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Tag der Patrioten?

Einleitung

Zum neu ausgerufenen „Tag der deutschen Patrioten“ (TddP) wollten am 12. September 2015 tausende Neonazis und rechte Hooligans durch Hamburg marschieren. Dieser Plan scheiterte am Verbot durch die Hamburger Polizei, die sich auf polizeilichen Notstand berief. Zwar gelang den Organisatoren trotz vollmundiger Ankündigungen kein überzeugendes Ersatz-Konzept, ein Blick hinter die Kulissen deckt aber bemerkenswerte Strukturen und langjährige neonazistische Seilschaften auf.

Foto: Po-Ming Cheung Photography

Tag der Patrioten Ersatzveranstaltung in Bremen

Wie von vornherein angekündigt klagten sich die Neonazis durch alle gerichtlichen Instanzen. In einem Eilverfahren bestätigte das Bundesverfassungsgericht in der Nacht zu Samstag jedoch das verfügte Verbot. Trotzdem agierten am 12. September hunderte organisierte Neonazis in unterschiedlichen Städten. Der Organisationskreis um Thorsten de Vries koordinierte etwa 30 PKW und 200 mit dem Zug reisende Neonazis zwischen Hamburg, Bremen und Kirchweyhe. Zudem wurde bundesweit auf dezentrale Aktionen gesetzt, an denen sich insgesamt ungefähr 500 Neonazis beteiligten. In Anbetracht des drohenden Verbots riefen sowohl de Vries als auch Marcel  Kuschela, Kopf von „Gemeinsam stark Deutsch­land“ (GSD), bereits Tage zuvor dazu auf, dennoch nach Hamburg zu reisen. Ein „Plan B“ sei „auf dem Orgameeting in Hamburg ohne Handys besprochen [worden], und wie der Plan läuft, wissen nur die Leute die in diesem Zimmer saßen“. Die Anfahrt bliebe die Selbe und alle Teilnehmenden sollten „Richtung Hamburg“ reisen.

In Hamburg selbst war es per Bahn anreisenden Neonazis nahezu unmöglich die teils von der Polizei abgeriegelten, teils von Antifaschist_innen blockierten Bahnhöfe zu verlassen. Am stundenlang blockierten Hamburger Hauptbahnhof kam es zu einem Angriff von ca. 30 Neonazis aus Hamburg und Schleswig Holstein auf Blockierer_innen1 . Zu den Angreifern gehörten u.a. das NPD-Mitglied Marian H. sowie Andreas K. von den „JN Hamburg Nordland“. Die Gruppe trat einer am Boden liegenden Person diverse Male gegen den Kopf, ohne dass sich die unmittelbar anwesende Polizei zum Eingreifen genötigt sah.

Versuche von Ersatzveranstaltungen in Bremen, Bamberg, Mannheim und Ludwigshafen wurden polizeilich unterbunden. Im niedersächsischen Kirchweyhe wurden circa 80 Neonazis festgesetzt, nachdem sie rassistische Parolen rufend durch den Ort gezogen waren und damit für die Absage eines antirassistischen Bürgerfestes gesorgt hatten. In Berlin griffen ca. 50 Neonazis ein linkes Wohnprojekt an. Eine Auseinandersetzung mit anwesenden Antifaschist_innen hielt die Gruppe bis zum Eintreffen der Polizei auf, welche 41 Beteiligte festnahm. Eine kleine Anfrage an den Senat ergab, dass den Sicherheitsbehörden „Erkenntnisse vor[lagen], dass sich [die] Personen der „rechten Szene“ für eine Teilnahme an der Versammlung „Tag der deutschen Patrioten“ („TddP“) in Hamburg für eine gemeinsame Anfahrt in Berlin sammeln wollten“2  und dann aufgrund des Verbotes gezielt ein Objekt der linken Szene angriffen. Auch im brandenburgischen Neuruppin kam es nach einem Angriff auf Personen und ein linkes Zentrum zu Festnahmen.

