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Instrumentalisierung eines Vorgartenkonzertes

"Rotzfrechen Asphaltkultur" (RAK) (Gastbeitrag)
Einleitung

Am 18. Mai diesen Jahres fand in Hitz­acker ein spontanes Musikkonzert auf der Straße vor dem Haus des Staatsschutzbeamten Herrn H. statt. Aktivist*innen der "Rotzfrechen Asphaltkultur" (RAK) unterstützten dabei mit Instrumenten und Gesang ihre Genoss*innen aus dem Wendland, die mit ihrer Aktion ihren Protest über die Ermittlungsmethoden des Staatsschutzbeamten H. zum Ausdruck bringen wollten.

Mit Bildern anderer Demonstrationen und Aktionen wurde in den Medien Stimmung gegen linke MusikerInnen gemacht.

Die Vorgeschichte

Olaf H. ist Polizeibeamter und Chef der Staatsschutzabteilung Lüchow-Dannenberg. In dieser Funktion ist er verantwortlich für alle Anzeigen, Ermittlungsverfahren und Vorladungen gegen Personen, die dem linken Spektrum der Region zugeordnet werden. Dabei drängte sich den Aktivist*innen in den letzten Jahren zunehmend der Eindruck auf, dass dies für ihn mehr als „nur“ seine Arbeit als Behördenmitarbeiter darstellt. Für Betroffene führt Olaf H. seinen Feldzug gegen linke Aktivist*innen im Wendland aggressiv und höchst persönlich. Beispielsweise bedrohte er eine Person damit, sie „fertig zu machen“ und versuchte, Druck auf einzelne Aktivist*innen auszuüben. Regelmäßige Kontrollfahrten vor vermeintlich einschlägigen Szene-Treffpunkten sollen demnach an der Tagesordnung seien. Die Betroffenen fühlen sich so in ihrem Privatleben eingeschränkt. Vorläufiger Höhepunkt war der völlig überzogene Polizeieinsatz im Februar 2018, bei dem eine vermummte und mit Maschinenpistolen bewaffnete Einsatzhundertschaft den Gasthof Meuchefitz stürmte, um ein mit der kurdischen Freiheitsbewegung solidarisches Banner, ein besprühtes Bettlaken, abzuhängen. Betroffene berichten: „Er taucht immer wieder bei uns auf und schränkt unsere Freiheiten durch sein Wissen über uns und die von ihm angestoßene Repression enorm ein.“ Der Besuch in Hitzacker stellte eine Reaktion darauf dar. Bunter Protest und Musik als Zeichen dafür, dass es so nicht weitergehen kann: Herr H. sollte wortwörtlich die Meinung gegeigt werden.

Die Aktion und ihre Folgen

Am Abend des 18. Mai 2018 versammelten sich etwa 60 Personen in Hitzacker, um gemeinsam zum Haus von Herrn H. zu spazieren. Auf dem öffentlichen Autowende­platz vor dem Haus fand ein Konzert mit Musik und Gesang statt. Währenddessen wurden an seiner Garage zwei Fahnen der kurdischen Freiheitsbewegung YPG und YPJ angebracht und eine weitere YPG-Fahne auf einem ca. drei Meter hohen, selbstmitgebrachten Mast gehisst. Zwei nach kurzer Zeit eintreffende Polizisten nahmen keinen wahrnehmbaren Kontakt mit der spontanen Versammlung auf. Nach der Darbietung von vier Liedern und wiederkehrenden „Hupp Hupp Hurra“-Rufen packten die Musiker*innen ihre Instrumente zusammen und alle Beteiligten machten sich auf den Rückweg.

Als sich die Gruppe langsam dem 500 Meter vom Kundgebungsort entfernten Bahnübergang näherte, rasten plötzlich mehrere Einsatzbusse der Polizei auf die Gruppe zu, aus denen vermummte Beamte der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) sprangen, die alle Personen gewaltsam zu Boden brachten. Laut Augenzeugenberichten schlugen die Polizeibeamten auf Aktivist*innen ein, traten einige brutal und fesselten sie mit Kabel­bindern. Unter den Einsatzkräften befand sich auch Olaf H., der zuvor noch beim Aktionstag in Gorleben im Dienst gewesen war. Noch in Uniform und als einziger Poli­zeibeamter unvermummt, soll er laut Betroffenenberichten auf am Boden liegende Aktivist*innen eingetreten haben. Erst zwei Stunden nachdem der Polizeikessel geschlossen wurde, wurde den Aktivist*innen der Grund für die Maßnahme mitgeteilt. Da es einige Verletzte gab, waren zwei Sani­täter der Rettungswacht vor Ort. Während der ersten zwei Stunden wurde allen der Gang zur Toilette verwehrt. In Sprechchören forderten die Festgesetzten, aufs Klo gehen zu dürfen und freigelassen zu werden. Gegen 23 Uhr wurde mit den erkennungsdienstlichen Behandlungen begonnen, die sich bis 2 Uhr morgens hinzogen.

