Die Otto-von-Bismarck-Stiftung
Der rechte Publizist Karlheinz Weissmann hatte Recht. „Die Kette der Ereignisse, mit der die Deutschen sich zu befassen haben, dürfte ihresgleichen suchen“, schrieb er Anfang Januar 2015 in der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Er hatte die zahlreichen Jubiläen in den Blick genommen, die im Jahr 2015 in Deutschland und in anderen Ländern auf der Tagesordnung stehen. „Die Briten“ etwa, schrieb Weissmann, erinnerten „an ihren ,Großen Freiheitsbrief‘“, an die „Magna Carta“ von 1215, die zum ersten Mal im mittelalterlichen Europa monarchischer Willkür Grenzen setzte. „Die Deutschen“ hingegen könnten „der Krönung Friedrichs II. in Aachen“ im Jahr 1215 gedenken, der Gründung der Ur-Burschenschaft (1815), sie könnten das „Kriegsende“ 1945 begehen und die „Wiedervereinigung“ von 1990. Und natürlich gebe es dann noch den 200. Geburtstag von Otto von Bismarck am 1. April, ein ganz besonderes nationales Ereignis: Schließlich sei es Bismarck gelungen, „Deutschland in Form zu bringen“. In „die einzige“ Form, „die unserem Volk seit der Reichseinigung von 1871 zur Verfügung steht“.
Der Bewahrung der Bismarck’schen Tradition widmet sich seit ihrer Gründung im Jahr 1997 die Otto-von-Bismarck-Stiftung — in staatlichem Auftrag. Zuvor war auf dem Feld der ,Bismarckbund‘ (Bismarckbund Vereinigung zur Wahrung deutschen Geschichtsbewusstseins e.V.) aktiv, der u.a. an rechte Aktivisten seine „Bismarckmedaille“ verlieh. (Vgl. AIB Nr. 40: „Die Bundesstiftung ,Otto-von-Bismarck‘“).
Die Bismarck-Stiftung ist die fünfte „Politikergedenkstiftung“, die die Bundesrepublik eingerichtet hat — nach der „Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus“ (1978), der „Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte“ (1986), der „Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung“ (1994) und der „Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus“ (1994). Ihrer Tätigkeit liegt ein Gesetz zugrunde, das der Deutsche Bundestag am 5. Juni 1997 eigens beschlossen hat. „Zweck der Stiftung ist es“, heißt es darin, „das Andenken an das Wirken des Staatsmannes Otto von Bismarck zu wahren, seinen Nachlass zu sammeln und zu verwalten sowie für die Interessen der Allgemeinheit in Kultur und Wissenschaft, Bildung und Politik auszuwerten“. In dem Gesetz heißt es auch, „zur Erfüllung des Stiftungszwecks“ erhalte die Stiftung „einen jährlichen Zuschuß des Bundes“. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zuletzt stockte die Bundesregierung die Mittel für die Stiftung, die aus dem Haushalt der Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU) bezahlt werden, auf 858.000 Euro im Jahr auf.
Warum zahlt die Bundesregierung fast eine Million Euro pro Jahr für das Andenken an Otto von Bismarck? Das wollte 1996, als die Gründung der Institution aus einer Vorläuferstiftung heraus in Angriff genommen wurde, auch die damalige Opposition im Bundestag wissen. „Wie verträgt sich nach Auffassung der Bundesregierung die Errichtung der fünften neuen Bundesstiftung mit dem Namen eines ausgewiesenen Monarchisten und Anti-Demokraten wie Otto von Bismarck mit den anerkannten Zielen und Idealen politischer Bildung?“, fragte damals die SPD-Fraktion, die heute die fast millionenschwere Subventionierung der Bismarck-Stiftung allerdings umstandslos mitträgt. Es gehe darum, erläuterte die Regierung damals, „das Verständnis für die deutsche Geschichte ... zu vertiefen und zu festigen“. Und in der Tat — die Ursprünge deutscher Staatlichkeit in der Moderne waren, anders als etwa in Frankreich mit seiner Revolution, monarchistisch und antidemokratisch. Natürlich darf das heute nicht einfach so abgefeiert werden — weshalb dann auch bei der Stiftung immer wieder die Rede davon ist, man müsse durchaus „die Grenzen“ von Bismarcks Denken und Handeln deutlich werden lassen.
