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V-Leute setzten sich für „Satansmörder“ Möbus in den USA ein

Kai Budler
Einleitung

Die Flucht von Hendrik Möbus währte nicht einmal ein Jahr: im August 2000 wurde der als „Satansmörder“ bekannt gewordene Neonazi nach mehrwöchiger Observation in West-Virginia festgenommen. Er hatte sich Ende 1999 in die USA abgesetzt, nachdem das Amtsgericht Erfurt seine Bewährung nach der vorzeitigen Haftentlassung im August 1998 widerrufen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Möbus eine vierjährige Haftstrafe wegen gemeinschaftlich geplanten Mordes, Freiheitsberaubung und Nötigung hinter sich gebracht. Er war einer der drei Täter, die 1993 den 15-jährigen Sandro Beyer in einer Waldhütte im thüringischen Sondershausen erdrosselt und den Leichnam in einer Baugrube vergraben hatten.

Hendrik Möbus (rechts) beim „Rock gegen Links“-Konzert im Oktober 2017 in Themar (Thüringen).

Wieder in Freiheit, hatte er sein Mordopfer als „Volksschädling“ verhöhnt und bei einem Auftritt seiner Band „Absurd“ den Hitlergruß gezeigt. Möbus flüchtete nicht zufällig nach West-Virginia, denn dort konnte er sich der Unterstützung von William Pierce, dem Gründer der „National Alliance“ (NA), sicher sein. Unter seinem richtigen Namen reiste er nach Washington und hatte sich bei dem Chef des „White Order of Thule“, Nathan Pett, in Seattle eingemietet. Als Zielfahnder seinen Unterschlupf überprüften, war Möbus wieder verschwunden. Im Mai 2000 tauchte dann ein in Moskau abgestempelter und von Möbus unterschriebener Brief auf. Darin hieß es: „Hiermit mache ich bekannt, dass ich mich der Strafverfolgung und -vollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland nicht freiwillig stellen werde“. Der Brief war jedoch eine falsche Fährte, denn Möbus befand sich nach wie vor in den USA, wo er einen Musikvertrieb für „National Socialist Black Metal“ (NSBM) namens „Cymofane“ übernommen hatte. Der Vertrieb lief über ein Postfach in Marlington in West-Virginia, den Schlüssel dazu besaß William Pierce. Der vom Bürgerrechtler Leonard Zeskind als „Chefideologe der rechtsextremen Szene in den USA“ bezeichnete Pierce betrieb einen regen Versandhandel und die Plattenfirma „Resistance Records“, eines der weltweit größten Label für rechte Musik.

Seine etwa 300 Meter von der Hauptstraße Marlingtons entfernt gelegene Farm gleicht einer Festung: Stacheldraht, Zäune, Kameraüberwachung und bewaffnete Männer an der Einfahrt. In dieser Farm arbeitete Möbus unter dem Namen „Hans Schmidt“ und versuchte dort, die Rechtsrock-Szene für den NSBM stärker zu öffnen. Im August 2000 war damit Schluss, denn für den Deutschen schlossen sich bei seiner Festnahme die Handschellen. Sein Schützling sei ein „wahrer Nationalsozialist“, der zehn Wochen für ihn gearbeitet habe, erklärte Pierce nach der Verhaftung von Möbus, der für den amerikanischen Neonazi neue Vertriebswege in ganz Europa aufbaute. In der Auslieferungshaft spricht Möbus von sich als „Dissidenten“, alle seine Delikte seit 1998 seien „politischer Natur“. Er appelliert: „Wenn nicht der Nationale Widerstand in Deutschland meinen Fall für seine Zwecke einsetzt, dann wird das System meinen Fall weiterhin zum Schaden aller deutschen Nationalisten mißbrauchen. (...) Wer weiß, vielleicht gewährt mir ein US-Gericht ja Asyl und stellt dadurch eindrucksvoll fest, was wir schon lange wissen: Die BRD ist keine Demokratie, sondern ein Verbrechen“.

Parallel zu der Solidaritätskampagne unter dem Motto „Free Hendrik Möbus“ stellte Möbus als „politischer Gefangener“ einen Asylantrag. Dabei konnte er auf die langjährigen guten Deutschland-Kontakte seines Förderers Pierce zurückgreifen. Immer wieder nahmen NA-Vertreter an Veranstaltungen der NPD und der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in Deutschland teil. Andersherum reisten damalige NPD-Funktionäre wie Alexander von Webenau zur „Leadership Conference“ der NA im April 1997. Pierce selbst gehörte ein Jahr später zu den Ehrengästen einer NPD-Veranstaltung in Passau. Und so wundert es auch nicht, dass zum Zeitpunkt des Möbus-Aufenthalts bei Pierce mit Henrik Ostendorf aus Bremen ein anderer deutscher Neonazi auf der Farm weilte und dort für Bürodienste zuständig war. Ostendorf war auch Übersetzer einer Rede des NPD-Funktionärs Jürgen Distler bei einer von der NPD angeregten und von der NA organisierten Solidaritätskundgebung für Möbus in Arlington. Nach Angaben der Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Martina Renner, reisten auf Ostendorfs Einladung zwei weitere Neonazis aus Deutschland als Leumundszeugen zur Unterstützung von Möbus in die USA.

