Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering
Lisa Bolyos; Katharina Morawek (Hg.)Der Sammelband „Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering“ geht der Frage nach, wie und welche künstlerischen und kulturellen Politikformen in den Diskurs eines Gedenkens an den NS intervenieren können oder müssen. Wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit auf das „Vergessene“ zu richten, heißt das immer auch die „Zufriedenheit“ einer postnazistischen Gesellschaft, die sich nicht nur in hegemonialen Denkmustern in der Geschichtspolitik ausdrückt zu stören und weiterhin bestehende Widersprüche aufzuzeigen.
Die Spannbreite der versammelten Beiträge beleuchtet die immense Fülle theoretischer wie praktischer Auseinandersetzungen mit dem NS und zeichnet Kontinuitäten der Diskriminierung bis heute nach. Die Herausgeber_innen wollen anhand der im Buch versammelten Beiträge geschichtspolitische Kämpfe führen und dabei „Kunst auf das analytische und praktische Potential, das sie in solchen Kämpfen entfaltet, abklopfen. Geschichtspolitik als gesellschaftliche Praxis des Kampfes um die Interpretation von Geschichte zu verstehen, heißt in diesem Zusammenhang, sich zu involvieren – sich in ein persönliches und politisches Verhältnis zum Geschehenen zu setzen – und öffentlich Position zu beziehen.“
In neun Kapiteln werden eine Vielzahl solcher Interventionsmöglichkeiten aufgezeigt. Praktisch-künstlerische Darstellungsformen werden dabei durch theoretische Beiträge ergänzt. Im ersten Kapitel stehen (Kunst-)Institutionen und ihr Erbe, von der (Nicht-)Auseinandersetzung mit Raubkunst oder dem Massenmord an Psychatrisierten im Fokus. Weitere beschäftigen sich mit dem innerfamiliären Umgang der Beteiligung am NS, der Konstruktion der „Anderen“ im Rahmen der Aufarbeitung am Beispiel von pop- und subkulturellen Erscheinungsformen wie Punk, Hip Hop oder der Romantisierung von Rom_nija in Schlager. Der Körper rückt in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung, wenn es um Zwangssterilisation oder reproduktive Selbstbestimmung geht. Wer ist nützlich und wer nicht? Hier geht es u.a. um unterstellte Arbeitsunwilligkeit und Zwangsarbeit. Was soll eigentlich „Heimat“ sein und wer kann über Nazis lachen? Leerstellen im Gedenken an schwarze Opfer des NS werden benannt und solidarische Kämpfe hervorgehoben.
Den Herausgeber_innen ist es gelungen, eine umfassende Darstellung von Debatten und Kämpfen anschaulich zusammenzufassen. Auch wenn es die Fülle der versammelten Beiträge auf 368 Seiten nur schwerlich zulässt, wäre es wünschenswert gewesen, den theoretischen Texten mehr Raum zu geben.
Lisa Bolyos; Katharina Morawek (Hg.)
Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering. Kunst und Geschichtspolitik im Postnazismus
Mandelbaum Verlag, Wien 2013, 368 Seiten, 19,90 Euro