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Sag nie, du gehst den letzten Weg

Ingrid Strobl
Einleitung

Im November 1989 ist das Buch "Sag nie, du gehst den letzten Weg"1 von Ingrid Strobl im Fischer-Verlag erschienen. Sie hat es während ihrer Haft im Untersuchungsgefängnis fertiggestellt. Thema des Buches sind die Fraue, die im bewaffneten Widerstand gegen Nationalsozialismus und deutsche Besatzung kämpften.

  • 1mit naganes in di hent“ und „zog nit keyn mol az du geyst dem letsn veg“ sind Strophen aus dem Partisanenlied „Zog nit keyn mol“.

Der Anteil von Frauen am bewaffneten Kampf ist verschwiegen und verleugnet worden. Nicht nur hierzulande, wo die Träger und Nutznießer des Nationalsozialismus nach 1945 ihre Positionen in Wirtschaft und Staat behalten konnten, haben sich zwei Mythen gebildet, die sich hartnäckig bis in unsere Tage halten: Die jüdischen Männer und Frauen seien 'wie Lämmer zur Schlachtbank' gegangen. Sofern es gegen die Terror- und Kriegsmaschine der Nazis Widerstand (zumal bewaffneten Widerstand) gab, wäre er 'Männersache' gewesen. Die Frauen, die Ingrid Strobl für dieses Buch interviewt hat, die historischen Quellen, die sie gegen den Strich gelesen hat, belegen eine andere, für manchen unbequeme Wahrheit: In den osteuropäischen Ghettos und Wäldern, in Titos (Josip Broz Tito) Partisanenarmee, in den besetzten Niederlanden und in Frankreich, gegen Francisco Franco in Spanien kämpften Frauen mit der Waffe in der Hand. Und viele von diesen Frauen waren Jüdinnen. Das Buch fragt nach den Lebensläufen der Kämpferinnen, nach ihren Motiven und ihren besonderen Schwierigkeiten als Frauen. Die einfühlsame Darstellung der Frauen ist eingebettet in die Darstellung der jeweiligen Kämpfe, an denen sie teilnahmen. Dies macht das Buch über das eigentliche Anliegen hinaus zu einer fesselnden Lektüre.

Der Kampf im Kampf

Die Frauen im bewaffneten Widerstand mußten sich dieses Recht oft genug erkämpfen, wurden von ihren  Genossen mehr geduldet, als begrüßt. Diese Ablehnung schlug ihnen auch in linken Gruppen entgegen. Ihre Lage war also doppelt schwer, denn sie kämpften nicht nur gegen den Feind, sondern  mußten sich gegen die eigenen Genossen durchsetzen. In großen Kampfverbänden blieben sexuelle Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen - trotz hoher Strafen - nicht aus. Wie etwa in Spanien konnte es vorkommen, daß sie noch während des Krieges in traditionelle Rollen zurückgedrängt, bzw. in der Kriegsindustrie eingesetzt wurden. Nicht alle haben sich das gefallen lassen. Einige sind hochdekoriert worden (in Jugoslawien erhielten allein 91 Frauen die höchste Auszeichnung), einzelne, wie Hanni Schaft, sind in ihrem Land zu Volksheldinnen geworden. Die große Mehrheit der Kämpferinnen, ihre Namen, wie ihre Taten, sind jedoch in Vergessenheit geraten.

Diese Frauen haben das patriachale Rollenverständnis in Frage gestellt. Es sagt deshalb viel über den emanzipatorischen Charakter der jeweiligen Gruppen aus, ob Frauen über Unterstützungsarbeiten hinaus am bewaffneten Kampf teilnehmen konnten. Ingrid Strobl macht aber auch darauf aufmerksam, daß die Infrastruktur des Widerstandes zum größten Teil von Frauen getragen wurde. Dazu gehörten solche Tätigkeiten, wie der Transport und das Verbreiten von Zeitschriften und Flugblättern, Sabotageaktionen, Unterbringung von Verfolgten, Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, Waffen und Munition und vieles andere. Auf alle diese Aktivitäten standen hohe Strafen (zumeist die Todesstrafe).

... eine glorreiche Seite ...

'Ich habe meine Ehre als jüdische Frau verteidigt, und ich habe die Unseren gerächt.' Die Selbstverständlichkeit dieser Aussage ist beispielhaft für die Haltung vieler anderer. Dina Krischer, die dies sagte, war Kämpferin bei der F.T.P.- M.O.I. (Francs-tireurs et partisans – main-d'œuvre immigrée), einer der effektivsten Gruppen der französischen Résistance. Die Gruppe ist im gaullistischen1 Nachkriegs-Frankreich in Vergessenheit geraten, da sie nicht so richtig ins nationalistische Bild paßte. Ihre Mitglieder waren nämlich meist jüdische ImmigrantInnen, die zudem noch KommunistInnen waren. Der Frauenanteil dieser Gruppe war ungewöhnlich hoch, so daß eine aus ausschließlich Frauen bestehende Partisaninnen-Einheit gebildet wurde.

