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Vom Kamerad zum Member?

Einleitung

Blood & Honour trifft die Hells Angels auf der »Nordachse«

Die Entwicklung der Strukturen des im Jahr 2000 verbotenen Netzwerkes von Blood & Honour (B&H) lässt sich auch für Rostock und Umgebung nachzeichnen. Bereits vor dem Verbot von B&H orientierten sich einige Mitglieder der Sektion Mecklenburg hin zum Rotlicht- und Rockermilieu. (Ehemalige) Aktive von B&H in Rostock, Hildesheim und dem Raum Magdeburg bilden bis heute ein Netzwerk mit hoher personeller Kontinuität. Dessen Spur führt seit nunmehr 15 Jahren in Wehrsportgruppen, in die völkische Artgemeinschaft, ins Tattoo-Business, in die Rockergruppe Hells Angels und das mutmaßliche Unterstützungsumfeld des NSU.
 

Combat & Survival Training 2002
Bild: Screenshot

1.v.l. hinten Johannes Knoch, , 3.vl Marcel Ullrich, 3. v.r. Marc B., 2.v.r. hinten Thomas Düwell, unten links Sascha Braumann bei einem Combat & Survival Training 2002.

Die »Nordachse« von Blood & Honour

AktivistInnen der ersten Stunde des 1995 gegründeten B&H-Netzwerkes kamen auch aus Rostock. Schon 1995 erschienen Oliver D. (in einem B&H-Shirt) und Anke Z. mit Gefolge auf einer Rudolf-Heß-Demonstration im dänischen Roskilde. Die beiden sollten die folgenden Jahre gemeinsam die Sektion Mecklenburg anführen. Diese galt innerhalb von B&H als eine Gruppe fanatischer NS-AnhängerInnen, für die politische Aktionen stets Vorrang hatten. 1998 waren die Zerfallserscheinungen der deutschen B&H-Division unübersehbar. Die in Berlin ansässige Führung setzte auf Wachstum um jeden Preis, um die völlige Kontrolle des Rechtsrock-Business in Deutschland zu erlangen. Der elitäre Charakter der Organisation weichte auf. Viele BetreiberInnen von B&H-Labels und Versänden arbeiten längst auf eigene Rechnung und standen in Konkurrenz zueinander. Insbesondere AktivistInnen der einflussreichen Hildesheimer Gruppe um Hannes Franke versuchten dem entgegen zu wirken. Sie interpretierten B&H als politische Kampfgemeinschaft und nicht ausschließlich als Label für das Rechtsrock-Business. Vor allem auf Initiative der Hildesheimer wurde eine politische Organisationsleitung von B&H-Deutschland installiert und ein 25-Punkte-Programm als politischer Leitfaden entwickelt. Doch auch dadurch ließ sich die Entwicklung nicht aufhalten und so bildete sich im Norden Deutschlands ein eigenes Netzwerk heraus, das sich der Bundesführung und anderen Sektionen entkoppelte – die sogenannte »Nordachse« oder »Nordallianz«, der neben der Hildesheimer Struktur vor allem (ehemalige) Aktive von B&H aus dem Raum Magdeburg, aus Rostock und der ehemaligen Sektion Nordbrandenburg angehörten.

Die Wehrsportgruppen

Noch zu B&H-Zeiten entstand im Kreis der niedersächsischen Sektion die »Combat & Survival Warrior School«, für die in den vergangenen Jahren der ehemals B&H-Aktive Marcel Ulrich stand. Spätestens 2004 folgte die Gründung der »Schule für Überlebenstraining«, geleitet vom ehemals B&H-Aktiven Johannes Knoch, der seit den 1990er Jahren mit Hannes Franke als unzertrennlich erscheinendes Duo auftritt. Mehrfach haben das AIB und andere Medien über die Umtriebe dieser Wehrsportschulen berichtet.1 Zum Angebot von Combat and Survival zählte u.a. eine Scharfschützenausbildung. Die Übungen fanden teils auf einem Truppenübungsplatz bei Munster (Lüneburger Heide) statt, wo Knoch jahrelang das Ladengeschäft »Dezentral« betrieb, das militärische Ausrüstung anbot und 2012 Insolvenz anmeldete. An den Trainings nahmen Neonazis aus Nah und Fern teil: (Ehemalige) B&H-AktivistInnen aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Rostock - unter ihnen auch Thomas Düwell. Der 1982 in Rostock geborene Thomas Düwell gehörte aufgrund seiner Jugend nicht dem engeren Kreis des »alten« B&H an. Sein Einstieg in die Szene geschah um 1999, als er im Alter von 17 Jahren an einer regionalen Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung teilnahm. Er erlangte – wohl nicht zuletzt durch seine Partnerschaft mit Anke Z. – Anfang der 2000er Jahre im harten Kern des norddeutschen Post-B&H schnell Reputation. 2008 war Düwell Mitarbeiter des NPD-Landtagsabgeordneten Raimund Borrmann; in der zweiten Legislaturperiode der NPD besetzt er keinen Posten mehr.

