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Framing mit dem Kantholz

Friedrich Burschel
Einleitung

Schock zum Jahresanfang in Bremen: Am 7. Januar 2019 ist auf den Bremer AfD-Landesvorsitzenden und Bundestags­abgeordneten Frank Magnitz ein Mordanschlag verübt worden. Die AfD ist entsetzt: Unbekannte hätten ihm in einer Passage aufgelauert, mit einem Kantholz niedergeschlagen und mit Tritten an den Kopf schwer verletzt. Das Leben gerettet hätten ihm, so das Opfer später gegenüber der Polizei, zwei Handwerker, die ihm auch den Hergang des ruchlosen Mordanschlags geschildert hätten.

Auf allen verfügbaren Kanälen wurden Bilder der Blessuren am Kopf des Parlamentariers lanciert und auch gleich noch die Täter benannt, ohne jeden Zweifel: Linke! Schlimme, gewaltbereite, autonome, verharmloste, staatsfeindliche, unterschätzte Linksextremist*innen und Antifas haben hier ihr skrupelloses Gesicht enthüllt. Ist doch klar: das linke Gelichter, das sich unweit des Tatortes - keine 30 Meter entfernt - versammelt hatte, um einen Gedenkort für Laye-Alama Condé zu fordern und seiner zu gedenken, wollte Magnitz ermorden, keine Frage. Wenn jemand schon eines schwarzen Drogendealers gedenkt! Condé war im Januar 2005 an den Folgen einer polizeilich angeordneten und ärztlich im Polizeigewahrsam durchgeführten Verabreichung von Brechmitteln gestorben.

Wer sich jetzt nicht eindeutig und öffentlich gegen diese Angriffe ausspricht, macht sich stillschweigend mit den brutalen Tätern gemein“, legte die AfD auf ihrer Website reißerisch bebildert die Meßlatte für Politik und Medien auf, wie der „Mordversuch“ am Parteigenossen zu bewerten sei. Und alle sprangen über das Stöckchen, allen voran die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die die kurze Entfernung vom Tatort bis zur Versammlung der Linken augenzwinkernd vermaß. Auch diesmal hat das Framing, auf das die Polizei ohnehin abonniert ist, prima geklappt. Jeder Kasper fühlte sich bemüßigt, den Angriff auf Magnitz zu dämonisieren und einer weiß Gott wie gefährlichen Linken zuzuschreiben. Selbst der Bundespräsident meldete sich zu Wort und sprach ein majestätisches Machtwort zur Verrohung der Sitten, die den Rechtsstaat gefährdeten.

Dass die Geschichte so, wie von Magnitz verbreitet, frei erfunden war und von der AfD gerne zum Agenda-Setting aufgegriffen wurde, wird erst in den darauffolgenden Tagen klar: Die Aufzeichnung der Überwachungskamera zeigt einen Täter und einen Stoß in den Rücken Magnitz’, ein Kantholz und Tritt gegen den Kopf hat es nicht gegeben. Seine Platzwunde zog sich Magnitz durch den Sturz zu. Und auch die als Zeugen hofierten Handwerker wiesen die Behauptungen zurück, sie hätten die Tat überhaupt gesehen. Aber wie das so ist mit Framing: Die Meldung vom Antifa-­Mordanschlag auf einen redlichen AfD-Poli­tiker war in der Welt und wird sicher noch nachklingen in den Debatten der kommenden Zeit.

Ein Kantholz, mit dem der Poliker auf den Kopf geschlagen worden sei, und die Tritte gegen den Kopf des am Boden Liegenden waren einfach zu verlockend und ein nur zu willkommenes Futter für das groß orchestrierte Mimimi einer Partei der verfolgten Unschuld. Dass Tritte gegen wehrlos am Boden Liegende und ihre Köpfe jedoch Kennzeichen mörderischer neonazistischer und rassistischer Gewalt sind, der seit der Inbesitznahme der DDR in Gesamtdeutschland bald 200 Menschen zum Opfer fielen und viele Tausend verletzt worden sind, wird zugunsten der klickstarken, bluttriefenden Aufmachergeschichte dann schon gerne in den Skat gedrückt. In seiner Wahnwelt konsequent spricht denn Parteichef Gauland auch davon, dass wegen der Medien- und Parteienhetze gegen die AfD „Schlägerbanden“ entstünden, die dieser verbalen Verunglimpfung Taten folgen ließen: Eine krudere Täter-Opfer-Umkehr war selten.

Wie leicht die AfD es mit dieser Art von Opfernarrativ hat und wie gerne bürgerliche Kommentator*innen auf den bereitgestellten Zug aufspringen, zeigt ein weiteres Beispiel aus Berlin-Neukölln: Dort ging am 31. Januar das Auto des AfD-Politikers und Neonazis Tilo Paulenz in Flammen auf. Einer der drei Tatverdächtigen, die von einer Zivilstreife beobachtet worden sein sollen, konnte festgenommen werden. Für den der Extremismusdoktrin huldigenden, stets staatstreudoofen Tagesspiegel ein klarer Fall: „In Berlin-Neukölln eskalieren die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen links und rechts.“ Ohne einen Moment zu zögern und vielleicht ein Sekündchen über die Persönlichkeitsrechte und die Unschuldsvermutung gegenüber dem Verdächtigten nachzudenken, verkündete das in seiner Exklusivität vor Erregung nur so vibrierende westberliner Bürger*innenblatt gleich mal ein paar Details aus dem Berufsleben des Festgenommenen. Und holte sich bei einer diensteifrigen ehemaligen Arbeitgeberin, der "Amadeu-Antonio-Stiftung", einen Disclaimer ab, der eine Vorverurteilung, eilfertige Dis­tanzierung und den Bruch der Fürsorge­pflicht gegenüber - auch ehemaligen - Mitarbeiter*innen gleich freihaus mitlieferte: „Sie [die Gewalt] ist kein Mittel der Auseinandersetzung, egal aus welcher Richtung sie kommt. Der Verdächtige war nie bei der Stiftung angestellt!“ Es blieb der Anwältin des kurze Zeit später auf freien Fuß Gesetzten überlassen, festzuhalten, dass kein dringender, konkreter Tatverdacht gegen ihren Mandanten bestehe und deshalb auch kein Haftbefehl vom Staatsanwalt beantragt worden sei. Gegen die Erzählung, „linker Rechtsextremismus-Experte begeht Brandanschlag auf arglosen AfD-Politiker“, konnte diese Klarstellung freilich nichts mehr ausrichten.

