Generalprobe der AfD im Kulturkampf
In Sachsen-Anhalt lässt sich beobachten, wie die rechten Kulturkampf-Strategien der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ihre gesellschaftliche Wirkung entfalten.
Unruhig rutscht Dr. Hans Thomas Tillschneider, Islamwissenschaftler, Landtagsabgeordneter der AfD und einer der ideologischen Köpfe des völkischen Flügels der Partei, an einem Vormittag im Oktober 2018 auf seinem hölzernen Sitzplatz im Vorlesungssaal der Martin Luther Universität hin und her. Souverän will er wirken. Doch es läuft nicht gut für ihn und seine rund zehn Mitstreiter aus der AfD-Fraktion bei der Tagung „Autoritäre Revolte.“ Eben hat Tillschneider zu einer Verharmlosung seiner (extrem) rechten Ansichten angesetzt und sie in den Mantel der Meinungsfreiheit gekleidet. Doch die anwesenden Dozenten der Tagung lassen Tillschneider seinen Mimikry-Versuch nicht durchgehen. Klar weisen sie seine rechten Ansichten zurück und lassen alle rhetorischen Pappfiguren des Redners in sich zusammenfallen. Dieses Muster zieht sich durch die ganze Tagung. Die AfD-Landtagsabgeordneten sind gekommen, um auf der Tagung der Universität ihre Strategie der Wortergreifung umzusetzen. Doch es zeigt sich, dass die Uni für die AfD kein sicheres Terrain ist, wo sie nicht auf ein wohlwollendes oder wenigstens indifferentes Publikum zählen kann. Der Auftritt der Fraktionäre an der Uni in Halle gerät zur diskursiven Niederlage. Und das, obwohl sich Hans Thomas Tillschneider in der Öffentlichkeit gern als akademischer Bildungsbürger stilisiert.
Bauhaus ohne Sahne
Nur wenige Tage später, am 17. Oktober 2018, stellt Claudia Perren im Dessauer Stadtrat das Programm zum Jubiläum „Hundert Jahre Bauhaus“ vor. In der Sitzung spricht der AfD Stadt- und Bundestagsabgeordnete Andreas Mrozek das bevorstehende Konzert der Band „Feine Sahne Fischfilet“ an, die im Rahmen einer Aufzeichnung des ZDF im Bauhaus auftreten soll. Mrozek konfrontiert die überraschte Bauhaus-Chefin mit Textzeilen der Band, in denen von Gewalt gegen Polizisten die Rede ist. Danach nimmt der Skandal Fahrt auf: Köthener Neonazis kündigen vor dem Eingang des Bauhaus eine Kundgebung an, die AfD erhöht unter dem Schlagwort „Linksextremismus und Gewalt“ in sozialen Netzwerken den Druck auf die Öffentlichkeit, und die Bauhaus-Leitung bittet das ZDF um eine Absage des Konzerts unter Hinweis auf den Denkmalschutz der eigenen Räumlichkeiten. Zwar konnte das Konzert am Ende doch noch andernorts in Dessau stattfinden, doch die AfD hatte in diesem Fall ihre rechte Kulturkampfagenda im indirekten Zusammenspiel mit der CDU im Landtag, dem Kulturstaatsminister Robra und der vor den Neonazis und der AfD eingeknickten Leitung des Bauhaus durchgesetzt.
Was sich im überregionalen Feuilleton wie eine ostdeutsche Provinzposse las, kann die AfD als Modell ansehen, wie sie ihren Gegnern im Feld der Gesellschafts- und Kulturpolitik ihren Willen aufzuzwingen vermag. Dies ist nur möglich, wo es der Partei gelingt, konservative Resonanzräume in Parteien und Medien mit der Allzweckwaffe des Linksextremismus-Diskurses aufzuschließen, und somit zugleich linke, kulturell liberale und emanzipatorische Akteure unter Druck zu setzen, in die Defensive der Rechtfertigung zu bringen und einzuschüchtern. Eine weitgehend entpolitisierte Kulturszene befördert eine solche Entwicklung.
Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg der Kampagnen der AfD ist die Frage, wie sich die CDU in solchen Fällen verhält. Denn erst ihr Schwergewicht verschafft der AfD die Position, sie stelle zwar berechtigte gesellschaftspolitische Fragen zu Themen wie Migration, Gender und Kultur, beantwortet würden diese aber ausschließlich von der CDU. Meister des Tonfalls der „staatspolitischen Veranwortung“ ist Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), der die Abgrenzung von der AfD mit Begriffen wie „Anstand“ vornimmt, um sodann umstandslos die Extremismustheorie zu bedienen, die in der AfD auf Gegenliebe stösst, wo es um Linksextremismus geht.
Die AfD im Landtag Magdeburg: rechte Agenda und Intrigen
Die unbestreitbaren gesellschaftspolitischen Diskurserfolge der AfD in Sachsen-Anhalt lenken jedoch von der bescheidenen parlamentarischen Bilanz der Partei ab. Seit ihrem Wahlerfolg bei der Landtagswahl 2016 gibt es für die AfD in dem Bundesland zwischen Altmark und Zeitz eine Konstante: innerparteiliche Skandale. Fast im Wochentakt kommen aus Partei und Fraktion Nachrichten, die alles bestätigen, was diese bei den von ihr geschmähten Altparteien verortet: Personalquerelen und endlose Intrigen. Wie in einer Politsoap-Serie geht es um Macht, Sexismus und das Ego der fast ausschließlich männlichen Protagonisten. Partei- und fraktionsintern überzieht man sich gegenseitig mit Abwahl- und Parteiausschlussbegehren. Kalkulierte rhetorische Entgleisungen etwa der Abgeordneten André Poggenburg1 und Mario Lehmann sorgen in den Medien für Krawall und öffentliche Polarisierung. In den Ausschüssen glänzen AfD-Abgeordnete durch weitgehende Inaktivität oder rechten Whataboutism. Eine langfristige politische Strategie ist nicht erkennbar. Vielmehr bedient die Fraktion die rechten Identitätsthemen Migration und Innere Sicherheit mit rassistisch motivierten Knalleffekten und dem Ziel, Teile der CDU-Fraktion auf ihre Seite zu ziehen.
Wirkliche parlamentarische Professionalität beweist die Partei dort, wo es ihr um die Markierung des von ihr ausgemachten politischen Feindes geht. Mit der Etablierung der „Linksextremismus Enquete-Kommission“ hat die AfD einen echten Coup gelandet, als sie für deren Einsetzung die Unterstützung eines Teil der CDU einwarb. Seitdem befindet sich die Partei auf dem Kriegspfad gegen den "Linksextremismus" im Land, den sie in der Landeszentrale für politische Bildung ebenso ausgemacht haben will, wie bei Trägern der Jugendhilfe oder Kulturvereinen.
Aus dem rechten burschenschaftlichen Spektrum stammende Fraktionsmitarbeiter recherchieren akribisch vermeintliche linksextreme Verstrickungen, die die Fraktion öffentlich anprangert. Die über das Mittel der parlamentarischen Anfrage und die Presserecherche gewonnenen Informationen werden sogleich von dem „patriotischen Bürgernetzwerk“ „EinProzent“ zu Infohäppchen verarbeitet und dort als "investigative Recherche" dargestellt. Die Tonlage der dabei erarbeiteten Materialien der AfD ähnelt den Berichten eines Felix Krautkrämer in der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“: Fakten werden so interpretiert, dass sie die Existenz eines linksextremen Netzwerkes nahelegen, gegen welches die AfD allein im Interesse der Wahrheit kämpfe.
