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»Solidarität macht Mut«

Einleitung

Am 21. November 1992 wurde der damals 27jährige Silvio Meier im Ostberliner U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis ermordet. Zwei von Silvios Freunden wurden schwer verletzt. In der Zeit nach der »Wiedervereinigung« bis Ende 1992 starben über 60 Menschen, weil sie nicht in das faschistische Weltbild ihrer Mörder passten. Eine Nacht nach Silvios Tod starben bei einem rassistischen Brandanschlag in Mölln drei TürkInnen. Zum 10. Jahrestag haben wir Ekke, einen Freund von Silvio, um einen Rückblick gebeten.

AIB: Wie würdest Du die Zeit Anfang der Neunziger beschreiben, als der Mord an Silvio geschah?

Ekke: Ausgangspunkt für die meisten von uns war ja »die Wende«, die als politischer Umschwung für uns damals ziemlich wichtig war. Wir waren jung, sind in der Zeit politisiert worden und haben dann festgestellt, dass mit 1989 auch die Aktivitäten von Nazis und Rassisten zunahmen und haben uns dagegen engagiert. Viele von uns sind durch diese neue Form der Gewalt politisiert worden. Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda sind die Ereignisse, die Art und Weise, wie sich uns die Realität damals dargestellt hat, also extreme Formen von rassistischer Nazigewalt. In der Situation wollten wir uns als Linke verhalten. Das war natürlich nicht besonders spaßig, denn die Überfälle waren auf eine Art gewalttätig, dass man sein Leben riskiert hat, wenn man sich dagegen engagierte.

AIB: Wie würdet Ihr Eure damalige Haltung Nazis gegenüber beschreiben?

Ekke: Wenn ich mich erinnere, wie die frühen Neunziger für mich waren, dann hat es unter uns Diskussionen gegeben, wie man überhaupt auf so eine Form von Gewalt reagiert. Da gab es zwei unterschiedliche Ansichten: Die einen haben gemeint, man würde so wie die Nazis werden, wenn man ihnen militant entgegen tritt. Die andere Seite meinte: Die einzige Möglichkeit, sich die Räume, in denen man überhaupt noch politisch agieren kann, wieder zu erkämpfen, ist, wenn man sie auch militant zurückdrängt. Die Erfahrungen, die ich in den Jahren gemacht habe, haben mich dazu gebracht, eher im Sinne der zweiten Variante zu handeln. Die Haltung, nicht auch militant gegen die Bedrohung vorzugehen, war hilflos und nützte nichts. Im Gegenteil: Sie hat nur dazu geführt, dass man vor allem in Kleinstädten noch stärker isoliert war und am Ende vor der Wahl stand, wegzuziehen oder es hinzunehmen, dass sie einen nach dem anderen zusammenschlagen.

AIB: Dann kam es zu dieser Situation am U-Bahnhof Samariterstrasse in Berlin Friedrichshain, in der Silvio ums Leben kam. Wie wurde darauf reagiert, sowohl von der Antifabewegung als auch von staatlicher Seite?

Ekke: Was ich vom Krankenhaus aus mitbekommen habe an Reaktionen von Antifas und Linken hat mir viel Mut und Kraft gegeben. Aus Solidarität für die Leute, die von der Gewalttat betroffen waren, wurde Geld gesammelt, die Überlebenden des Angriffs bekamen viel Besuch im Krankenhaus und auch danach hat man ihnen geholfen. Es gab nicht nur sehr viele Demonstrationen, an denen sich wirklich viele Leute beteiligten, denen es ein Anliegen war, gegen diese Zustände auf die Strasse zu gehen. Kurz darauf ist auch ein Brandanschlag auf den Nazijugendtreff »Judith Auer Club« verübt worden. Man kann zwar unterschiedlicher Ansicht über den Nutzen des Anschlags sein, aber als Zeichen ist er von allen verstanden worden. Dass nämlich Orte, an denen sich Nazis sammeln, um von dort aus loszuziehen und Leute totzuschlagen, nicht geduldet werden. Das war eine eindeutige Reaktion, und meiner Meinung nach richtig.

Die Polizei tat alles, um den Mord zu entpolitisieren. Die damals gängige These war, dass es verwirrte Einzeltäter seien, die Ausländer, Linke oder Punker totschlagen. Meistens kam noch dazu, dass die Täter ja eigentlich nur provoziert würden, weil der Ausländer eben Ausländer ist und auch so aussieht. Beziehungsweise weil ein Linker den Nazi zum Angriff provoziert. Ähnlich entpolitisierend sind sie in Bezug auf Silvio auch vorgegangen: Polizisten kamen ins Krankenhaus und haben einen Freund, der auch verletzt wurde, und mich dazu gedrängt, derartig entpolitisierende Aussagen zu machen. Als sie die gewünschten Statements nicht bekamen, haben sie die Version der Nazis über den Tathergang als die Richtige verbreitet: Silvio sei selbst Schuld gewesen, er wäre mit seinem eigenen Messer ermordet worden und vorher wären wir auf die Nazis losgegangen. Das war schlimmster Schwachsinn. Geglaubt hat es ihnen aber ohnehin keiner.

AIB: Wie hat Euch das Geschehen geprägt?

Ekke: Geprägt hat es die Leute, die mit Silvio zu tun hatten, alle. Für diejenigen, die mit Silvio zusammengewohnt haben oder mit ihm zu tun hatten, war sein Tod natürlich ein schlimmer Einschnitt, der weit ins Persönliche reingereicht hat. Bei einigen hat es dazu geführt, dass sie sich sehr lange und intensiv mit dem Thema beschäftigt haben. Ich habe ernsthaft mit Leuten angefangen, darüber zu diskutieren, was man tun kann. Dann habe ich auch versucht, mich dementsprechend zu verhalten. Ich habe mich danach politisch organisiert und versucht,  das, was ich kann, zu tun, damit sich die Zustände ändern.