Ein Bild eines Combat and Survival-»Lehrgangs« aus dem Jahre 2002 zeigt neun Personen mit Marschgepäck und in Kampfanzügen. Neben Düwell sind auch Knoch, Ulrich, der ehemalige Mag­deburger B&H-Funktionär Sascha Brau­mann sowie Thomas B. und Marc B., beide aus der »alten« Hildesheimer B&H-Truppe von Hannes Franke, zu sehen. Im selben Jahr wurden gegen Teilnehmende eines »Lehrgangs« von Knoch Ermittlungen wegen Verstoß ge­gen das Kriegswaffenkontrollgesetz ein­geleitet und ein Angeklagter verurtei­lt. Auch hatte die Polizei 2002 nach einem »Lehrgang« dieser Gruppe in einem Waldstück Munition für ein G3-Gewehr sowie Einschusslöcher festgestellt.

Viele Fragen bleiben ungeklärt: Geschah die Gründung dieser »Schulen«, um militanten Neonazis ein legales Dach für paramilitärische Ausbildung zu schaffen und diese an scharfen Waffen auszubilden? Oder wollte der ehemalige Bundeswehrsoldat Knoch, der in den 1990er Jahren auch an Kampfhandlungen in Südafrika beteiligt gewesen sein soll, mit seiner Passion nunmehr Geld verdienen, wobei ihm die Kameraden von B&H und nachfolgend auch von neonazistischen Kameradschaften als Kunden und Kompagnons (beispielsweise als Ausbilder) nützlich waren? Noch viel drängender ist die Frage, warum die Behörden nie ernsthaft gegen diese Truppen vorgingen, obgleich sie unzweifelhaft wussten, dass dort auch mit scharfen Waffen trainiert wurde.

Die Nachfolge von Blood & Honour

Am 16. Juni 2001 kam es zu einem konspirativen Treffen ehemaliger B&H-Angehöriger in der Magdeburger Gaststätte »Zur Tafelrunde«, die Knoch angemietet hatte. Die ca. 40 Teilnehmenden kamen aus Mecklenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Niedersachsen und Franken. Die Polizei sah dies als Strategietreffen an, auf dem die zukünftige Entwicklung von B&H nach dem Verbot beratschlagt worden sein soll. Teilnehmende dieses Treffens hatten bereits Konzerte organisiert, die nach dem Verbot von B&H unter dem Label von B&H stattgefunden hatten. Die Ermittlungen der Polizei wegen Wei­terführung einer verbotenen Organisation führten 2008 zu einer Verurteilung in Halle an der Saale.2 Angeklagt und verurteilt wurden: Knoch, Franke, Braumann, Anke Z. aus Rostock sowie der spätere NPD-Funktionär Stefan Rietz3 , ein ehemaliger Funktionär der B&H-Sektion Nord-Brandenburg. Anke Z. und Knoch wurden für schuldig befunden, 2001 an der Organisation eines »Ian Stuart Memorial-Konzerts« im niedersächsischen Tostedt, bei dem auch die Rostocker B&H-Band »Nordmacht« auftrat, beteiligt gewesen zu sein. Das Gericht wertete dies als B&H-Nachfolge-Aktivität. An allen Prozesstagen in Halle/Saale wurde Z. von Thomas Düwell begleitet.

Anke Z. war eine gestandene Person im bundesweiten B&H-Netzwerk. Sie galt in den 1990ern als eine der führenden Köpfe der Sektion Mecklenburg und nahm eine außergewöhnliche Rolle in der B&H-Männerwelt ein, die Frauen in der Regel nicht einmal als Mitglieder zuließ. Auch soll sie zeitweise Schatzmeisterin des bundesweiten B&H gewesen sein. Unter ihrem Spitznamen »Zappi« verfasste sie in den 1990er Jahren in B&H-Magazinen Artikel, bedankte sich u.a. im August 1999 bei Kameradschaften, Freien Nationalisten und der B&H-Sektion Berlin für deren Teilnahme an einer Rudolf Heß-Gedenkveranstaltung in Mecklenburg-Vorpommern. Davor war sie bereits aufgefallen, als sie mit anderen späteren B&H-AktivistInnen an einer Schießübung in Rostock teilnahm. 