Im Laufe der Zeit fanden sich Unterstützer*innen vor Ort ein und versuchten, die Aktivis­t*in­nen im Kessel mit Essen, Getränken und Musik zu unterstützen. Das mitgebrachte Essen wurde jedoch nicht in den Kessel durchgelassen. Vier Aktivist*innen wurden nach Lüchow in Polizeigewahrsam gebracht und teils bis zum kommenden Abend dort festgehalten. Der Rest bekam Platzverweise mit folgender Begründung: „Sie stehen im Verdacht einen Landfriedensbruch und Hausfriedensbruch auf dem Privatgrundstück des Polizeibeamten Herrn H. begangen zu haben. Zudem skandierten Sie sogar während der polizeilichen Maßnahme: ‚Hupp Hupp Hurra‘ und heroisierten damit Ihr Verhalten.“Daneben wurden mehrere Gegenstände konfisziert.

Dass H. zum Zeitpunkt der Aktion nicht persönlich zu Hause anwesend war, ist dabei zweifellos unglücklich, zumal später berichtet wurde, dass sich H.’s im Haus anwesende Familie eingeschüchtert gefühlt habe. Dass sich überhaupt jemand von einem Haufen Straßenmusiker*innen bedroht fühlen kann, spricht jedoch Bände darüber, wie sehr das Bild von „Linken“ eben auch durch die Arbeit von Olaf H. verzerrt und dämonisiert wird. Auf der Aktion selbst war von diesem angeblichen Bedrohungsszenario jedenfalls nichts zu spüren. Nachbar*innen kamen sogar mit ihren Kindern an die Gartenzäune und lauschten dem musikalischen Protest. Die Aktivist*innen bedauern, falls sich die Familie H. oder sonstige Anwohner*innen von der Aktion eingeschüchtert sahen — schließlich ging es niemals darum, den Konflikt auf dem Rücken unbeteiligter Ange­höriger auszutragen, sondern darum, auf die Übergriffe eines übermotivierten Staats­schutzbeamten zu reagieren.

Das Medienecho

Im Nachhinein haben sich noch ganz neue Themenfelder eröffnet, die mit dieser rela­tiv kleinen unspektakulären Aktion zusammenhängen — nämlich die Rolle der Polizei als politischer Player und die Rolle der Medien, die ihren eigenen Ansprüchen der Unabhängigkeit in keinster Weise gerecht geworden sind. Die Polizeiinspektion Lüneburg dramatisierte in ihrer bereits in der Nacht eilig veröffentlichten Pressemitteilung die Ereignisse und sprach von einer „neuen Dimension der Gewalt gegen Polizeibeamte“ — vermutlich auch in weiser Voraussicht, dass sich zu Pfingsten, dem Zeitpunkt der Aktion, nur wenig Pressevertreter*innen vor Ort einfinden würden, um über die Aktion und ihre Folgen zu berichten. So waren außer einem Journalisten der Elbe-Jeetzel-Zeitung (EJZ) keine weiteren Reporter*innen beim Kessel in Hitz­acker anwesend. Das hatte zur Folge, dass die Medien einfach die Informationen der Pressemitteilung der Polizei übernahmen. Einige Medien, wie zum Beispiel BILD, Welt und Focus, wurden dabei so kreativ, dass sie selbst die bereits tendenziöse Pressemitteilung weiter ausschmückten und mit Archivbildern versahen, welche ein Bild erzeugten, das in keiner Relation zu der Aktion in Hitzacker steht. Klar ist, dass auf diese Weise Stimmung gegen die linke Szene und Werbung für die geplante Verschärfung des niedersächsischen Polizeigesetzes gemacht werden sollte. Unverständlich für die Betroffenen bleibt, warum die Medien die Pressemitteilung der Polizei unhinterfragt übernahmen und die Überdramatisierung der Aktion später nicht korrigierten.

Wie könnt Ihr uns unterstützen?

Die Polizei hat 55 Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Hausfriedensbruchs und Landfriedensbruchs eingeleitet. Das heißt, dass dem überzogenen Polizeieinsatz und der Vorverurteilung durch die Medien nun noch ein juristisches Nachspiel folgen wird. Neben einer Richtigstellung und Entdramatisierung der Tatsachen auf allen möglichen Kanälen bedarf es daher in näherer Zukunft vor allem auch der finanziellen Unterstützung.

Mehr Informationen findet Ihr unter:
http://www.rak-treffen.de

Spenden an:
RAK
IBAN: DE50200411550217528900
BIC: COBADEHD055
Verwendung: Hitzfreche Ackerkultur

Die "RotzfrecheAsphaltKultur" (RAK) ist ein Zusammenschluss von linken (Straßen)musiker*innen, Theaterleuten und anderen Kleinkünstler*innen.