Chrysi Avgi – Die Doppelzüngigkeit einer gewalttätigen Partei
Harry LadisFünf Monate sind seit der Ermordung des antifaschistischen Musikers Pavlos Fyssas in Piräus durch ein Kommando der neonazistischen Goldenen Morgenröte (Χρυσή Αυγή; Chrysi Avgi) vergangen. Die Tat gilt als Ausgangspunkt für die strafrechtliche Verfolgung der gewalttätig agierenden Partei und es vergeht kaum eine Woche, in der keine neuen haarsträubenden Details über die Neonazis ans Licht kommen. Bereits zu Beginn der Ermittlungen wurden aufgrund der anzunehmenden Verbindungen zwischen der griechischen Polizei und Chrysi Avgi mehrere ranghohe Polizeifunktionäre auf andere Posten versetzt. Unter den festgenommenen Parteianhängern war etwa der Chef der Polizeistation des Athener Stadtteils Agios Panteleimon.
Erkenntnisse aus einer Vielzahl von Bildern und Gesprächen, die aus beschlagnahmten Handys und Computern der mittlerweile inhaftierten Parteifunktionäre gewonnen werden konnten, haben zuletzt die beiden zuständigen Ermittlungsrichterinnen dazu bewogen, die Aufhebung der parlamentarischen Immunität sämtlicher Abgeordneten der Partei zu beantragen. Das könnte zum Ergebnis haben, dass erstmalig in der europäischen Parteiengeschichte eine Fraktion geschlossen im Gefängnis sitzen würde. Die Ermittlungsrichterinnen betonen, dass nicht die politische Gesinnung der Neonazis, sondern die gewalttätige Umsetzung der Gesinnung die Grundlage für diesen Antrag ist. Der Partei werden zweifelsfrei alle Merkmale einer kriminellen Vereinigung zugeschrieben: eine straffe Hierarchie, eine feste Infrastruktur, eine gewisse Dauer und die Verfolgung mehrerer krimineller Ziele.
Alle Hoffnungen der Neonazipartei scheinen derweil auf dem nächsten Wahltermin im Mai 2014 zu liegen, an dem sowohl die Europaparlaments- als auch die Kommunalwahlen stattfinden. Trotz der Gewalttaten, die ihren Kadern und Mitgliedern tagtäglich nachgewiesen werden, stehen noch etwa zehn Prozent der Bevölkerung Umfragen zufolge hinter Chrysi Avgi. Der Stellvertreter der Partei, Ilias Kasidiaris, dessen Fotos mit Schießübungen und Militärtraining der Mitglieder zuletzt die Zeitungsseiten füllten, tritt als Kandidat in Athen an. Schon vor den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2010 war das Athener Zentrum Schauplatz von „Säuberungsaktionen“ von Chrysi Avgi gegen Migrant_innen gewesen. Damals konnten die Neonazis zum ersten Mal mit 5,29 Prozent ins Kommunalparlament einziehen und mit ihrem „Führer“, dem jetzt inhaftierten Nikos Michaloliakos, den ersten Kommunalabgeordneten aufstellen. In Stadtbezirken, in denen Chrysi Avgi die „Jagd“ auf Nichtgriechen konsequent betrieb, kam die Partei zum Teil auf über 20 Prozent. Unter Staatsrechtlern bleibt umstritten, ob eine Partei, deren Fraktion geschlossen hinter Gittern sitzt, an den Wahlen teilnehmen darf. Wenn Kasidiaris noch bis Mai angeklagt werden würde, dürfte er kein öffentliches Amt besetzen, selbst wenn er gewählt werden sollte.
In ihrem 194-seitigen Bericht schlussfolgern die Ermittlungsrichterinnen, dass Chrysi Avgi sich zwar als Partei ausgebe, tatsächlich aber als kriminelle Vereinigung zu werten sei. Aus dem vorliegenden Material gehe hervor, dass zu den verschiedenen Angriffen und sonstigen Aktionen Befehle an jeweils verschiedene Empfänger der Ortsgruppen gegeben wurden. In der tatsächlichen Parteistruktur steht das Führer-, Hierarchie- und Disziplinprinzip im Vordergrund.
Offensichtlich ist auch, dass Chrysi Avgi nach außen mit einer gepflegten Heuchelei auftritt. Den Ermittlern zufolge haben sich die inhaftierten Parlamentarier von den Vorwürfen distanziert. Während Hitlergrüße oder nationalsozialistische Begriffe wie „unwertes Leben“, „Volksgemeinschaft“ und „Blut und Ehre“ den Parteialltag, Parteipublikationen und Veranstaltungen bestimmen, haben sich die inhaftierten Führungskader nunmehr selbst von ihren eigenen handgeschriebenen Texten grundsätzlich distanziert. In dieser Hinsicht lächerlich wirkt die im Dezember 2012 viel propagierte Erklärung des „Führers“ Nikos Michaloliakos: „Wir haben unsere Ideologie nie verborgen. Wir haben keinen Punkt, kein Komma gestrichen. Wir bereuen nichts“.
