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Redwatch

Das ausgebrannte Auto eines linken Ehepaars in Leeds. Vor dem Anschlag war das Fahrzeug samt Kennzeichen auf Redwatch veröffentlicht worden.

Mitte Mai 2006 wird der linke Aktivist Maciej D. in Warschau auf offener Straße von mehreren Neonazi-Skinheads mit einem Messer angegriffen und erleidet einen acht Zentimeter tiefen Stich in die Lunge, knapp neben das Herz. Er überlebt nur durch großes Glück. Diesen Sommer wird Alec McFadden, ein Antifaschist und Gewerkschafter aus der britischen Stadt Merseyside, vor seiner Haustür mit einem Messer angegriffen und im Gesicht verletzt. Vor schlimmeren Verletzungen bewahrt ihn nur seine Geistesgegenwart, die ihn die Haustür zuschlagen lässt. Nach der Tat erreicht ihn ein Brief, in dem ihm und seiner Familie für den Fall gedroht wird, dass die englische Anti-Antifa Internetseite Redwatch geschlossen werden sollte. Fotos beider Männer waren zuvor auf Internetseiten des Neonaziprojekts Redwatch aufgetaucht, unter Angabe ihres Namens und ihrer Wohnadressen.

Doch dies sind nicht die ersten Opfer von Neonazigewalt gewesen, deren Daten zuvor auf Redwatch aufgetaucht waren. In Leeds wurde beispielsweise das Auto eines linken Lehrer-Ehepaars angezündet, nachdem auf Redwatch Kennzeichen und Typ genannt worden waren. Auf der englischen Redwatch-Seite sind bis heute hunderte von Fotos von linken und zivilgesellschaftlich engagierten Personen zu sehen, viele mit Namen und Wohnadresse. Es gibt Unterverzeichnisse für jede größere englische Stadt und viele Regionen des Landes.

Alte Bekannte

Für die englische Version von Redwatch, von der es zeitweise Ableger in Polen, Neuseeland und den Niederlanden gab, zeichnet der britischen AntifaschistInnen bestens bekannte langjährige Neonazi Kevin Watmough aus West Yorkshire verantwortlich.

Watmough bekannte sich selbst in einem Internetforum zur Urheberschaft der Redwatch-Seite und gab damit zu, was AntifaschistInnen schon lange klar war, wofür es jedoch keine wasserdichten Beweise gab. Watmough war schon in den 1980er Jahren als 13jähriger Anhänger der National Front (NF). Seine extrem rechte Karriere führte ihn von der NF über das radikalere British Movement (BM) zur British National Party (BNP).

Mit anderen BNP-Anhängern terrorisierte er in der Region um Leeds Linke und AntirassistInnen, was 1994 zu seiner Verhaftung wegen eines dieser Angriffe führte. In der Folgezeit stieß er zur militanten Neonazigruppe Combat 18 (C18) und war 1999 von einer landesweiten Razzia gegen die Terrorgruppe betroffen. Nach dem Abstieg von C 18 in die faktische Bedeutungslosigkeit orientierte er sich wieder zur NF und gründete in den folgenden Jahren immer wieder kleine Neonazizirkel wie Aryan Unity, die White Nationalist Party oder zuletzt die British People's Party (BPP). Auch dem militanten Loyalismus fühlt er sich verbunden und wurde schon in der Gesellschaft von protestantischen Terroristen in Nordirland gesehen. Zu dem Bekenntnis, Redwatch zu betreiben, fühlte sich Watmough wohl gedrängt, weil der öffentliche Druck nach dem Angriff auf Alec McFadden gestiegen ist. So begannen sich auch Parteikollegen Watmoughs aus der BPP öffentlich von Watmough und Redwatch zu distanzieren. Hierzu äußerte er sich empört: »Es scheint, als machten sich die Leute, die die Partei verlassen haben, mehr Sorgen darum, dass ZOG ihnen persönlich einen Denkzettel verpasst, wenn die höheren Mächte sich entscheiden, gegen Redwatch aktiv zu werden und Redwatch mit der BPP verlinkt ist, als dass sie sich irgendwelche Sorgen über Links zu NS-Seiten wie SS Regalia machen.« (SS Regalia ist ein NS-Devotionalienversand)

Fehlt der politische Wille?