Trotz der Ermittlungen, die 2001 anliefen, war die Mehrheit der Akti­vist­Innen der »Nordachse« weiterhin bemüht, politisch aktiv zu bleiben. Um Hannes Franke entstand eine Kameradschaft in Hildesheim, in Rostock um »alte« B&H-Exponenten die Aktionsgruppe Rostock. Als 2002 die Berliner Neonazigruppe »Ariogermanische Kampfgemeinschaft – Vandalen«4 ihr 20-jähriges Bestehen feierte, zählten Franke, Düwell, Anke Z. und weitere Rostocker B&H’lerInnen zu den Gästen – ebenso Maik Eminger, Bruder von Andre Eminger, einem Angeklagten im NSU-Prozess. Zu dieser Zeit wohnte Maik Eminger noch im sächsischen Erzgebirge. Kurz darauf zog er in die Nähe von Hildesheim und tauchte im Kreis der Kameradschaft Hildesheim auf.

Auf größeren neonazistischen Demonstrationen, beispielsweise im bayerischen Wunsiedel (2003 und 2004) sowie in Magdeburg (2005), lässt sich eine Gruppe erkennen, die stets zusammen lief. Zu dieser Gruppe gehörte Franke und Düwell sowie andere ehemals B&H-Aktive. Auch der mutmaßliche NSU-Helfer Holger Gerlach taucht in Wunsiedel 2003 und Magdeburg 2005 in diesem Kreis auf. Ihn hatte es bereits Ende der 1990er Jahre von Jena nach Hannover verschlagen, wo er sich in der Kameradschaftsszene bewegte.

Die Artgemeinschaft

Nicht nur über Wehrsport und Demonstrationen blieben die ExponentInnen der »Nordachse« miteinander verbunden. Spätestens 2001 war klar, dass man den »alten« Kreis nicht in gewohntem Rahmen zusammenhalten konnte. Kleinere, private Zusammenkünfte waren kein Ersatz. Man brauchte die Gemeinschaft um sich zu präsentieren, sich ideologisch zu vergewissern und um Kontakte zu pflegen.

In den Folgejahren erschienen die »üblichen Verdächtigen« der »Nordachse« mehr oder weniger vollzählig auf den Treffen der Artgemeinschaft  im Ausflug- und Ferienhotel Hufhaus/ Harzhöhe in Ilfeld. Dort trafen sie einen exklusiven Kreis von bis zu 300 Neonazis: Altgediente Szene-Eminenzen mit ihren Familien, militante AktivistInnen der frühen 1990er Jahre aus der »Nationalistischen Front« und dem »Weißen Arischen Widerstand«, oder auch Stephan Günther aus Dänemark aus dem Combat 18-Milieu.5 Die »Artgemeinschaft – Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung« wurde von 1989 bis 2009 von dem mittlerweile verstorbenen Jürgen Rieger angeführt (vgl. Seite 24–25).

Das Programm dieser Treffen bot eine NS-Inszenierung und Raum für private und politische Gespräche. Dabei waren u.a. Anke Z., Düwell, Stefan Rietz, Sascha Braumann und seine umtriebige Lebensgefährtin Ivette S. aus Magdeburg. Hannes Franke kam mit seiner Entourage, auch die Brüder Maik und Andre Eminger fanden sich in diesem Kreis ein. Aktive anderer B&H-Sektionen, beispielsweise aus Thüringen und Sachsen, fehlten komplett.

Das Rockermilieu

Der Rocker-Lifestyle, insbesondere der der Hells Angels, hat nicht nur für die norddeutschen B&H-AktivistInnen eine besondere Anziehungskraft. Hier fanden sie gewohnte Rahmenbedingungen. B&H, wie auch das Rockermilieu, betonen mit ihrem Lifestyle gleichermaßen Männlichkeit und Kameradschaft und präsentieren sich als Männerrackets. Zudem kann das Geschäft im Rockermilieu für den Einzelnen mitunter lukrativer sein als das neonazistische Musikgeschäft.