In Jugoslawien gab es gleich mehrere Frauenbataillone. Immerhin waren über 100.000 Frauen bei den Tito-Partisanen. Der hohe Frauenanteil der Kommunistische Partei Jugoslawiens auch schon vor dem Krieg schlug sich auch in einem, für damalige Verhältnisse, sehr fortschrittlichen Frauenprogramm der jugoslawischen KommunistInnen nieder. Der Kampf der jüdischen Männer und Frauen in den Ghettos und Wäldern Osteuropas fand unter fast aussichtslosen Bedingungen statt. Es gab z.B. kaum Waffen. Und doch brauchten die deutschen Mörder und ihre Helfer in Warschau zehn Wochen, bis sie den Aufstand im Ghetto niedergeschlagen hatten. Und gerade hier spielten die Frauen eine wichtige Rolle und hatten zentrale Funktionen. Der Chronist des Warschauer Ghettos, Emanuel Ringelblum, schrieb: „Die Geschichte der jüdischen Frau ist eine glorreiche Seite in der Geschichte des jüdischen Volkes in diesem Krieg.“

Nach dem Krieg

Für die meisten Frauen endete der Ausbruch aus den weiblichen Verhaltensmustern spätestens mit Kriegsende. Die Gründe dafür waren vielfältig, sie waren in ihrer Gesamtheit in den patriachalen Verhältnissen in den jeweiligen Ländern angelegt. ökonomische Selbstständigkeit und damit Unabhängigkeit waren in einer Situation, in der Frauen generell aus den produktiven Bereichen der Gesellschaft wieder in die Reproduktion zurückgedrängt wurden, kaum möglich. Die Arbeitsplätze wurden mit den heimkehrenden Soldaten und Kriegsgefangenen besetzt. Die Versorgung dieser Männer, das Gebären von Kindern, modische Weiblichkeit wurden nun wieder die ausschließlichen Anforderungen an die Frauen.

Viele Menschen begegneten den ehemaligen Partisaninnen und „Terroristinnen" mit Unverständnis. Selbst die eigenen Parteigenossen machten da selten eine Ausnahme. Es blieb ihnen daher nichts anderes übrig, als zu heiraten oder zu den Eltern zurückzukehren. Erschöpft vom Kampf, sicherlich auch mit dem verinnerlichten Bild von Weiblichkeit, gaben sie diesem Druck nach. Ausnahmen bestätigen da eher die Regel. Die Frauen zogen sich zurück - und schwiegen. Gefragt wurden sie freilich auch nicht.

Aufmachung und Darstellungsweise von Ingrid Strobls Buch ermöglichen einer breiten LeserInnenschaft den Zugang zu diesem bisher verschloßenen Teil der Geschichte und ermöglichen somit die Aneignung, die kritische Aufarbeitung und schließlich die Nutzbarmachung dieser Geschichte für heutige antifaschistische und antisexistische Auseinandersetzungen und Kämpfe. Die Schwierigkeiten mit den eigenen Genossen, auf die diese radikalen Frauen stießen, gehören jedenfalls nicht nur der  Geschichte an.

Die Autorin Ingrid Strobl ist im Juni 1989 wegen Unterstützung der „Revolutionären Zellen“ (RZ) und Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag auf ein Gebäude der Deutschen Lufthansa AG nach § 129a zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Einziges Indiz in dem Prozeß war ein Wecker, den sie gekauft hatte, und der angeblich bei dem Anschlag verwendet wurde. Während dem Prozeß weigerte sie sich, den Namen desjenigen preiszugeben, an den sie den Wecker weitergegeben hatte. Ihr journalistisches Engagement gegen Gen- und Reproduktionstechnologien und staatliche Flüchtlingspolitik wurde als Beweis ihrer "Gesinnung" angeführt. Sie wurde mitten in den Vorarbeiten zu diesem Buch verhaftet.

Ingrid Strobl
Sag nie, du gehst den letzten Weg. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung
Verlag: Fischer Taschenbuch (November 1989)
ISBN-10: 3596247527
ISBN-13: 978-3596247523

  • 1Nach Charles de Gaulle benannte politische Vorstellungen, insbesondere die Wiederherstellung der „nationalen Größe“ (des von Deutschland besetzten) Frankreich.