§129-Razzien gegen Neonazis und Hooligans in Cottbus
Hooligans, Neonazis, AfD, „Identitäre“, „Zukunft Heimat“ und „Ein Prozent“: Ein rechtes Bündnis hat Pläne für die Lausitzstadt Cottbus. Mitten hinein in die Umsetzung platzt ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Früher Mittwochmorgen, 10. April 2019. Ein Großaufgebot der Polizei ist im Einsatz und durchsucht insgesamt 33 Objekte. Die meisten liegen im brandenburgischen Cottbus, aber es sind auch Wohnungen und Ladengeschäfte in Frankfurt (Oder), Kolkwitz, Hennigsdorf (Brandenburg), Berlin, Görlitz (Sachsen) und Kühlungsborn (Mecklenburg-Vorpommern) betroffen. Durch die Durchsuchungen wird bekannt, dass die Polizei seit geraumer Zeit gegen 20 Hooligans und Neonazis aus Cottbus wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) ermittelt.
Nach den Razzien habe sich ein dringender Tatverdacht bei 16 Personen ergeben, wird später mitgeteilt. Fünf Personen, zwischen 28 und 35 Jahren alt, wären als Führungspersonen identifiziert worden. Der mutmaßlichen kriminellen Vereinigung werden von der Polizei neun Straftaten direkt zugeordnet. Als Beifang seien 39 zusätzliche Straftaten ermittelt worden, die außerhalb des „129er“ liegen. Zu den Delikten, die Gegenstand der Ermittlungen sind, gehören Körperverletzungen, Verstöße gegen das Waffengesetz, Sachbeschädigungen, Steuerhinterziehung und das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen. Haftbefehle gibt es keine.
Verortet ist die Gruppe im Neonazismus, aber gleichzeitig geht es auch um herkömmliche organisierte Kriminalität. Aus dem Umkreis der Durchsuchten wurde schon vor Jahren die Marktführerschaft in der Halbwelt der Stadt von den „Hells Angels“ gewaltsam übernommen. Die Geschäftsfelder reichen vom Handel mit Szenekleidung, dem Betrieb von Tattoo-Studios sowie Wachschutz- und Türsteherdiensten bis zum Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln und dem Bereich der Veranstaltungsorganisation.
Die Beschuldigten gehören zum Kern und zum unmittelbaren Umfeld der Cottbuser Neonazi-Hooliganformation „Inferno“. Die 1999 gegründete Gruppe hatte sich 2017 in Erwartung von Repressionsmaßnahmen zum Schein selbst aufgelöst, danach tatsächlich aber munter weitergemacht und ihre Macht im und rund um das Stadion von Energie Cottbus eher noch ausgebaut. Inwiefern die Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Erfolg führen werden, ist nicht auszumachen. Die geringe Verurteilungsquote des Ausforschungsparagrafen 129 ist wohlbekannt. Nichtsdestotrotz hat das polizeiliche Vorgehen relevante Details zu der aktuellen Gemengelage in Cottbus zu Tage gebracht.
Den Anlass für die Ermittlungen gab ein Vorfall bei einer Demonstration des rassistischen Vereins „Zukunft Heimat“ in Cottbus im Januar 2018. „Inferno“-Mitglieder hatten mehrere Journalist*innen bedrängt und attackiert. Offenbar wurden in der Folge Pläne geschmiedet, eine ganze Reihe weiterer Journalist*innen aus der Region, die zum Thema Rechtsextremismus berichten, auszuspähen und zu verprügeln. Auf einem Handy, das im Zuge der beginnenden Ermittlungen beschlagnahmt wurde, waren entsprechende Chatverläufe gespeichert. 25 der Neonazis hatten eine Messenger-App mit dem Namen „Schnelle Eingreiftruppe“ gebildet. Zweck: „bei Stress mit Kanaken abrechnen und Zecken schlagen“.
Das Milieu ist in Cottbus über Jahre gewachsen und kann auf eine Tradition der Vermischung von Subkultur, Kampfsport, Hooliganismus, Business und Neonazismus aufbauen. Durchsucht wurde unter anderem das Modegeschäft „Blickfang“, das in der Mühlenstraße unter anderem Kleidung der Marke „Label 23“ verkauft (vgl. AIB Nr. 96: »Leben heißt Kampf« - Die Cottbuser Marke »Label 23«). Betreiber des Ladens ist laut Facebook-Impressum Markus Walzuck, ehemaliger deutscher Kickboxmeister, lange Zeit wegen einer Messerattacke auf ein "Hells-Angels"-Mitglied inhaftiert. Es war nicht Walzucks erste Hausdurchsuchung – schon im Zuge des Verbots des Neonazinetzwerks „Spreelichter“ im Jahr 2012 stand er im Fokus der Ermittlungen (vgl. AIB Nr. 92: "Vorbildlicher Volkstod. Das Neonazi-Netzwerk »Spreelichter«").
Die Messengergruppe der Prügeleinheit „Schnelle Eingreiftruppe“ wurde derweil von Markus Wisheit verwaltet. Der Student, Jahrgang 1989, ist in der Stadt seit Jahren als Hooligan bekannt. In den vergangenen zwei Jahren trat er als ein Gesicht der Cottbuser Ortsgruppe der „Identitären Bewegung“ in Erscheinung. Wie woanders auch: Zwischen militanter Neonaziszene und den „Identitären“ sind die Wege sehr kurz.