Die Hells Angels weisen in einzelnen Regionen Deutschlands eine hohe Dichte von (ehemaligen) B&H-Aktiven auf. Von besonderem Interesse ist das Charter Rostock. Dort finden sich eine Reihe »Fullmembers«, die im Kreis von B&H eine Rolle spielten: Knoch, Franke, Mirko Appelt sowie Thomas Düwell als einziger gebürtiger Rostocker. Interessant ist, dass die Niedersachsen Franke und Knoch Mitglieder des Rostocker Charters sind, was die Vermutung nährt, dass die beiden, die sich bereits ab Mitte der 2000er den Hannoveraner Hells Angels angeschlossen hatten6 , wohl zur Unterstützung, wenn nicht gar zum Aufbau des Charters nach Rostock geschickt wurden und dort auf »bewährtes« Personal zurückgriffen. Knoch zeigte sich dort öffentlich als Betreuer des Hells Angels Merchandise-Standes bei Tattoo-Conventions. Marcel Ulrich von Combat and Survival verblieb bei den Hells Angels in Hannover; 2008 wurde er dort als Mitgliedsanwärter aufgenommen.

Mirko Appelt aus Ahrendsee (Sachsen-Anhalt) ist ehemaliger Anführer des Selbstschutz Sachsen-Anhalt (SS-SA, auch: Selbstschutz Deutschland), der seit den 1990ern zum harten Kern der militanten Neonaziszene in Deutschland zählte und Security-Kräfte und Ordner bei neonazistischen Veranstaltungen stellte. Auch Angehörige der SS-SA ließen sich von Knoch paramilitärisch ausbilden. Ein Bild eines Combat and Survival-Lehrgangs bei Chemnitz zeigt einen Magdeburger Neonazi, der einen vermeintlich Verletzten birgt und dabei eine Jacke mit dem Logo des Selbstschutz trägt (vgl. AIB Nr. 65). Schon aus SS-SA-Zeiten sind Appelt und Thomas Düwell miteinander bekannt, um 2004 traten beide als Ordner auf einer Neonazidemonstration im brandenburgischen Halbe auf. 2010 zeigten sie sich zusammen, nun in Rocker-Kutten, auf der Beerdigung eines Hells Angels-Mitglieds in Bremen. Bei den Rostocker Hells Angels ist Appelt für die Organisierung der lokalen Tattoo-Convention und dem Vertrieb von Merchandise des Charters zuständig. Dieses Merchandise wies in jüngster Vergangenheit einen zweideutigen Bezug auf. So wurden T-Shirts mit der Aufschrift »Rostock 81 / 18 Support« beworben. Die 81 steht hier für den achten und ersten Buchstaben des Alphabets (HA = Hells Angels) während die 18 gemeinhin für den in der Neonazi-Szene beliebten Zahlencode für »Adolf Hitler« steht, jedoch auch als Anspielung auf die Postleitzahl von Rostock gedeutet werden kann.7

Um die Rostocker Hells Angels besteht neben den paramilitärischen »Schulen« und dem Hells-Angels-Merchandising ein Geflecht unterschiedlicher und wechselnder Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Einzelne Unternehmen wurden zu den Hells Angels »mitgenommen«, andere neu gegründet. Hier nur ein kurzer und unvollständiger Überblick: Knoch betreibt in Hildesheim ein Inkasso-Unternehmen und das Tattoo-Studio »Last Resort«. Düwell versuchte sich in den vergangenen Jahren als Geschäftsmann für Kosmetikprodukte über den Onlineshop »Creme de luxe« und für »Erotische Clips und Filme aller Art« über das Internetportal »tho-ha«. Für beide Firmen gibt er eine Adresse in Munster an. In derselben Straße, im Nachbarhaus, betreibt Franke den Tattoo-Laden »Bulletproof« und dort war bis 2012 auch der Sitz des Militär-Fachgeschäftes »Dezentral« von Knoch.

Die Tattooläden in Munster und Hildesheim sind erkennbar eng vernetzt mit dem Tattoo-Laden »Crime Art Connection« in Rostock-Toitenwinkel. Bilder zeigen den Personenkreis um Franke bei Parties von »Crime Art Connection« und umgekehrt den Personenkreis von »Crime Art Connection« bei Franke. Der Rostocker Laden wird nach außen von Mirko Appelt und seiner Partnerin Julia B. vertreten.

Auf einer Internetpräsenz eines in der Rocker- und Neonaziszene beliebten Anwalts aus dem Rostocker Umland wurde kürzlich bekannt gegeben. »Ich darf Euch nunmehr darüber informieren, dass ich gerade das Innenministerium MV sowie das LKA MV per Fax, per Mail und telefonisch auftragsgemäß darüber informiert habe, dass sich der Hells Angels MC Rostock am 14.07.2013 mit sofortiger Wirkung aufgelöst hat«. Nach neuesten Informationen konzentrieren sich die Hells Angels nach Vorpommern, wo es in letzter Zeit wiederholt zu Auseinandersetzungen mit Mitgliedern der verfeindeten Rocker-Gruppe Bandidos gekommen ist. Derzeit kommen sie auch in befreundeten Clubs unter.