Kritik an der zivilgesellschaftlichen Stiftung und ihren vorverurteilenden Äußerungen aus der Warte der beflissenen Staatstreue und unter Mobilisierung der alten, aber zuverlässigen antikommunistischen Beißreflexe weist u.a. Martin Jander auf hagalil zurück. Sein Befund: “... die ‘anti­faschistische Militanz’, ähnlich wie rechte Bürgerwehren, höhlt die Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols aus...“. Seit Jahrzehnten im wissenschaftlichen Bereich des Linken-Bashings unterwegs, zeitweise in der Ecke der „Aufarbeitung des DDR-Unrechtsstaats“, vulgo „Forschungsverbund SED-Staat“, gibt es für Jander zwar unschöne Verrohungen nicht nur der deutschen Gesellschaft hin zu einer „illiberalen Demokratie“, aber eine Faschisierung durch den parlamentarischen Blitzdurchmarsch der AfD hält er für abwegig. Für ihn sind, Überraschung, die Extremist*innen von links und rechts gleichermaßen daran schuld und gefährden den besten aller deutschen Staaten ever. Sein in Stein gemeißeltes Bild einer völlig irren und widersinnigen radikal-linken Position verortet er selbst in den 1970er Jahren, über die er schreibt: „Es ist die linksradikale Welt (...), in der ‘Faschisten’, ‘Kapitalisten’, ‘Imperialisten’, ‘Amerikaner’, ‘Zionisten’, ‘Cops’, Professoren sowie Abgeordnete des Parlaments als ‘Schweine’ tituliert wurden und Begriffe wie ‘bürgerlich’ und ‘liberal’ Schimpfworte waren.“ Diese dümmliche Pauschalisierung und Verkürzung linker Diskurse weist ihn nicht nur als den Kommunist*innenhasser aus, der er sein muss, um auf dem Feld zu glänzen, auf dem er forscht, sondern auch als ahnungslos von aktuellen Auseinandersetzungen in einer emanzipatorischen und menschenrechtlich orientierten radikalen Linken. Diese werden vielfach bereits wieder mit dem Rücken zur Wand geführt aufgrund - ja! - einer dramatischen Faschisierung von Teilen der deutschen Gesellschaft.

Während bis auf höchste Ebene ein Geschrei um antifaschistische Gruppen anschwillt und ein Verbot von Roter Hilfe und Antifa gefordert wird, ignoriert eine bürgerliche Mitte mit ihren Medien schlicht, wie sehr sie mal wieder von der in Teilen offen neofaschistischen AfD für ihre Zwecke eingespannt wird. Den Kitt liefert dafür der traditionelle deutsche Antikommunismus, dem es nicht möglich ist, in Ideologie, Auftreten, Absichten, Taten und Verbrechen der neuen, alten und Neuen Rechten eine Gefahr für Staat, Demokratie und Gesellschaft zu erkennen. Während bei rassistischem und rechtem Terror das Auge stets fest zugedrückt bleibt, gilt schon der geringste Verdacht auf der Linken als rechtskräftiges Urteil. Das war schon vor hundert Jahren so, als das Bürgertum und die Sozialdemokratie den linken Aufstand der Novemberrevolution blutig niederschlugen: Der Heidelberger Mathematikprofessor Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1922 seine Untersuchung „Vier Jahre politischer Mord“ und listete von 1919 bis 1922 376 politisch motivierte Morde auf: 354 waren dem rechten Spektrum zuzuordnen, lediglich 22 dem linken. In einer Würdigung des weitgehend vergessenen und später vor den Nazis in die USA geflohenen Gelehrten im Spiegel heißt es zu seinen Ergebnissen: „Die Gerichte ahndeten jedoch die 22 Linksmorde mit zehn Hinrichtungen und zusammengenommen knapp 249 Jahren Zuchthaus sowie dreimal Lebenslänglich. Für die 354 Rechtsmorde hingegen, die hauptsächlich von ehemaligen Militärs verübt wurden, verhängten sie insgesamt lediglich 90 Jahre und zwei Monate Haft, eine einzige lebenslängliche Gefängnisstrafe und insgesamt 730 Reichsmark Geldstrafe. 326 Morde blieben sogar völlig ungesühnt. Perfider ausgedrückt: Ein durchschnittlicher Mord von links kostete das Leben, einer von rechts gerade einmal vier Monate Haft und zwei Reichsmark.

Sicher, Geschichte wiederholt sich nicht und es ist auch gar nicht nötig, unhistorische Vergleiche vorzunehmen angesichts dessen, was auf diesem Globus gerade vor sich geht. Aber die identifi­zier­baren Traditions­linien stechen  doch ins  Auge.