutlich im Vergleich mit dem gleichbemessenen Zeitraum im Winter 2013/2014. Damals wurden 21 derartige Protestereignisse in acht Orten gezählt, an denen sich insgesamt rund 4.900 Personen beteiligten. Bereits damals handelte es sich um eine außerordentlich starke Mobilisierungswelle, vor allem bedingt durch den unerwarteten Zulauf zu den so genannten „Lichtelläufen“ in Schneeberg.

Im gleichen Zeitraum der Wintermonate 2012/2013 waren sogar nur 15 Veranstaltungen in zehn Orten mit insgesamt etwas mehr als 1000 Teilnehmenden zu verzeichnen. Die meisten dieser vergleichsweise kleinen Events waren Stationen einer Kundgebungs-Rundreise der NPD unter dem Motto „Asylmissbrauch und Islamisierung stoppen“.

Damit ist nicht nur eine Mehrung von Veranstaltungen mit wachsendem Zulauf zu beobachten — sondern das tatsächlich realisierte Mobilisierungspotential bei asyl- und islamfeindlichen Versammlungen in Sachsen hat sich mehr als verzehnfacht. Erst kurz vor dem vorläufigen Höhepunkt, den wir jetzt erleben, traten die (wie gesagt: hier gar nicht einberechneten) PEGIDA-Demons­trationen hinzu. Sie können insoweit als Ergebnis einer mehrere Jahre andauernden, bewegungsförmigen Kampagne verstanden werden.

Diese ist zuallererst das Werk der extremen Rechten, insbesondere der NPD. In der Schlussphase ihrer parlamentarischen Tätigkeit im Sächsischen Landtag hatte sie zu ihrem Brot-und-Butter-Thema zurückgefunden, das sich im Vergleich mit anderen Kampagnenthemen in seiner über das eigene Spektrum hinaus gehenden Zugkraft als äußerst erfolgreich erwiesen hat. So war bereits der Zulauf bei den NPD-gelenkten „Lichtelläufen“ ab Ende 2013 für die VeranstalterInnen unerwartet hoch ausgefallen.3

Spuren in der Landespolitik

Die Entstehung PEGIDAs lässt sich vor diesem Hintergrund deuten als eine (neuerliche) räumliche Konzentration, nämlich als Versuch der Sammlung des schon zuvor bestehenden, jedoch schwankenden Protestpotentials. Für dieses Protestpotential war Dresden eine bedeutende, aber eben nur eine Durchgangsstation. Der Erfolg PEGIDAs stimuliert weitere Initiativen in anderen Orten, die sich größtenteils in ihrer Selbstdarstellung auf PEGIDA beziehen. Nimmt man Dresden als Fixpunkt der jüngsten Mobilisierungswelle, so ist ihre neuerliche Ausbreitung im Land zu erwarten. Mit PEGIDA enden wird sie jedenfalls nicht.

Dafür sorgt auch, dass die PEGIDA-Bewegung, anders als überall sonst, bereits tiefe Spuren in der sächsischen Landespolitik hinterlassen hat. Die CDU-Fraktion im Landtag hat dazu beigetragen, die OrganisatorInnen, unter ihnen der Dresdner AfD-Funktionär Achim Exner, zu legitimen GesprächspartnerInnen aufzuwerten. Derweil hat der CDU-Innenminister nicht nur selbst mit den OrganisatorInnen gesprochen, sondern dem Begehren von der Straße nachgegeben und eine Verschärfung der Asylpolitik in Aussicht gestellt. Die AfD-Fraktion hat sich im Parlament im Namen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit zur Fürsprecherin der Bewegung aufgeschwungen, nicht ohne ihrerseits mit den MacherInnen zu sprechen und selbst vor einer migrantischen „Flutwelle“ zu warnen. Wer sich schließlich fragt, wie „Abendland“, die Beschwörung des Jahres 1989 und billigste Medienschelte überhaupt das politische Vokabular bestimmen konnten, wird im Wahlprogramm der AfD für die vergangene Landtagswahl fündig. Daran mitgeschrieben hatte Achim Exner. Wie genau die PEGIDA-DemonstrantInnen das Produkt studiert haben, weiß man nicht. Aber das Ergebnis einer Studie des Berliner Bewegungsforschers Dieter Rucht darf Besorgnisse wecken: Würde das PEGIDA-Klientel den Wahlausgang bestimmen, „so hätte die AfD im Bundestag die absolute Mehrheit und die NPD wäre die einzige Oppositionspartei.“4

  • 1Freilich gab es zeitige Protestaktionen. Die Behauptung, von Anbeginn medial („Lügenpresse“) und politisch („Volksverräter“) denunziert worden zu sein, gehört aber in den Bereich der bei PEGIDA sorgsam gehüteten Gründungslegenden.
  • 2Die Darstellung in diesem Abschnitt basiert auf einer fortlaufenden statistischen Auswertung rassistischer Protestereignisse in Sachsen, die sich aus verschiedenen Quellen speist (eigene Beobachtungen, Presse- und Polizeiberichte, Darstellungen von VeranstalterInnen, parlamentarische Anfrage), die jeweils unterschiedlich verlässlich und noch keinesfalls vollständig sind. Das gilt insbesondere für Angaben der TeilnehmerInnenzahlen. Im Zweifel wurden niedrigere Angaben bevorzugt, so dass ein hier nicht beachtetes Dunkelfeld bleibt. Es lassen sich also durchaus „undramatisierte“ Trendaussagen ableiten. Ein bundesweiter Vergleich steht noch aus.
  • 3Siehe hierzu und zur Einschätzung der sog. „Lichtelläufe“ das AIB Nr. 102
  • 4Rucht, Dieter u.a. (2015): Protestforschung am Limit. Eine soziologische Annäherung an PEGIDA (Stand: 28.01.2015), veröffentlicht unter: www.wzb.eu/sites/default/files/u6/pegida-report_berlin_2015.pdf. Die Studie ist nicht repräsentativ, Aussagen zur Parteipräferenz der PEGIDA-AnhängerInnen werden jedoch durch weitere Studien durchgehend gestützt.