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Griechenland: Im Schatten der nationalen Massenpsychose

John Malamatinas (Gastbeitrag)
Einleitung

Zwischen nationalistischen Massenaufläufen und neonazistischen Angriffen haben antifaschistische Strukturen in Griechenland viel zu tun.

Foto: Chris Avramidis

Der Brandanschlag auf das "Libertatia".

Wir schreiben das achte Jahr des „Krisenlabor Griechenland“ ­— fast acht Jahre ist es her, als der damalige Premierminister Giorgos Papandreou von der Insel Kastelorizo aus annoncierte, dass „Griechenland es nicht ohne die Finanzhilfe seiner internationalen Partner packen wird“. Was folgte durften wir alle live mitverfolgen: Austeritätsmaßnahmen diktiert aus Deutschland, soziale Zertrümmerung und Repression gegen jede Verweigerung, die Krisenverwaltung mitzumachen. Tausende junge Menschen haben Griechenland verlassen, Korruption beherrscht weiterhin das Land und sogar unter einer linken Regierung scheint es kein Licht am Ende des Tunnels zu geben. Zwar wird in den diversen Zeitungsberichten und Regierungserklärungen die erfolgreiche Rückkehr Griechenlands zu den Finanzmärkten propagiert und das verbesserte Geschäftsklima angepriesen, die Realität ist allerdings für den durchschnittlichen Lohnabhängigen eine sehr düstere. In dem Kontext verwundert der weiter um sich schlagende Nationalismus nicht. Dennoch: Wie kann es sein, dass tausende Menschen wegen eines Namensgebungskonflikts eher auf die Strasse gehen als gegen die Krisenmaßnahmen? Dieses Szenario wird konterkariert durch Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Linken, sowie dem Staat, der als scheinbar neutraler Verwalter repressiv sowohl gegen links als auch gegen rechts zuschlägt.

Alexander der Große war Grieche

Der sogenannte Namensgebungskonflikt währt schon seit Jahrzehnten. Zehntausende DemonstrantInnen, darunter Christen, Konservative und Nationalisten aller Couleur, nahmen Ende Januar an einer landesweiten Kundgebung in Thessaloniki teil.  Ihre Forderung ist, den Begriff Mazedonien nicht in den Namen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien aufzunehmen. Griechenland solle dies in keinem Fall zulassen, weil es die griechische Geschichte diskreditieren und zur Destabilisierung der Region beitragen würde. Die letzte große nationalistische Ansammlung mit tausenden TeilnehmerInnen zum selben Thema fand 1992 statt — inmitten eines nationalistischen Aufruhrs gegen die 1991 erfolgte Gründung des kleinen Nachbarstaats nach Ende des Jugoslawienkriegs.

Wegen des schwelenden Streits wird Mazedonien bei der UNO mit dem sperrigen Namen Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (eben FYROM) geführt. Seit 2008 blockiert Griechenland den NATO-­Beitritt des südosteuropäischen Landes. In der Zwischenzeit setzte auch Mazedonien selbst, zumindest aus Sicht Griechenlands, auf eine Politik der Provokation, indem Flughäfen und andere wichtige Orte nach Alexander dem Großen benannt wurden. Seit 2014 liegen die Verhandlungen über den Namensstreit praktisch still. Zuletzt zeichnete sich eine Annäherung und Einigung zwischen den Regierungen beider Länder ab. Der UN-Vermittler in dem Streit, Matthew Nimetz, zeigte sich kürzlich in New York „sehr optimistisch, dass der Prozess in eine positive Richtung geht“. Er unterbreitete fünf Namensvorschläge, die alle das Wort Mazedonien enthalten, unter anderem Nord-Mazedonien und Neu-Mazedonien.

Nationalistische Massenaufläufe und neonazistische Angriffe

Antifaschistische Gruppen warnten schon Tage vor der nationalistischen Großkundgebung vor Angriffen auf linke Infrastruktur in Thessaloniki. Schon auf dem Weg zur Kundgebung wurde das Squat „Scholio“ angegriffen, aber von den Anwesenden erfolgreich verteidigt. Etwa 150 Vermummte versuchten während der Kundgebung die Polizeiabsperrungen zu überrennen und eine antifaschistische Demonstration anzugreifen. Die Polizei setzte Tränengas ein um ein Aufeinandertreffen der Gruppen zu verhindern. Im Anschluss der nationalistischen Kundgebung griff eine Gruppe von über 100 Menschen das anarchistische Squat „Libertatia“ an und setzte es in Brand. Bildern und Videos zufolge handelte es sich bei den Tätern um nationalistische Anhänger des Fussballvereins ΠΑΕ ΠΑΟΚ (PAOK FC) und Neonazis.