Während der Mordanschlag in Warschau auf Maciej D. zu landesweiter Empörung führte und die polnische Regierung in Zusammenarbeit mit dem FBI die Sperrung der auf einem US-amerikanischen Server gehosteten Website veranlasste und die Urheber verhaftete, zeigten die britischen Ermittlungsbehörden bislang erstaunlich wenig Interesse, den Machern der Anti-Antifa-Seite das Handwerk zu legen. Die britische antifaschistische Zeitschrift Searchlight macht jedoch schon seit Jahren auf die Gefährlichkeit von Redwatch aufmerksam.

Schon im November 2003 veröffentlichte Searchlight Informationen über ein extrem rechtes Internetforum, das von Tony Foy aus Leeds, einem Mitstreiter Watmough's betrieben wurde. In diesem Forum wurde die Absicht hinter Redwatch deutlich artikuliert: »Redwatch hat viele Namen und Adressen mit Bildern der Zielpersonen angesammelt, vielen von ihnen ist noch nichts passiert. Jetzt ist die Zeit, eine richtige Kampagne der Gewalt und Einschüchterung gegen die zu starten, die uns zum Schweigen oder ins Gefängnis bringen wollen.« Desweiteren bat Foy in diesem Forum Watmough die vermutete Adresse eines missliebigen Journalisten zu bestätigen, der seit längerem kritisch über Redwatch und die Neonazi-Szene berichtet: »Ich habe da so ein Gefühl, aber ich brauche Sicherheit, bevor ich in dieser Sache aktiv werde.«

Doch weder Interventionsversuche beim Innenministerium, bei der Polizei noch bei Parlamentariern haben bisher Erfolg gebracht. Vor zwei Jahren teilte das Innenministerium auf eine entsprechende Anfrage mit, die britischen Behörden hätten keinerlei Handlungsspielraum, da die Seiten auf einem US-Server liegen und somit für die britische Gerichtsbarkeit unerreichbar seien; des weiteren sei ihr Inhalt in den USA durch den ersten Zusatz der US-Verfassung gedeckt, der das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt. Außerdem würde die Seite nicht gegen britisches Recht verstoßen – es handle sich lediglich um einfache Listen von linken Aktivisten. Hier stellt sich die Frage, ob ähnlich argumentiert würde, wenn Listen von an Tierversuchen beteiligten Wissenschaftlern oder Parlamentsabgeordneten veröffentlicht worden wären.

Nach Informationen von Searchlight gibt es inzwischen jedoch Stimmen im Innenministerium, die eine Verfolgung Watmoughs für möglich halten, da die strafbare Handlung, nämlich das Verfassen der Inhalte von Redwatch, von einem Briten in Großbritannien verübt wird. Außerdem ist es äußerst fragwürdig, ob Redwatch in den Staaten durch den ersten Verfassungszusatz gedeckt wird, da es dort bereits ein Präzedenzurteil in einem sehr ähnlich gelagerten Fall gibt: Militante Abtreibungsgegner hatten auf einer Webseite namens »The Nuremberg Files« (die Nürnberg-Akten) Bilder, Namen und Adressen von AbtreibungsärztInnen veröffentlicht. In der Folge wurden zwei der Ärzte ermordet und ihre Fotos auf der Seite mit einem schwarzen Balken versehen. Das Gericht argumentierte, dass persönliche Bedrohung nicht durch den ersten Verfassungszusatz gedeckt sei und schaltete die Seite ab.

Dass Redwatch, welches von ehemaligen C18-Mitgliedern betrieben wird, nicht allein der Meinungsäußerung, sondern vielmehr der Einschüchterung bis hin zur Beihilfe zur Ermordung von Menschen dient, dürfte auch vor einem US-Gericht nicht schwer nachzuweisen sein. Bleibt zu hoffen, dass die von Searchlight und anderen AntifaschistInnen initiierte Kampagne gegen Redwatch nicht länger auf taube Ohren stößt und genug politischen Druck entwickelt, damit die Behörden unter Zugzwang geraten.

Mehr Informationen unter: 
www.searchlightmagazine.com
www.stopthebnp.org.uk