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Lügen, Fakes und Echokammern

Einleitung

PI News, Compact, Vlogs der Identitären oder beliebige rechte Foren bei Facebook. Wer rechte, rassistische Nachrichten und Inhalte sucht, wird mit wenigen Klicks fündig. Formate rechter Gegenöffentlichkeit konkurrieren mit etablierten Medien um die Deutungshoheit nicht nur bei Themen wie „Flüchtlinge“ oder „Terror“.

Als Agenturen, Zeitungen und Rundfunk noch die maßgeblichen Medien waren, funktionierten Nachrichten nach einem hierarchischen Prinzip. An den Toren der Nachrichtenwelt bestimmten Redakteure welche Ereignisse eine Nachricht waren, und welche nicht. Die Sendezeit, der Platz in der Zeitung war begrenzt, der Fluss der Nachrichten war durch den Turnus nationaler und internationaler Gremien sowie die Produktions- und Distributionsbedingungen von Zeitungen und Fernsehen rhythmisiert. Das Wesen dessen, was als politisch galt, wurde von in der Regel weißen Männern in den Redaktionen bestimmt, die konsequent alles als unwichtig ausblendeten, was nicht in ihrer Wahrnehmung und ihren ökonomischen Interessen vorkam. Kurz gesagt: Was in den statischen Medienformaten nicht vorkam, fand nicht statt.

Dagegen erhob sich zunächst die europäische Arbeiterbewegung und später die Gegenöffentlichkeit neuer sozialer Bewegungen, deren Agenda durch die Weltsicht von unten geprägt war, die den unterdrückten Minderheiten eine Stimme gab und zu Ereignissen eine eigene Sicht beisteuerte.
Eine andere Art Gegenöffentlichkeit entstand nach dem 2. Weltkrieg in der extremen Rechten der Bundesrepublik. In der „Nationalzeitung“ und Zeitschriften wie „Nation Europa“ propagierte die postnazistische Rechte ihren geschichtspolitischen Fundamentalismus in Bezug auf die NS-Vergangenheit und agitierte über Jahrzehnte gegen „Umerziehung“, „Amerikanisierung“ und „Gastarbeiter“. Zeitschriften wie „Criticon“ trieben die Neuformierung der Rechten voran, und bildeten mit der damaligen Ausrichtung der Zeitschrift „Mut“ eine Brücke in den etablierten Konservatismus.
Allen Formen von Gegenöffentlichkeitwar ihr Bezug auf das, was heute Mainstreammedien genannt wird, gemein. Noch in der Ablehnung ihrer Darstellung und Interpretation politischer Vorgänge bezogen sich Medien der Gegenöffentlichkeit auf diese. Adressaten- und Leserkreise bildeten abgegrenzte Milieus, in denen politische Orientierung mit Habitus und Wertekanon einher ging. In diesem Koordinatensystem war klar zuordenbar, wer die taz, und wer die rechte „Nationalzeitung“ las. Überschneidungen blieben die Ausnahme. Doch rechte Medienschaffende ließen sich gern von linken Projekten inspirieren. Als die JUNGE FREIHEIT 1994 ihr Erscheinen auf einen wöchentlichen Modus umstellte, warb sie damit, eine Art rechte taz zu sein: frech und unkonventionell.

Wer im analogen Zeitalter an rechte Inhalte gelangen wollte, musste einen rechten Verlag oder Versand anschreiben, und bekam per Post ein Buch oder eine CD zugeschickt. Von deren Existenz zu erfahren, setzte einen Kontakt in rechte Milieus voraus. Die Reichweite rechter Inhalte erhielt durch ihre Präsentation auf Websites eine neue Verbreitungsform: Extrem rechte Inhalte wurden direkt zugänglich. Projekte wie die sogenannten „Nationalen Infotelefone“ oder das „Thule-Netz“, welches zunächst nur eine Mailboxvernetzung des Kerns der Szene war, verschafften Neonazis neue Publizität. Über Jahre war „Altermedia“ so bedeutsam, weil es offen neonazistische Propaganda mit dem Angebot des Austausches in Foren anbot. Solche Portale mobilisierten zu Aktionen, berichteten im Nachhinein zeitnah mit Fotos und Videos, und schufen so eine neue Form der Bindung und Kommunikation. Ihre interne Kommunikation trieb die Szene derweil über Foren wie Thiazi voran.

In einem nächsten Schritt präsentierten Rechtsrock-Bands Musik und Artwork auf MySpace. Dort konnten Songs heruntergeladen, Konzerte angekündigt oder direkt Kontakt aufgenommen werden. Podcast-Formate wie „Radio Germania“ erlebten hier ihre große Zeit. Effekt der Präsentation extrem rechter Inhalte im Netz war ihre unmittelbare Verknüpfung mit- und die Möglichkeit des Verweises aufeinander, die für Menschen ohne Szenebezug so zuvor nicht möglich war.
Waren Websites eine Möglichkeit Inhalte kostengünstig zu verbreiten, erwiesen sie sich doch weitgehend als kommunikative Einbahnstraße. Die Rollen zwischen jenen, die Inhalte anboten und jenen, die sie konsumierten, waren klar verteilt. Dies änderte sich mit Facebook und anderen Web 2.0. Formaten. Es wurde nicht nur möglich, Inhalte direkt zu kommentieren, sondern auch als Nutzer selbst welche anzubieten.

