Denk ich an Griechenland in der Nacht...
Ein Land rückt nach rechts
Diese Behauptung wirkt merkwürdig angesichts der jüngsten Wahlerfolge des linken griechischen Parteienbündnis SYRIZA. Betrachtet man jedoch die Situation außerhalb des Parlaments, so wird einem schnell die Illusion eines Erfolgs geraubt.
Am 10. Mai dieses Jahres jährte sich der Tod eines Griechen, der im Zentrum Athens beraubt und erstochen wurde. Die anschließende Hetze, derzufolge die Täter afrikanischer Herkunft gewesen seien, löste mehrtägige Pogrome gegen Migrant_innen aus. Messerstechereien am helllichten Tag und Überfälle auf soziale Zentren prägten die folgenden drei Tage. Die Bilanz: 17 Verletzte und ein Toter.
Ein Jahr danach ist die Spannung förmlich zu spüren. Die Flüchtlinge, die ihre Ware in den Straßen anbieten, erwarteten erneut rassistische Unruhen. Glücklicherweise fanden diese so nicht statt. Das Ergebnis der Parlamentswahl am 6. Mai bestätigt die Angst: Völkische, rechts-populistische und neonazistische Parteien konnten insgesamt 20,47 Prozent der Stimmen erzielen.
LAOS (»Orthodoxer Volksalarm«), Chrysi Avgi (Χρυσή Αυγή, XA, »Goldene Morgenröte«) und ANEL (»Unabhängige Griechen«) sind die Parteien, die diesen erschreckenden, aber nicht unerwarteten Rechtsruck des Landes ausmachen.
Entgegen der Vermutung, dass zumindest XA bei den Neuwahlen am 17. Juni enorm an Stimmen verlieren würde, gibt es nun ein Parlament, in dem 38 von 300 Sitzen von Neonazis und RechtspopulistInnen belegt werden. XA bekamen nur 0,1 Prozent weniger als im Mai und ANEL rutschte von 10,6 Prozent auf 7,5 Prozent der Stimmen. Was das aus antifaschistischer Sicht bedeutet, soll im Folgenden beleuchtet werden und basiert auf Einschätzungen, die in Gesprächen mit Antifaschist_innen aus Athen entstanden.
Eine »gemäßigte Rechte« gibt es nicht
LAOS, seit 2000 aktiv, definiert sich durch einen völkischen Nationalismus und beruft sich auf christlich-orthodoxe Werte. Nationale Souveränität und Forderungen nach strengen Migrationsgesetzen bilden den Kern ihrer Ideologie. In der vergangenen Legislaturperiode hatte sie 15 Sitze im Parlament inne und beteiligte sich temporär an der Regierung. Dieses Jahr scheiterte sie an der Drei-Prozent-Hürde und zog damit nicht ins Parlament ein.
Auf den Straßen geben sie sich gemäßigt als eine klassische rechts-konservative Partei. Ihre Präsenz ist subtil und fokussiert sich auf Entscheidungen in den Rathäusern; Beteiligungen an Demonstrationen sind sporadisch. Wichtig sind ihre Verbindungen zu ND (Nea Demokratia, »Neue Demokratie«), welche im Parlament die Mehrheit haben. Immer wieder kam es dazu, dass LAOS-Mitglieder in die ND übertraten und umgekehrt,da Beide konservativer und rechter Ausrichtung sind.
Wenn Protest wählen geht
Neu ist die ANEL, die dem rechts-populistischen Lager zuzuordnen ist. Dieses Jahr durch ein Ex-ND-Mitglied gegründet, erlangte sie 20 Sitze. In einer Veranstaltung stellte ihr Vorsitzender die Position der Partei vor: Die strikte Ablehnung der »Austeritätspolitik«. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer »internationalen Verschwörung« der EU und des IWF gegen Griechenland. Damit bedient er jene, die den Kuschelkurs der sozialistischen PASOK satt haben. Jene WählerInnen, die im patriotischem Geiste am Syntagma-Platz die Fahnen schwenken und ein »nationales Erwachen und Aufstehen«, wie es ANEL vorhersagt, anstreben. Eine Bevölkerung, die verschiedenste Regierungen durchgemacht hat, mit dem Resultat, dass der finanzielle Ruin des Landes unabwendbar ist.
Die Suche nach dem Feindbild
Ein Sündenbock, der in Zeiten der sozialen Barbarei angreifbar ist - denn EU und IWF sind unnahbare Institutionen - findet sich schnell: Minderheiten wie etwa Migrant_innen und Flüchtlinge.