Tino Brandt, der Mitinitiator und Kopf des Neonazi-Netzwerkes „Thüringer Heimatschutz“ (THS) sollte ebenso für Möbus aussagen wie der Gründer der sächsischen „Hammerskins“, Mirko Hesse, der bereits das von Hendrik Möbus und seinem Bruder gegründete NSBM-Label „Darker than Black“ in sein Unternehmen „Hate Records“ eingegliedert hatte. Zum Zeitpunkt ihrer USA-Reise waren die beiden Neonazis aus Thüringen und Sachsen bereits V-Männer im Dienst der Geheimdienste. In einem Vermerk des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz steht: „In Akten ist enthalten, dass sich Tino Brandt auf Einladung des Skinheads Mirko Hesse 2001 in den USA aufhielt”. Gegenüber der Presse soll Brandt von einer vom Thüringer Landesamt finanzierten USA-­Reise berichtet haben.

Unter dem Namen „Strontium“ arbeitete Hesse seit Mitte der 1990er Jahre für das Bundesamt für Verfassungsschutz und flog 2002 als V-Mann auf. Hesse  produzierte als eine der zentralen Figuren der neonazistischen Musikszene innerhalb von vier Jahren rund 21.000 Rechtsrock-CDs, die er auch teilweise vertrieb.  Darunter die CD „Ran an den Feind“ der später als krimi­nelle Vereinigung verurteilten Neonazi-­Band „Landser“. Bei einer Hausdurchsuchung fand die Polizei bei Hesse eine geladene halbautomatische Pistole. 2002 wurde er unter anderem wegen Volks­verhetzung, Verwendens von Kenn­zeichen verfassungswidriger Organisationen und Gewaltverherrlichung zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Schon damals fragte der Bundestagsabgeordnete der Grünen Christian Ströbele, wo die Grenze liege „zwischen den von Rechtsextremen selbst entwickelten Aktivitäten und den vom Verfassungsschutz inspirierten und finanzierten Aktionen“.

Unter dem Decknamen „Otto“ stand auch Tino Brandt zwischen 1994 und seiner Enttarnung 2001 im Sold des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen. Die dafür erhaltenen rund 200.000 D-Mark hatte Brandt nach eigenen Angaben zum Großteil in die rechte Szene gesteckt. Dazu gehörte auch das Netzwerk „Thüringer Heimatschutz“ (THS), aus dem das Terror-Netzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hervorging. Mit Unterstützung des Geheimdienstes trug Brandt maßgeblich zur bundesweiten Vernetzung des THS bei. 1999 wurde Brandt Landespressesprecher und im Jahr 2000 stellvertretender Landesvorsitzender der thüringischen NPD. Kurz darauf war er federführend an der Gründung des thüringischen Landesverbandes der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) beteiligt.

Brandt und Hesse sollten mit ihren Aussagen bei der US-amerikanischen Behörde dafür sorgen, dass Möbus Asyl erhält und sich so weiterhin der deutschen Justiz entziehen kann. Diese Verquickung war auch Teil einer Anfrage der Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Martina Renner. Sie kritisiert: „Das Bundesinnenministerium behindert offenbar gezielt die Aufklärung über eine mögliche Beteiligung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) an der Flucht eines wegen Mordes verurteilten Neonazis in die USA“. Denn in der Antwort auf Renners Anfrage weigert sich das Innenministerium mit Hinweis auf den Quellenschutz, Fragen nach der Rolle des BfV und den V-Männern bei der Flucht von Möbus zu beantworten.

Dabei könnten die V-Leute in diesem deutsch-amerikanischen Netzwerk auch Fragen nach der Rolle der Geheimdienste bei der Verbreitung des Buches „The Turner Diaries“ aufwerfen. Das 1978 verfasste Machwerk schildert einen „Rassenkrieg“ in Nordamerika und propagiert eine „reine“ revolutionäre Ideologie und die Pflichten der Kader in einer „The Order“ genannten Untergrund-Organisation.1 Das Buch schrieb Pierce unter dem Pseudonym „Andrew Macdonald“. Mitte der 1990er Jahre erreichte das Buch auch Deutschland, dessen deutsche Übersetzung 2006 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) auf den Index gesetzt wurde und als Blaupause für das Terrornetzwerk „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) galt. Offenbar verhalf das deutsch-amerikanische Neonazi-Netzwerk nicht nur deutschen Neonazis zur Flucht, es ebnete den „Turner Diaries“ auch den Weg in die deutsche militante Neonazi-Szene, die das Buch als Inspirationsquelle für neonazistische Attentate und Morde aufgriff.2

Mit seiner Auskunftsverweigerung und dem vorgeschobenen „Quellenschutz“ in der Antwort auf Renners Anfrage ist das Innenministerium offenbar nicht gewillt, die Rolle dieses Netzwerks klandestiner Neonazi-­Strukturen aufzuhellen. Ein solches Netzwerk dürfte auch Möbus helfen, der in Deutschland vor zehn Jahren aus der Haft entlassen wurde. Er zog nach Berlin, baute dort seine rechten Versand- und Labelaktivitäten aus und ist als Konzertorganisator in ganz Europa aktiv.3 Seit 2017 ist er Sänger der NSBM-Band „Absurd“, die vorher von seinem Bruder Ronald Möbus geführt wurde. Für Mitte Dezember 2017 ist „Absurd“ für das NSBM-Spektakel „Asgardrei“ in der ukrainischen Metropole Kiew angekündigt. Das Festival gilt als Propaganda-Event des neofaschistischen „Azov“-Regiments und zog 2016 bereits über 1.000 BesucherInnen an.