Keine hundert Meter vom jetzt durchsuchten „Blickfang“-Laden liegt, ebenfalls in der Mühlenstraße, ein weiteres Ladengeschäft. Dort haben im Juni 2018 die Landesgruppe der AfD Brandenburg im Bundestag und die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag, Birgit Bessin, ein „Bürgerbüro“ eröffnet. Am gleichen Tag und an der gleichen Adresse eröffnete auch die „Mühle“, ein „Bürgertreffpunkt“ von „Zukunft Heimat“. Im „Wohnzimmer der Bürgerbewegung“ fanden seitdem zahlreiche Diskussionsabende mit rechtsradikalen ReferentInnen statt. Mehrmals war Götz Kubitschek zu Gast. Beim Herausputzen des Ladens vor der Eröffnung half die Cottbuser Szene eifrig mit. „Zukunft Heimat“, Partnerorganisation von „PEGIDA“, wird von der extrem rechten Vernetzungsagentur „Ein Prozent“ unterstützt und ist für eine Vielzahl von großen rassistischen Demonstrationen in Cottbus verantwortlich (vgl. AIB Nr. 118: "Musterstadt Cottbus"). Die sich selbst „Heimatverein“ nennende Gruppe fungiert faktisch und zunehmend offen als AfD-Vorfeldorganisation und ruft zur Wahl der Partei auf.
Der „Zukunft Heimat“ Ko-Vorsitzende Christoph Berndt kandidiert auf Listenplatz 2 für die AfD bei den Brandenburger Landtagswahlen im September. Schon in der Gründungsphase von „Zukunft Heimat“ ab 2015 – damals noch nicht in Cottbus, sondern im Spreewald aktiv – kooperierte der Verein aufs Engste mit der AfD. Immer wieder wurden auch Verbindungen zu den ehemaligen „Spreelichter“-Neonazis ruchbar. Auch aktuell kursieren lokal Gerüchte über direkte Verbindungen zwischen „Zukunft Heimat“ und dem Kreis der durchsuchten Neonazis.
In Cottbus haben die politischen Interventionen von „Zukunft Heimat“ spürbar Ergebnisse gezeitigt. Die Zusammenarbeit mit der AfD wurde zeitweise geleugnet, wird inzwischen aber als „Brandenburger Kooperationsmodell“ von allen Beteiligten gelobt. Die Demonstrationen haben zu einem flüchtlingsfeindlichen Klima in der Stadt beigetragen. Inferno-Hooligans und andere Neonazis nehmen teil, „Identitäre“ sind in die Infrastruktur eingebunden, die AfD stellt Redner*innen. Mit der „Mühle“ ist ein fester Anlaufpunkt eröffnet worden, der die Aufbauarbeit verstetigt. Straßengewalt ist die Begleitmusik zu diesen Verquickungen. Seit Jahren hat Cottbus kontinuierlich die höchsten Zahlen von rechten, vor allem rassistischen Gewalttaten im Bundesland.
So hat die AfD Cottbus und Umgebung zu einer Hochburg ausgebaut. Bei den Kommunalwahlen 2014 holte die AfD 7,2 Prozent – überschaubar, wenn auch für die damals noch junge AfD bereits überdurchschnittlich. Bei den Bundestagswahlen 2017 gewann die AfD im Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße mit satten 26,8 Prozent die meisten Zweitstimmen aller Parteien. Ein Direktmandat wurde nur knapp verfehlt. Bei den Kommunalwahlen Ende Mai traten mit Marianne Spring-Räumschüssel, Ingo Scharmacher und Monique Buder gleich mehrere Personen an, die bei „Zukunft Heimat“-Demonstrationen Redebeiträge gehalten hatten. Der AfD-Kandidat Andy Schöngarth hatte wiederum schon 2015 Reichsbürger-beeinflusste Antiflüchtlingsdemonstrationen organisiert. Resultat war ein neuer Wahlerfolg: 22,3 Prozent der Stimmen, mit Abstand das beste Ergebnis aller Parteien. Von drei Stadtverordneten ist die Cottbuser AfD-Fraktion nun auf elf angewachsen. Im ländlich geprägten Landkreis Spree-Neiße, der die Stadt Cottbus umschließt, errang die AfD sogar 26,5 Prozent der Stimmen und 13 Kreistagsmandate.
Welche mittelfristigen Auswirkungen das Wahlergebnis und die polizeilichen Ermittlungen auf die rechte Allianz vor Ort und in der Folge auf das Klima in der Stadt haben werden, bleibt abzuwarten. Dass das rechte Wachstums auch Grenzen haben könnte, ist immerhin erahnbar. Die Beteiligung an den „Zukunft Heimat“-Aufmärschen geht beispielsweise allmählich zurück. Zuletzt kamen noch um die 500 Personen – ein deutliches Minus gegenüber den Hochzeiten Anfang 2018.
Die Cottbuser Neonazis sind nicht bloße Anhängsel des Bündnisses aus „Zukunft Heimat“, AfD und „Identitären“ – sie sind integraler Bestandteil. Die AfD, die sich sonst als kompromisslose Law-&-Order-Partei inszeniert, wirft sich folgerichtig für die Durchsuchten in die Bresche. „Unzählige Wohnungen von Fußballfans“ seien den Razzien zum Opfer gefallen, kritisierte die Landtagsfraktion. Der Einsatz gegen „angebliche Rechtsextreme“ sei eine Instrumentalisierung der Polizei, die so von der Landesregierung davon abgehalten werde, gegen „kriminelle Ausländer“ vorzugehen.