Zwei Wochen später in Athen wiederholte sich ein ähnliches Szenario: Die nationalistische Massenbewegung hatte sich vorgenommen, auf dem geschichtsträchtigen Syntagma Platz zu demonstrieren. Bereits am Tag davor planten die Neonazis der Χρυσή Αυγή („Goldene Morgenröte“) ihren jährlichen Imia-Marsch, der sich auf einen Inselkonflikt mit der Türkei bezieht. Die antifaschistische Mobilisierung gegen diesen Aufmarsch war in ihrer Strategie erfolgreich: Die Neonazis konnten sich nicht auf dem eigentlich angekündigten Platz versammeln und hielten ihre Kundgebung mit wenigen hundert Mitgliedern vor ihren zentralen Büros im Zentrum Athens ab. Das ganze Wochenende lang fanden zudem antifaschistische Motorraddemos in verschiedenen Stadtteilen zur Gegeninformation statt.

Am Sonntag, dem Tag der Massenkund­gebung, versammelten sich, trotz Behinderungen der Polizei 2.000 organisierte Antifaschist_innen in der Nähe des Syntagma-­Platzes. Während des ganzen Tages bewachten Hunderte die zahlreichen sozialen Zentren und besetzte Häuser von Geflüchteten. Für Aufmerksamkeit sorgte die Ankündigung der anarchistischen Gruppe „Rouvikonas“, sich auf den Schutz ihres Squats „Distomo“ und der Präsenz im Stadtteil Agios Panteleimonas zu beschränken. In ihrer Erklärung betonten sie, dass diese Präsenz den Neonazis „besonders weh tun wird“, da das Viertel vor wenigen Jahren noch in ihrer Hand lag und als „National befreite Zone“ galt.

In Athen gab es erneut einen gefährlichen Zwischenfall: Etwa 15 Neonazis griffen mit Molotowcocktails das selbstverwaltete Theater „Empros“ im Viertel Psirri in der Nähe des Syntagma-Platzes an. Die anwesenden Antifa-Aktivist_innen verteidigten das besetzte Theater erfolgreich und trieben die Neonazis in die Flucht, bevor die Polizeikräfte den Ort des Geschehens erreichten. Zu einem früheren Zeitpunkt bewegten sich etwa 200 Neonazis, einige mit Tarnkleidung, vermummt und mit Holzlatten bewaffnet, von der Kundgebung weg in Richtung des linksalternativen Stadtteils Exarchia, wurden dabei aber von der Polizei aufgehalten. Ein Mitglied der Χρυσή Αυγή („Goldene Morgenröte“) wurde verhaftet.

Die Gewaltspirale bricht nicht ab — birgt aber eine Chance

Ende Februar 2018 wurde in Piräus das soziale Zentrum „Favela“ von Neonazis und Anhängern der „Goldenen Morgenröte“ angegriffen. Ungefähr zehn Neonazis betraten unerwartet das Zentrum und griffen mit Stöcken und Fackeln die Anwesenden an. Fünf der Verteidiger_innen mussten ins Krankenhaus, unter ihnen die Anwältin der Familie des von Neonazis ermordeten Pavlos Fyssas. Die Angreifer riefen: „Wir werden dich anzünden, heute Nacht wirst du tot sein“, und während sie gingen, riefen sie Slogans der „Goldenen Morgenröte“.

Einige Antifa-Aktivist_innen vertreten die Auffassung, dass der Angriff den Neonazis auf die Füße fallen könnte, da der Prozess gegen die „Goldene Morgenröte“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung noch immer andauert und die Partei kürzlich viele ihrer Büros schließen musste. Dies ist mindestens das dritte Mal, dass das „Favela“ in seinem fast einjährigen Bestehen von Neonazis angegriffen wurde. Das Kollektiv scheint dennoch mit der Unterstützung der linken Bewegung, den lokalen Gruppen und der Nachbarschaft immer stärker zu werden.

Wenige Tage nach dem Überfall hob die Anti-Terror-Einheit der griechischen Polizei einen Neonazi-Ring aus. Insgesamt wurden elf Mitglieder des griechischen Zweigs des Neonazi-Netzwerks „Combat 18“ sowie der Organisation „Autonome Mäander Nationalisten“ festgenommen. Bei Hausdurchsuchungen in Athen und in zwei Provinzstädten wurden Sprengstoff, Jagdgewehre, Brandflaschen sowie Propagandamaterial sichergestellt. Ein Polizeioffizier erklärte, es werde vermutet, dass die Gruppe einen größeren Sprengstoffanschlag plante. Gegen die Organisation, die in der Vergangenheit mehrere Anschläge gegen linke Infrastruktur und jüdische Denkmäler verübt hat, wird nun ebenfalls wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt.

Die unmittelbare Zukunft birgt die Chance, mit zivilgesellschaftlichem Druck, den gesellschaftlichen Ausschluss der „Goldenen Morgenröte“ zu forcieren. Die Anwälte der Nebenklage beteuern weiterhin, dass die Chancen für ein Verbot gut stehen. Für Mitte September 2018 planen antifaschistische Strukturen zum fünften Jahrestag der Ermordung von Pavlos Fyssas eine große Demonstration in Piräus. Der Angriff auf das „Favela“ könnte sich zu einem politischen Boomerang für die Neonazis entwickeln.