AIB: Würdest Du sagen, dass Du jetzt anders an ähnliche Situationen rangehst?

Ekke: Wir wollten damals in die Disko zum Tanzen und waren zu viert unterwegs – Silvio, noch ein Freund, eine Freundin und ich. Wir sind in den U-Bahnhof reingekommen, als uns ein Pulk von Jungnazis entgegenkam. Einer von denen hatte eben einen Aufnäher, der ihm abgerissen wurde. Danach sind wir in den U-Bahnhof runtergegangen, ohne dass die Nazis weiter ein großes Theater gemacht hätten. Die letzte U-Bahn war leider gerade weggefahren, und wir sind wieder die Ausgangstreppe hochgegangen. Da standen die Nazis schon oben mit einem Messer und haben uns abgestochen. Silvio ist gleich dort gestorben, und wir anderen kamen verletzt ins Krankenhaus. Ich habe mir danach persönlich den Vorwurf gemacht, in so eine Auseinandersetzung reingegangen zu sein und nicht damit zu rechnen, dass die Nazis bewaffnet sind. Das war ein ernsthafter Fehler. Im allgemeinen versuche ich heute, Situationen zu vermeiden, die ich nicht beherrschen kann. Wenn man so Nazis sieht, dann überlegt man sich das zweimal: Habe ich die Situation im Griff oder nicht?

AIB: Gab es danach einen Prozess?

Ekke: Die Ermittlungen gegen uns wurden eingestellt, weil sich die Version der Polizisten, dass wir die Schuldigen seien, überhaupt nicht halten ließ. Circa ein Jahr danach sind die drei so genannten Haupttäter nach Jugendstrafrecht zu Haftstrafen zwischen ein und drei Jahren verurteilt worden. Der ganze Prozess war ziemlich eklig. Für uns war es schwer hinzunehmen, dass wir darin mit unseren Interessen überhaupt keinen Platz fanden. Konsens unter uns war, dass wir nicht möglichst harte Strafen wollten, weil wir darin keinen Nutzen sahen. Uns ging es darum, den Tod von Silvio politisch einzuordnen. Wir wollten den Prozess politisieren. Aber da die Tat nach Jugendstrafrecht verhandelt wurde, konnten wir nicht als Nebenkläger auftreten. Wir wurden auch nicht als Zuschauer zugelassen. Der Prozeß lief unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Uns war aber nicht nur das Geschehen im Gerichtssaal wichtig. Da das Medieninteresse relativ hoch war, konnten wir auch so rüberbringen, was wir sagen wollten.

AIB: Es gibt in diesem Jahr zum zehnten Mal die Silvio-Meier-Demo. Wird die nach zehn Jahren zum Ritual? Oder ist sie weiterhin ein richtiger und wichtiger Weg, um die Erinnerung wach zu halten?

Ekke: Ich glaube, man muss hier die persönliche und die politische Erinnerung trennen. Die persönliche Erinnerung, die findet nicht in Form von Demos statt. Da findet man andere Wege. Politische Erinnerung – und dazu gehört die Demo – finde ich sehr wichtig, weil die Antifa-Bewegung auch Lehren aus den Vorfällen gezogen hat. Dass die Demo zeitweise die größte Antifademo in Berlin war, finde ich gut. Die Leute, die die Demo organisieren, haben auch immer darauf geachtet, keinen Personenkult entstehen zu lassen. Der Mord an Silvio ist zwar der Anlass, aber man hat immer versucht, einen aktuellen Bezug zu finden. Ein besserer Begriff als Ritual wäre vielleicht Tradition. Dann ist es wie bei jeder anderen Tradition: So lange sie noch einen eigenständigen Inhalt hat, ist sie es wert, dass sie auch weiter getragen wird. Ich bin niemand, der daran um jeden Preis festhalten würde. Es kommt darauf an, ob sie den Sinn hat, den sie haben sollte. Meiner Meinung nach ist das noch gegeben.

AIB: Die letzten zehn Jahre sind ja nicht spurlos an der Antifabewegung vorbei gegangen. Welche positiven und negativen Veränderungen siehst Du?

Ekke: Anfang der Neunziger gab es Fragen, ob man überhaupt so etwas wie Pressearbeit mit bürgerlichen Medien macht oder ähnliche heutzutage eher nebensächliche Fragen. Darüber wurde viel diskutiert und viele haben das abgelehnt. Heute hat sich das und vieles andere, über das wir damals diskutierten, durchgesetzt und das finde ich positiv. Als negative Veränderung sehe ich, dass meiner Meinung nach Antifa als Bewegung aufgrund von verschiedenen Ursachen an Zugkraft verloren hat. Demzufolge verändert sich auch die Situation für diejenigen, die sich in dem Bereich engagieren oder organisiert sind. Dass wir es nicht geschafft haben, Formen zu finden, um die Bewegung zu halten, ist eine wirklich einschneidend negative Veränderung, über deren Ursachen diejenigen, die politisch aktiv sind, nachdenken müssen. Ein schwerer Fehler aus den Neunzigern war sicherlich, dass die Diskussion um Organisierung innerhalb der Antifabewegung so polarisiert geführt wurde. Wenn ich mir die Situation gerade angucke, fände ich es jedenfalls falsch, sich jetzt zurückzuziehen und etwas ganz anderes zu machen. Denn die Nazis gibt es noch und die Bedrohung ist nicht geringer geworden.

AIB: Danke für das Gespräch.