Trotz aller „Grenzen“ ist die Stiftung, die an Bismarcks ehemaligem Wohnsitz Friedrichsruh ihren Sitz hat und dort sowie in Schönhausen jeweils ein Bismarck-Museum betreut, ein fester Bezugspunkt für rechtskonservative Nationalisten geworden. „Seit zehn Jahren arbeitet die Otto-von Bismarck-Stiftung“, bemerkte etwa die rechte „Junge Freiheit“ im Juni 2010 zufrieden und würdigte deren Aktivitäten. „Eine besonders gelungene Biografie“, lobte die rechte „Preußische Allgemeine Zeitung“ im Februar 2015 die neue Bismarck-Biografie von Michael Epkenhans, Ulrich Lappenküper sowie Andreas von Seggern und fügte anerkennend hinzu, die Autoren seien „ausgewiesene Experten der Otto-von-Bismarck-Stiftung“. Tatsächlich fördert die Stiftung, die vergangenes Jahr rund 13.000 Besucherinnen und Besucher in ihren Einrichtungen zählte, auch die wissenschaftliche Forschung über ihren Namensgeber, wozu sie unter anderem das „Fürstlich von Bismarck’sche Archiv“ betreut. Für den 31. März und den 1. April kündigt sie gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Museum eine große wissenschaftliche Konferenz an; Thema: „Realpolitik für Europa: Bismarcks Weg“. Am Abend des 1. April wird dann Bismarcks 200. Geburtstag mit einem Festakt in Berlin gefeiert.
Man muss davon ausgehen, dass auch Ferdinand von Bismarck, aktuelles Oberhaupt des Bismarck-Clans und Kuratoriumsmitglied der Otto-von-Bismarck-Stiftung, an den Feierlichkeiten teilnehmen wird. Ferdinand nennt sich „Fürst“ und ist unter den Nachfahren des einstigen Reichskanzlers derjenige mit den auffälligsten Kommentaren am rechten Rand. Welche Positionen er vertritt, konnte man einem Interview entnehmen, das er im Sommer 2008 der rechten „Jungen Freiheit“ gab. Den heutigen deutschen Eliten könne es offenbar „gar nicht schnell genug gehen ..., unser Volk in einer multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft und unseren Staat in überstaatlichen Strukturen aufzulösen“, tönte „Fürst“ Ferdinand. Schuld daran sei nicht zuletzt, „daß uns Deutschen über mehrere Generationen bis heute ein historisches Schuldbewußtsein eingetrichtert wird“. „Heute“ verstärke sich das „durch die Macht der Politischen Korrektheit“. Hoffnung mache der „Fußballpatriotismus“, wenngleich er „oberflächlich“ sei, denn auf seiner Grundlage könne „vielleicht wieder ein politischer Patriotismus entstehen“. Die „patriotische Ausrichtung“ schätze er an der „Jungen Freiheit“ sehr, fügte „Fürst“ Ferdinand hinzu. Sie habe sich „dem Erhalt unseres Vaterlandes verschrieben“ und sei für ihn daher „ein Licht im Dunkeln“.
„Fürst“ Ferdinand gab gegenüber der „Jungen Freiheit“ zu, er „spreche ... mitunter im Geiste“ mit seinem Vorfahren Otto und vermute, „dem Staatspolitiker Bismarck“ würde „die eklatante Linksdrift“ der Bundesrepublik „die größten Sorgen machen“. Dem Staatspolitiker, nicht dem Konservativen? Genau das. „Denn die wachsende Macht der Linken ist nicht nur eine Gefahr für das Bürgertum, sondern für die Funktionstüchtigkeit der deutschen Staatlichkeit an sich“, erläuterte Ferdinand: „Denn wenn deren Klientelpolitik der Umverteilung von produktiv zu unproduktiv, deren Mentalität von Anspruchs- statt Leistungsdenken und deren Vorstellungen von einem umfassenden Leistungsstaat sich weiter durchsetzen“, dann stehe „früher oder später der Staatsinfarkt durch Finanzbankrott bevor“. In der Tat hat man Ähnliches in den letzten 20 Jahren immer wieder gehört, und zwar aus den unterschiedlichsten Parteien und gelegentlich in anderem Vokabular; die Agenda 2010 etwa, die im Innern wichtige Voraussetzungen für Deutschlands Durchmarsch zur dominierenden Macht in der EU schuf, wurde bekanntlich nicht vom rechten Rand der Unionsparteien durchgesetzt.
„Staatspolitische“ Gedanken wie dieser sind wohl auch — neben der Absicht, nationalkonservative Milieus an die staatliche Kulturpolitik anzubinden — die Ursache dafür gewesen, dass der deutsche Staat die Otto-von-Bismarck-Stiftung errichtet hat, sie bis heute finanziert und ihre Gremien dominiert. Vorstandsvorsitzender ist mit Rüdiger Kass ein Ministerialdirektor a.D., der im Verlauf seiner Karriere im Bundesinnenministerium unter anderem für die Bundespolizei und für Sport zuständig war. Kuratoriumsvorsitzender ist Bundesinnenminister a.D. Rudolf Seiters, Mitglieder des Kuratoriums sind aktuelle oder ehemalige Bundestagsabgeordnete von CDU, FDP und SPD. Dass es gerade die Bismarck’schen Traditionen sind, um die sie sich kümmern, liegt allerdings auch an der doch recht spezifischen Geschichte des Staates, den sie vertreten: Eine Magna Carta, die schon vor 800 Jahren grundlegende Freiheitsrechte garantierte, hat Deutschland nun mal nicht hervorgebracht.