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Kleine »Volksfront«?

Einleitung

Die Neonazi-Szene in Hamburg ist im Wandel

Die Hamburger NPD-Vorsitzende Anja Zysk und Alexander Hohensee bei einer NPD-Demonstration am 14. Oktober 2006 in Hamburg (Wandsbek).

Um die Jahrtausendwende tobte innerhalb der Hamburger Neonazi-Szene ein Richtungsstreit. Christian Worch überzog die Republik mit zahllosen Aufmärschen, während sich sein ehemaliger Weg­gefährte Thomas Wulff gemeinsam mit Tobias Thiessen und Inge Nottelmann im »Aktionsbüro Norddeutschland« (AB Nord) und dem Magazin »Zentralorgan« um eine bessere ideologische Schulung der »Kameraden« bemühen wollte, anstatt diese von Aufmarsch zu Aufmarsch zu hetzen. Diese Streitigkeiten, gepaart mit persönlichen Verwerfungen, führten zu einer Aufspaltung in verschiedene Hamburger Lager. Dies ging soweit, dass Wulff, inzwischen nach Mecklenburg-Vorpommern verzogen und der NPD zugewandt, und Worch Anfang 2004 in Konkurrenz zueinander jeweils einen »eigenen« Aufmarsch gegen die überarbeitete Fassung der sogenannten »Wehrmachtsausstellung« in Hamburg durchführten. Seitdem hat sich in der Hansestadt einiges geändert.

2005 rückte die Szene erkennbar zusammen. Als im Januar im Stadtteil Harburg ein rechter Skinhead bei einem Angriff auf einen Migranten mit einem Messer verletzt wurde, nutzte Christian Worch die Gunst der Stunde und meldete eine Kundgebung gegen »Ausländerkriminalität« an. 80 »Kameraden« folgten seinem Aufruf, für Hamburger Verhältnisse eine hohe Zahl. Offenbar angespornt von diesem Mobilisierungserfolg führte nun der damals gerade 18jährige Alexander Hohensee eine ganze Reihe kleiner Kundgebungen, Infotische und Demonstrationen in seinem damaligen Heimatstadtteil durch. Unterstützung erhielt er dabei von seinem politischen »Ziehvater« Worch sowie vom ehemaligen »Hamburger Sturm«-Kader und NPD-Mitglied Jan Steffen Holthusen. Um Hohensee bildete sich ein aktiver Zusammenhang von circa zehn sehr jungen Neonazis, welcher auch an bundesweiten Aufmärschen teilnimmt und zeitweise unter dem Label »Widerstand Harburg« auftrat sowie eine stadtteilbezogene Internetseite betrieb.

NPD reloaded

Die Harburger Veranstaltungsserie ging über in den Bundestagswahlkampf der NPD und auch hier hatte sich einiges verändert. Mit der Ablösung Ulrich Harders durch die im November 2005 gewählte Anja Zysk wurde erstmals eine Frau Landesvorsitzende in der NPD. Die aus NRW zugezogene Berufsschullehrerin trat mit einem frischen Team an und konnte viele aktive Neonazis davon überzeugen, dass sich die Hamburger NPD unter ihrer Leitung weg von der verstaubten Rentnerpartei und hin zur aktiven Organisation mit offensiver Ausrichtung entwickeln würde. Bedeutende Aktivisten der militanten Kameradschaften wie Torben Klebe, Jan Steffen Holthusen oder Thorsten de Vries engagierten sich seitdem nach Kräften zu Gunsten der Partei. Als selbst Christian Worch, von der NPD einst mit Auftrittsverbot belegt, den Wahlkampf bei einer Kundgebung unterstützte, staunten nicht wenige über die neue Nähe zwischen NPD und »Freien« in Hamburg.

Überhaupt sind die Grenzen zwischen NPD und Kameradschaften in Hamburg fließend bis völlig unbedeutend geworden, es herrscht das Prinzip »Eine Hand wäscht die andere«. So sieht sich zum Beispiel die  junge Harburger Szene zwar als Teil der »Freien Nationalisten«, nimmt aber an den internen Kreisverbandstreffen und anderen Veranstaltungen der NPD teil. Bei regelmäßigen Stammtischen tauschen sich Mitglieder des NPD-Ordnerdienstes mit der ehemaligen Führungsebene des verbotenen »Hamburger Sturms« aus und bei einem Aufmarsch der Partei im Oktober übernahmen gar Tobias Thiessen und Inge Nottelmann, immerhin Betreiber des AB Nord, gemeinsam mit Parteimitgliedern die ungeliebte Aufgabe der Parkplatzbewachung.