Die Recherchen der letzten Jahre belegen ein eng geknüpftes soziales, politisches und geschäftliches Netzwerk, aus dem Thomas Düwell und Hannes Franke hervorragen. Man feiert zusammen Partys, verbringt den »Herrentag« miteinander oder lässt sich, wie im Jahre 2010, von der Polizei beim Koksen im Hells-Angels-Clubhaus erwischen. Mehrfach dabei sind Johannes Knoch und Stefan Rietz von ehemaligen B&H-Strukturen aus Nordbrandenburg sowie Franke-Gefolgsleute wie Marc B. Bilder aus den letzten Jahren zeigen, dass alte Freundschaften offenkundig bestehen blieben, beispielsweise mit führenden Personen der Post-B&H-Strukturen in Sachsen und ehemaligen Führungspersonen der 2002 als kriminelle Vereinigung verurteilten Gruppe Combat 18 Pinneberg.8

Anke Z., die heute Mitinhaberin einer Firma bei Rostock ist, zeigt sich mit den oben Genannten seit Jahren seltener in der Öffentlichkeit, tauchte mit ihnen im privaten Kreis aber noch in jüngster Zeit auf.

Die Nähe zum Umfeld des NSU-Unterstützungskreis

Die Nähe zwischen Neonazis in der sogenannten »Halbwelt« und neonazistischem Terror wird beim NSU deutlich. Gerade zur Waffenbeschaffung bediente sich der NSU der Kontakte ehemaliger Aktivisten des Thüringer Heimatschutzes (THS), die bereits Ende der 1990er im Rocker- und Rotlichtmilieu etabliert waren. Ihre neonazistischen Aktivitäten hatte diese lediglich hinten an-, jedoch nie eingestellt.

Die Wahl für den Ort des Mordes 2004 in Rostock-Toitenwinkel kann kaum zufällig getroffen worden sein, so wenig einsehbar der Tatort liegt. Ebenso verhält es sich mit der Sparkassenfiliale in Stralsund, die der NSU 2006 und 2007 überfiel. Schon in den 1990er Jahren waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei den Rostockern zu Besuch. Mundlos schwärmte später in einem Brief über einen Laden in Rostock, in dem sie sich mit Waffen eindecken wollten.9 Zudem wohnten um den Zeitraum des Mordes wenigstens zwei (ehemalige) B&H-Aktivisten in der Nähe des Tatortes. Unter ihnen ist Thomas Düwell, der bis mindestens 2002 in der elterlichen Wohnung in Sichtweite zu dem Imbiss wohnte, in dem Mehmet Turgut ermordet wurde.

Nach Informationen des Weser-Kuriers reiste der mutmaßliche NSU-Unterstützer Andre Eminger noch im August 2011 in Begleitung eines Rostocker Neonazirockers zu einem befreundeten Neonazirocker nach Nie­dersachsen. Wenn im weiteren Kreis eines Milieus von Waffen, Wehrsport und »Halbwelt« Personen wie Holger Gerlach, Maik und Andre Eminger erscheinen, dann alarmiert dies selbstverständlich. Doch es ist unklar, inwieweit Personen aus dem hier skizzierten Kreis des norddeutschen Post-B&H bewusst oder unbewusst in Unterstützungsleistungen für den NSU eingebunden waren.

Seit 2012 agieren Franke und Knoch unauffälliger und auch um die Hells Angels in Rostock ist es bedeutend ruhiger geworden. Hinter Schein­adressen in mehreren Städten Norddeutschlands verbergen sie ihre Existenzen und treten im Stadtbild kaum noch in Erscheinung. Vor wenigen Wochen folgte deren »offizielle« Charter-Auflösung. Ob dies vor allem im Zusammenhang mit Repressionen gegen das Charter Rostock steht, ob die Exponenten dem neu erwachten öffentlichen Interesse an den Neonazi-Rocker-Verbindungen ausweichen oder ob Einzelnen aufgrund der Ermittlungen gegen mutmaßliche NSU-Unterstützer derzeit das Pflaster zu heiß ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Die »Nordachse« wird jedoch – in welcher Form und an welchen Orten auch immer – weiterbestehen. Von den Behörden hatten sie bislang kaum etwas zu befürchten.