Die Kunst der Manipulation im Netz

Wer Rassismus und Ressentiments in sozialen Netzwerken verbreiten will, kleidet dies zumeist in die Form einer Nachricht, die bestehende Vorurteile und vor allem die Emotionen anspricht. Damit dies gelingt, muss eine Fake-Nachricht so gebaut sein, dass sie an die Ängste appelliert, zugleich aber ihre Plausibilität darüber herstellt, indem sie bekannte mediale Deutungsmuster, etwa von Kriminalität aufnimmt und mit Klischeebildern von Migranten verknüpft. Ziel ist es, ein Gerücht oder eine lügnerische Tatsachenbehauptung zu einer Nachricht zu verdichten und glaubwürdig erscheinen zu lassen. Dieser Prozess vollzieht sich in mehreren Phasen. Zuerst geht es darum, die Nachricht über einen angeblich in den Medien verschwiegenen Angriff von Migranten auf Schüler oder eine von Flüchtlingen begangene Vergewaltigung plausibel erscheinen zu lassen. Der die Nachricht beglaubigende Einstieg lautet dann, es handle sich um einen Fall, den Polizei, Medien und Politik bewusst verschweigen, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Um eine Lüge zur glaubwürdigen Nachricht aufzuwerten, wird ihr eine Rahmenerzählung gegeben, nach der die Quelle z.B. ein Polizist aus der Familie sei, den man zum Schweigen verdonnert habe. Wichtig für die Glaubwürdigkeit sind Fotos oder Videos, die das Geschehen dokumentieren sollen. Bilder geben Nachrichten eine emotionale Dimension, erhöhen ihre Reich­weite und Glaubwürdigkeit. Dass und wie sich Bilder und Videos manipulieren lassen, ist eigenständiger Teil der Propaganda- und Mediengeschichte. Für die Wirkung ist dabei nicht entscheidend, was es wirklich zeigt, sondern was es laut Begleittext zeigen soll. Es kursieren unzählige Videos, die Gewaltsituationen im Alltag oder im Straßenverkehr zeigen, die aber in einem rassistischen Kontext interpretiert werden.

Parallel- statt Gegenöffentlichkeit

Ging es im Konzept Gegenöffentlichkeit noch um den Aufbau einer Konkurrenz zur Produktions- und Distributionsdominanz der großen Medien, funktionieren die Konzepte rechter Bewegungen nach dem Prinzip Parallelöffentlichkeit. Diese hat sich von der Interaktion mit anderen Öffentlichkeiten verabschiedet und spricht ihre Zielgruppen direkt an. Rechte Nachrichtenportale bereiten die Botschaften rechter Parteien und Politiker auf und setzen Themen und Kampagnenformate um, die die Ressentiments ihrer Rezipient_innen wiederholen und bestärken. Ihr Erfolg basiert auf der Herausbildung eines eigenen Narrativs dessen, was gerade passiert. In dieser Erzählung lässt sich eine Kausalkette etwa zwischen Migranten und dem Anstieg von Infektionen mit Krankheiten auch dann herstellen, wenn sie gar nicht beweisbar ist — einfach weil sie durch ein Narrativ abgesichert ist, in dem alle negativen Ereignisse mit Migranten verknüpft werden.

Filterblasen und Echokammern

Personalisierte Algorithmen die sich dem Nutzerverhalten anpassen haben zur Folge, dass sich Nutzer_innen sozialer Netzwerke rasch in thematischen oder lebensweltlichen Filterblasen wiederfinden, in denen ihnen Bilder und Nachrichten gleichen oder verwandten thematischen Inhalts gezeigt werden. Dies mag bei einem speziellen Freizeitinteresse für Haustiere ohne weitere Folgen für die politische Orientierung bleiben. Geht es bei diesen Wiederholungen um Politik so entsteht eine Mechanismus der permanenten Bestätigung der eigenen Auffassungen, die für Widersprüche oder gänzlich andere Auffassungen nicht mehr erreichbar ist. Wer in seiner Timeline beständig Nachrichten über straf- und gewalttätige Migranten angezeigt bekommt, gelangt zu der Ansicht, all diese Nachrichten seien Wahrheiten von denen in anderen Medien nichts zu erfahren sei. Rechte Medien agieren heute faktisch auf Augenhöhe mit den von ihnen verhassten Mainstreammedien. Sie und rechte Parteien führen einen Kulturkampf um die Deutungshoheit zentraler gesellschaftlicher Themen. Ihre Propagandisten haben ein Ziel: Die Dominanz der großen Medien durch eigene Inhalte zu ersetzen.