Alte Allianzen

Urheber und Drahtzieher des „TddP“ ist Thorsten de Vries. Der mehrfach vorbestrafte Neonazi ist seit Mitte der 1970er Jahre aktiv, nahm als Jugendlicher an Lagern der „Wiking-Jugend“ unter Leitung von Manfred Börm teil und engagierte sich zunächst für die JN/NPD. Als regelmäßiger Teilnehmer neonazistischer Demonstrationen pflegte er Kontakte zu Szenegrößen wie Christian Worch und Thomas Wulff und organisierte teils selbst Veranstaltungen. Anfang der 1990er Jahre war er Anführer des 1992 verbotenen Gruppe „Deutscher Kameradschaftsbund Wilhelmshaven“. 1995 zog de Vries von Wilhelmshaven nach Hamburg und baute dort seine Kontakte ins Milieu militanter Neonazis weiter aus. Als (Mit-)Organisator von  Demonstrationen, Redner bei Veranstaltungen und Mitglied verschiedener Kameradschaften und Organisationen machte er sich norddeutschlandweit schnell einen Namen. Im Jahre 2005 betrieb er mit Volker Fuchs den Neonaziladen „Odin & Freya“ in Hamburg. Hauptsächlich engagierte er sich in jener Zeit bei der Hamburger NPD, wo sich viele militante Neonazis in Hamburg vernetzten. Nach internen Streitigkeiten und einem Parteiausschlussverfahren betrieb er mit dem ehemaligen „Blood & Honour“ (B&H)-Kader und Ex-NPD-Landesvorsitzenden Torben Klebe 2007 zeitweise das neonazistische Geschäft „East Coast Corner“ in Rostock. Nach längerer politischer Ruhepause fiel de Vries ab 2013 durch die Teilnahme am „Stammtisch Hamburg“, als Redner bei der HoGeSa Demonstration in Köln sowie als Mitglied der Facebook Gruppe „Weil Deutsche sich’s noch trau’n“ wieder auf3 .

Zum „TddP“ appellierte de Vries an die „ALTEN KÄMPFER-DIE JUNGS FÜR’S GROBE“ sich zu beteiligen. Die bundesweite Koordination für die Demonstration organisierte er mittels einer Whatsapp-Gruppe, was den Behörden einen permanten Einblick in die Planungen in Echtzeit ermöglichte. In Hamburg selbst kam es zu mehreren Vorbereitungstreffen des Organisationskreises, an denen Gruppen wie GSD Hamburg und Bremen teilnahmen. Ort dieser Treffen war die Privatwohnung von Michael Arnold, der schon in der Partei „Nationale Liste“ um Thomas Wulff und Christian Worch bis zu deren Verbot im Jahr 1994 den Posten als zweiter stellvertretender Vorsitzender innehatte. Weitere Hilfe bei der Organisation bekam de Vries von „Kameraden“ aus der NPD. Der NPD-Kandidat Marius Edahl und das NPD-Mitglied Marian H. aus Hamburg stellten die Spendenkonten. Der  Hamburger Neonazikader und lokale Mul­tifunktionär Jan-Steffen Holthusen beteiligte sich ebenfalls an den Vorbereitungen. Klebe, Holthusen und de Vries kennen sich seit den frühen 1990er Jahren, alle drei waren in der im August 2000 verbotenen Kameradschaft „Hamburger Sturm“ (vorher: Bramfelder Sturm) organisiert.