Über Hamburg hinaus

Als Ende November 2006 knapp 20 Neonazis unter Leitung des Wandsbeker NPD-Kandidaten Dr. Karl Göbel gewaltsam eine DGB-Veranstaltung zu rechten Strukturen im Stadtteil Wandsbek stürmen wollten und DGB-Ordner angriffen, befanden sich unter den Angreifern neben Mitgliedern des NPD-Ordnerdienstes auch Anhänger der »Freien Nationalisten« und ehemalige Aktivisten des »Hamburger Sturms«.

Überregional bestehen enge Verbindungen zu den Bewohnern des »Heisenhofes« (Dörverden, Niedersachsen), den »Kameraden« um den niedersächsischen NPD-Vize Adolf Dammann, zu den Bremer Anti-Antifa- Aktivisten Henrik Ostendorf und Andreas Hackmann nebst Umfeld sowie zu Schleswig-Holsteiner Neonazis aus dem Hamburger Umland. Dieses Potential ist auch im Voraus in viele Planungen eingebunden und nimmt so zum Teil auch an nicht öffentlich mobilisierten Aktionen teil. Die engen Kontakte zu den »Kameraden« um Axel Reitz (NRW) scheinen hingegen seit dessen Inhaftierung eingeschlafen zu sein.

Das Zusammenrücken der unterschiedlichen Neonazi-Spektren hat offenbar zu einer Stärkung des Selbstbewusstseins geführt. Die Aktionen sind in den letzten zwei Jahre flexibler und provokanter geworden. Aggressiv drängt die Szene in die Öffentlichkeit, sei es mit einem Rechtsrock-Konzert zum Geburtstag Torben Klebes im Oktober 2005 mitten in Hamburgs von vielen Linken bewohntem Party-Kiez St.Pauli, mit einer NPD-Kundgebung im bürgerlich-linken Eimsbüttel oder mit zahlreichen Infoständen und Kleinstkundgebungen in verschiedenen Stadtteilen. Auch die Bereitschaft der Hamburger Neonazis, Straftaten zu begehen, ist gestiegen. Alleine von Januar bis August 2006 verzeichneten die Behörden in der Hansestadt einen Anstieg rechtsextremer Straftaten um 41 Prozent, doppelt so viel wie im  Bundesdurchschnitt. Der Anstieg rechter Gewalttaten wie Körperverletzungen stieg gar um 80 Prozent.

Trotz des offensiven Auftretens stagniert die Zahl organisierter Neonazis in Hamburg, ihr Mobilisierungspotential ist sogar stark rückläufig. Der Hamburger Personenkreis, welcher regelmäßig an Veranstaltungen und Aktionen teilnimmt umfasst etwa 50 Personen, hiervon lassen sich selten mehr als 30 zeitgleich mobilisieren. Selbst bei monatelanger Vorbereitung und überregionaler Unterstützung ist die Hamburger Neonazi-Szene derzeit kaum in der Lage mehr als maximal 200 Sympathisanten zusammenzurufen – bundesweit. Veranstaltungen mit regionalem Charakter wirken mit Teilnehmerzahlen zwischen 20 und 60 häufig lächerlich und stellen auch für potentiellen Nachwuchs sicher kein beeindruckendes Bild dar.

Ausblick

Wie sich die Neonazi-Szene in Hamburg weiter entwickeln wird, lässt sich derzeit schwer voraussagen. Ob die nach außen gezeigte Einigkeit im Rahmen der NPD unter Anja Zysk Bestand haben wird oder der militantere Flügel um Holthusen, Klebe und de Vries seine Machtposition ausbaut und diese nutzt um den Landesverband weiter zu radikalisieren, bleibt abzuwarten. Und auch der Vorlauf der Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2008 birgt Konfliktpotential innerhalb der Rechten: Nach dem »Deutschland-Pakt« zwischen NPD und DVU soll nur letztere in Hamburg antreten. Der DVU-Landesverband unter Leitung von Günther Schlemmer ist jedoch seit Jahren nicht mehr wahrnehmbar und spielt innerhalb der Neonazi-Szene keine Rolle. Ob die »Kameraden«, welche jetzt so fleißig am Profil der Landes-NPD feilen, der schwachen DVU tatsächlich das Feld überlassen wollen, ist fraglich. Nicht auszuschließen wären zum Beispiel Kandidaturen militanter Neonazis auf DVU-Listenplätzen.