Aus nordafrikanischen Ländern versuchen täglich rund 400 Menschen, so offizielle Stellen, über die östlichen Grenzen Griechenlands in die Länder Europas zu gelangen, da die Migration über den Mittelmeerraum schlichtweg tödlich ist. Auch Flüchtlinge aus Albanien, Pakistan und dem Iran stellen einen erheblichen Teil der Zuwanderung.
Doch: Der griechische Staat stellt kaum Mittel für einen humanen Umgang bereit. Die Möglichkeit ein Visum zu bekommen und dadurch Anspruch auf eine notwendige Grundversorgung zu haben, ist gering. Die wenigen Ressourcen, dennoch über die Runden zu kommen, sind illegaler Handel unterschiedlichster Waren, Verkauf von Drogen und Sexarbeit. Diese durch das staatliche Handeln verursachte Lage sorgt für die Eskalation der Verhältnisse und wird von Neonazis als Rechtfertigung genutzt, um Flüchtlinge aus »ihren« Vierteln zu jagen. Diese faschistischen Gruppen stilisieren sich zu denen, welche für Sicherheit und Ordnung sorgen würden. Rassistische Ressentiments von Teilen der Bevölkerung sind der Nährboden von Parteien wie Chrysi Avgi – abgekürzt XA.
Nun ist die XA mit 18 Sitzen das erste Mal im Parlament. 1985 durch Nikolaos Michaloliakos ins Leben gerufen, ist sie durch ihren neonazistischen Kurs Knotenpunkt militanter Neonazis und Hooligans. In Athen besetzen ihre AnhängerInnen etliche neuralgische Punkte, wie Agios Pantelemonas oder Attiki. Seit einer Weile versuchen sie sich den Platz Viktoria zu sichern. Alles Brennpunkte der Downtowns, in denen viele Menschen migrantischer Herkunft auf engstem Raum leben und sich auch besetzte Häuser, wie die Villa Amalias, befinden.
XA verfolgt die Strategie der Straße und konnte durch kontinuierliche Attacken Bedrohungssituationen schaffen. Sie organisieren regelmäßig Demonstrationen, Versammlungen und Konzerte, sind international vernetzt, zeigen Präsenz an Brennpunkten und verstärken, mit Hilfe von Cafés und Bars, die als Stützpunkte dienen, ihre Hegemonie in den verschiedenen Stadtteilen. Vertuscht werden ihre Aktivitäten oftmals durch die Polizeieinheiten MAT, DELTA und DIAS, die selbst zum größten Teil XA wählen und sich immer wieder von Neonazis unterstützen ließen, wenn Razzien auf den Straßen stattfanden. Diese Zusammenarbeit beförderte die Pogrome des letzten Jahres. Im Anschluss an eine ihrer Kundgebungen zogen AnhängerInnen von XA durch die Straßen, bis hin zum touristischen Zentrums Athens, wo sie mit Messern und Stöcken bewaffnet, Migrant_innen und deren Läden angriffen. Doch diese Gewalt ist nichts Neues. Täglich finden Attacken gegen Minderheiten statt.
Betrachtet man andere Städte, wie Thessaloniki, Volos oder Patras findet man ähnliche Situationen, doch sind rassistische Angriffe in Athen häufiger und die Präsenz der Neonazis deutlich höher.
Eine Antifa, wie wir sie aus Mitteleuropa kennen, gibt es in Griechenland nicht. Zwar exestieren explizit Gruppen und Versammlungen, in denen die Thematik im Fokus steht, doch versucht die griechische Szene Teilbereichskämpfe zu vermeiden. Anarchist_innen und anti-autoritäre Kräfte sehen sich tagtäglich mit Angriffen von Staat und Neonazis konfrontiert. Die Auseinandersetzungen auf den Straßen definieren den Kampf und soziale Zentren und alternativ geprägte Stadtteile fungieren als Schutzräume. Natürlich gibt es unterstützenden Kontakt mit den Migrant_innen, wie etwa während der Pogrome oder als vergangenes Jahr hunderte Flüchtlinge in den Hungerstreik traten. Doch der andauernde Ausnahmezustand und die Breite der zu bewältigenden, alltäglichen Kämpfe erschwert eine tiefer greifende Vernetzung.
Ein Land in der Schwebe, in dem sich die Zustände tagtäglich verschlechtern.
»Sie haben mich in meinem Herkunftsland geschlagen, ich komme hierher und werde wieder geschlagen«.
(O-Ton eines in Athen lebenden Flüchtlings)