Am „TddP“ konnte de Vries auch auf das know-how mindestens dreier ehemaliger FAP-Funktionäre zurückgreifen: Markus Privenau half bei der Koordination am Versammlungsplatz in Bremen während der in „Wiking-Jugend“ und Wehrsportgruppen geschulte und wegen versuchtem Mordesverurteilte4  Detlev Bruel sich als Späher im Umfeld betätigte. Henrik Ostendorf, Bruder des Kategorie-C-Sängers Hannes Ostendorf,  ebenfalls ex-FAP und „Wiking-Jugend“ Mitglied und heute Teil der rechten Hooligangruppe „Standarte Bremen“ sowie Herausgeber des geschichtsrevisionistischen Zeitungsprojekts „Ein Fähnlein“, koordinierte am 12. September einen Großteil der Neonazis zwischen Bremen und Kirchweyhe. Bereits bei der HoGeSa-Demonstration in Hannover organisierte er die komplette Ordnerstruktur.

Zu de Vries’ „alten Kämpfern“ gehören auch Ralf Schütthelm und Christian Hehl. Diese waren gemeinsam mit ihm im Blood & Honour-Netzwerk organisiert. Hehl war zudem einer der Administratoren der Facebook-Gruppe „Weil deutsche sich’s noch trau’n“. In dieser Gruppe waren  vor allem Personen aus der rechten Fußballszene aktiv, neben de Vries und Schütthelm („Rot-Front Kaiserslautern“ und Gremium MC) auch Thors­ten S. („Brigade Bochum“) und Heiner G. (Gremium MC). G. war bereits in den 1980er Jahren bei der Hamburger „Savage Army“ organisiert5 , einer neonazistischen Schlägertruppe, die ihre Mitglieder überwiegend aus dem Fußballumfeld und der rechten Skinheadszene rekrutierte. Schon 1988 hatten diese gemeinsam mit der Dortmunder „Borussenfront“ unter deren Anführer Sigfried „SS-Siggi“ Borchardt die Hamburger Hafenstraße angegriffen. Auch Borchardt war in der FAP tätig und brachte es in fast zehn Jahren Partei-Engagement bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Personelle Überschneidungen der „Savage Army“ gab es in den 1980ern mit dem HSV-Fanclub „Die Löwen Hamburg“. Ehemalige und Mitglieder, sowohl der „Löwen“ als auch der „Borussenfront“, nahmen auch an der HoGeSa Demonstration 2014 in Köln teil.

Die „alten Kämpfer“, von denen de Vries spricht, sind also nicht nur seiner Phantasie entsprungen. Seine alten militanten Weggefährten haben ihn zum „TddP“ unterstützt. Wenn zudem alte Neonazi-Größen wie der ehemalige B&H-Kader Sascha Bothe6 oder politische Totschläger der 1990er wie Volker K.7 , die sich in den letzten Jahren um „Geschäfte“ und Familie kümmerten und öffentliches politisches Engagement eher mieden, in sozialen Netzwerken ihre Unterstützung und Teilnahme an neonazistischen Demonstrationen ankündigen, wird deutlich, dass die alten Strukturen gewillt sind, politische Kämpfe wieder auf den Straßen auszutragen.

Viele Mitglieder der militanten Parteien und Organisationen der 1990er Jahre scheinen durch die aktuellen rassistischen Mobilisierungen reaktiviert und bringen sich und ihre Erfahrungen wieder in die politischen Kämpfe der Neonaziszene mit ein. Neben den teils neu politisierten „besorgten BürgerInnen“, stellen die „alten Kämpfer“ weiterhin eine relevante Gruppe dar, da sie aus teils jahrzehntelanger Erfahrung schöpfen, bundesweit durch persönliche Kontakte partei- und organisationsunabhängig bestens vernetzt sind und eine hohe Gewalt-affinität mitbringen. So spielten ehemalige Aktivisten von B&H, FAP und Co. nicht nur tragende Rollen beim hier näher veranschaulichten „TddP“, sondern auch bei sämtlichen Veranstaltungen unter dem HoGeSa-Banner. Doch auch sich biederer gebende Wutbürger dürfen sich der Unterstützung altgedienter militanter Neonazis sicher sein; So ist die Teilnahme u.a. ehemaliger B&H-Kader an den jüngsten rassistischen Aufmärschen der Alternative für Deutschland (AfD) gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung wenig überraschend und vielfach belegt.