Diese Doppelzüngigkeit ist ein zentraler Bestandteil der Partei und zielt darauf ab, ein kleinbürgerliches Wählerpotenzial durch vermeintliche Verfassungstreue nicht zu verschrecken, andererseits die militante Kampfbereitschaft des harten Kerns durch nationalsozialistisch gesonnene Motivation hochzuhalten. So erklärte Michaloliakos noch vor einem Jahr in seinen Parteireden, dass sie sich, wenn nötig, die Hände schmutzig machen würden. Was weder die Demokraten noch die Institutionen tun, würde Chrysi Avgi übernehmen. Die nach außen in allen Äußerungen proklamierte Abscheu vor dem Parlament schien jedoch vergessen zu sein, wenn es um die Diäten ging. Die Familie von Michaloliakos hat eine weitere Abgeordnete vorzuweisen, seine Ehegattin Eleni Zaroulia. Auch den Geliebten der Tochter und Sänger der Neonazi-Band „Pogrom“, Artemis Matthaiopoulos, hat der Parteiführer ohne Umschweife als Abgeordneten aufstellen lassen.
Doch die fetten Jahre der Parteifunktionäre sind womöglich vorbei, denn seit Ende letzten Jahres wurde die Finanzierung der Partei vorübergehend eingestellt. Die Partei klagt dagegen vor dem Obersten Verwaltungsgericht und empört sich, die Löhne der Partei-Angestellten und die Mieten der Partei-Lokale könnten nicht mehr bezahlt werden. Chrysi Avgi hatte innerhalb ihrer kurzen Regierungszeit versucht, einen ähnlichen Apparat aufzubauen wie die Sozialdemokraten in den drei letzten Jahrzehnten, der sich auf Klientelismus, Vermittlung und Beziehungen stützen sollte. Mitten in der Rezession war so der Rahmen vor allem für die früheren sozialdemokratischen PASOK-Wähler um so attraktiver, die massenhaft ihre obsolete Partei verließen und zu Chrysi Avgi übertraten. Unübertrefflich für diesen Übergang bleibt die Aussage des mittlerweile ebenfalls in U-Haft sitzenden Abgeordneten aus Korinth, Eustathios Boukouras: „Zu Chrysi Avgi hat mich als ehemaligen PASOK-Wähler die altbekannte Parole von Andreas Papandreou ,Griechenland gehört den Griechen‘ angezogen”.
Die juristische Untersuchung wird wahrscheinlich weitere unangenehme Details ans Licht bringen und vielleicht eine Antwort auf die Frage geben, wer Chrysi Avgi während der letzten Jahre in ihrer gewalttätigen Zielsetzung gefördert hat. Die genaue Betrachtung von parteinahen Offshore Firmen, Geldflüssen und Kontobewegungen könnte dem sauberen Partei-Image - das sich durch öffentlichkeitswirksame Kartoffel- und Pastaverteilaktionen aufzubessern versuchte – weiteren Schaden zufügen. Die aggressive Fremdenfeindlichkeit in Wort und Tat verliert zudem offenbar an Gültigkeit, wenn es ums Geschäft geht. Der Abgeordnete Georgios Germenis mit dem Künstlernamen „Kaiadas“ gilt als Kämpfer der erster Garde bei gewalttätigen Angriffen auf Marktverkäufer mit vermeintlichem Migrationshintergrund. In seinen Bäckereien wird die unterbezahlte Beschäftigung von Migrant_innen nicht so eng gesehen. Ein ähnliches Geschäftsgebaren soll auch Michaloliakos in einem ihm gehörenden Halbtagshotel pflegen. Entgegen dem von der Partei propagandistisch verkündeten Treueprinzip gibt es inzwischen mehr und mehr Chrysi Avgi-Aussteiger, die sich um eine Kronzeugenstellung bewerben. Durch ihre Aussagen werden erschreckende Einzelheiten über die Realität der Partei bekannt. Der letzte Aussteiger G.M. gab an, gleich dreimal von Kameraden durch Stiche verletzt worden zu sein, nachdem er ihnen mitgeteilt hatte, dass er aussteigen wollte.
Durch die strafrechtliche Verfolgung der Neonazis verringert sich zwar teilweise die Alltagsangst vieler Migrant_innen, die institutionellen Rassisten tun jedoch ihr Bestes, um diese Lücke zu füllen. Ihr Janusgesicht ist nicht viel besser: Während offiziell der militante Rassismus von Chrysi Avgi im Visier der Ermittlungsbehörden steht, hat vor einem Monat das grausame Ertrinken von 12 Flüchtlingen in Farmakonisi nach der Verschleppung ihres Bootes durch die griechische Seepolizei daran erinnert, dass auch die Regierung nach der rassistischen Prämisse „das Boot ist voll“ handelt. Und vielleicht gelingt es der institutionellen Fremdenfeindlichkeit noch besser, ein vermeintlich volles Boot zu leeren … mit aller tödlichen Konsequenz.