Besondere Aufmersamkeit der AfD galt in den zurückliegenden Monaten dem Verein „Miteinander“, der vor und nach der Landtagswahl Dossiers zum extrem rechten Charakter der AfD publiziert hatte. In zwei Pressekonferenzen im Herbst 2018 versuchte die AfD-Fraktion den Nachweis zu führen, dass "Miteinander" in den "Linksextremismus" verstrickt sei, und mit Fördergeldern des Landes eine unzulässige, weil das Neutralitätsgebot verletzende Kampagne gegen die AfD betreibe. Die AfD strebt an, dem Verein die Fördermittel zu entziehen und seine Gemeinnützigkeit zumindest prüfen zu lassen. Die Vorwürfe gegen den Verein und seine Mitarbeiter_innen fanden in einem Teil der regionalen Presse durchaus Widerhall, was die AfD in ihrem Vorgehen bestätigte, zivilgesellschaftliche Strukturen zu diffamieren und zu delegitimieren. So überzieht sie inzwischen andere Vereine und Verbände mit ähnlichen Vorwürfen und will so Druck erzeugen.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt hierbei die CDU, an die die politischen Initiativen der AfD in erster Linie adressiert sind. Die Botschaft ist klar: Konservative Herzensthemen seien bei der AfD gut aufgehoben oder ließen sich mit ihrer Hilfe besser durchsetzen als mit dem in der CDU ungeliebten Bündnis mit SPD und Grünen.
Die rechten Fundamente der AfD Sachsen-Anhalt
Anders als in anderen Landesverbänden steht die AfD in Sachsen-Anhalt seit ihrer Gründung fest auf (extrem) rechten Fundamenten. Bereits bei der Gründung des Landesverbandes Sachsen-Anhalt waren hier (extrem) rechte Kräfte in einer guten Startposition. Ob Luckes Abgang oder das Ende der Ära Petry: Die AfD Sachsen-Anhalt bildete mit dem Thüringer Björn Höcke so etwas wie die völkische Speerspitze. Nicht ohne Grund fanden die Treffen des „Flügel“ in allen Jahren in Sachsen-Anhalt statt. Führende Köpfe der Landespartei sind über alle Abgrenzungsbeschlüsse und rhetorischen Distanzierungen hinweg mit den Akteuren der "Identitären Bewegung" (IB) verbunden. Die AfD-Jugend „Junge Alternative“ fiel bislang jedenfalls nicht durch Distanz zu den "Identitären" auf.
Auch der Draht zum in Sachsen-Anhalt ansässigen rechten „Institut für Staatspolitik“ (IfS) ist kurz. Der eingangs erwähnte Abgeordnete Tillschneider bekannte sich öffentlich zum Institut in Schnellroda2 und nahm an einer ihrer Tagungen teil.
Kontinuierlich bemüht sich die AfD in Sachsen-Anhalt um das Image der bürgernahen Bewegungspartei. Ob auf dem Marktplatz in Köthen oder im Landtag, die AfD rührt die Trommel der Anti-Establisment-Ressentiments. Zwar hat die ursprünglich 25 Personen umfassende Fraktion durch Austritte und Rückzüge einige Federn gelassen. Doch für die politische Zukunft der Partei ist nicht der parlamentarische Alltag, sondern ihre gesellschaftliche Kampagnenfähigkeit entscheidend.
- 1Nachtrag AIB: Im Januar 2019 plante der AfD-Bundesvorstand Poggenburg für zwei Jahre von allen Parteiämtern auszuschließen. Kurz darauf trat dieser aus der AfD aus und gründete die Partei "Aufbruch deutscher Patrioten" (AdP).
- 2Vgl. Die Rede des Vorsitzenden der "Patriotischen Plattform" und Mitglied des Landtags Sachsen-Anhalt Dr. Hans-Thomas Tillschneider anlässlich des 2. Kyffhäusertreffens des Flügels am 4. Juni 2016. www.youtube.com/watch?v=pUbR5uc9zXk von "Der Flügel", 10.06.2016.