Großbritannien: Die rechte Terrorgefahr steigt
Matthew Collins, HOPE not HateObwohl Verhaftungen und Strafverfolgungen in Großbritannien originäre Aufgaben der Polizei darstellen, wurde die Überwachung der zunehmend komplexer werdenden rechtsterroristischen Gefahr dieses Jahr an den Inlandsgeheimdienst MI5 übertragen. In einem Zeitungsartikel vom März 2019 äußerten sich führende BeamtInnen von MI5 und Scotland Yard sehr besorgt über die wachsende Gefahr, die von verschiedenen gewaltbereiten Spektren ausgeht, einschließlich der extremen Rechten. Die Kompetenzübertragung könnte die bisherigen ernstzunehmenden Unzulänglichkeiten der staatlichen Bekämpfung rechten Terrors ein Stück weit beheben. In den vergangenen Jahren unterschätzten Sicherheitsbehörden und Politik die Gefahr rechten Terrors vollkommen. Die Unfähigkeit, das Wesen und die Mechanismen rechten Terrors zu erkennen und zu verstehen, war allzu offensichtlich und immer wieder zeigten sich offizielle „ExpertInnen“ insbesondere vor Gericht als völlig unkompetent und uninformiert.
Die britische Rechte ist aktuell breit aufgestellt und gewinnt zunehmend neue AnhängerInnen. Zu ihr gehören etablierte Konservative, Islamfeinde und Donald-Trump-Supporter, eher randständige antikommunistische Verschwörungstheoretiker, sogenannte Counter-Jihadists und natürlich die klassische Neonazi-Szene. Mitunter ist es schwer zu erkennen, wo die ideologische Grenze zwischen der aktuellen Regierung, ihren UnterstützerInnen und der extremen Rechten verläuft.
Dazu kommt ein politisch-medialer Diskurs, in dem die extreme Rechte entweder als Ansammlung harmloser Spinner beschrieben wird oder als Haufen vereinzelter weißer Männer, die zu ihrer Erholung ab und an mal die Sau rauslassen müssten. Extrem rechte Ideen und Vorstellungen haben sich jedoch spätestens seit Beginn der Brexit-Diskussion massiv in der britischen Gesellschaft verbreitet und sind teilweise zu einem mehrheitsfähigen Narrativ geworden.
Rechte Terroranschläge gab es in Großbritannien bisher nur wenige. Ungeachtet des Fanatismus und des paramilitärischen Auftretens von Gruppen wie „Combat 18“, „Britain First“ und „British Movement“ war „National Action“ (NA) die erste Gruppierung überhaupt seit dem Zweiten Weltkrieg, die vom Staat 2016 als terroristisch eingestuft und verboten wurde. Das Verbot erfolgte, nachdem NA den rechts-motivierten Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox am Abend des Brexit-Referendums gefeiert hatte.
Thomas Mair, dem Mörder von Jo Cox, konnten vereinzelt Verbindungen zur nationalen und internationalen rechten Szene nachgewiesen werden, die teilweise bis in die 1990er Jahre zurückreichen. In den Jahren vor dem Mord an Jo Cox gab es immer wieder amateurhafte Anschlagsversuche von rechten Gruppen und Einzeltätern. Es war jedoch seit langer Zeit der erste extrem rechte Mord, der als terroristischer Akt bewertet wurde.
Vergleichbare Taten liegen weit zurück, etwa 1999, als der Neonazi David Copeland innerhalb weniger Tage an verschiedenen Orten in London Nagelbomben deponierte, die sich vor allem gegen Schwarze, MigrantInnen aus Bangladesch und Schwule richteten. Durch die Explosionen wurden 139 Menschen zum Teil schwer verletzt, drei Menschen wurden getötet. Copeland war früher Mitglied der „British National Party“ (BNP) und lose mit „Combat 18“ verbunden.
Der Anstieg der Terrorgefahr von rechts fällt zusammen mit den großen Wahlverlusten der BNP 2010 und dem daraus resultierenden Kollaps der Partei. Die BNP existiert zwar noch, sie ist jedoch irrelevant geworden und tritt kaum noch zu Wahlen an. Es waren frühere Mitglieder und Unterstützer der BNP, die 2013 die neonazistische "National Action" gründeten. Die Gruppe machte vor allem durch ihr äußerst provokantes und uniformiertes Auftreten von sich Reden. Dem Verbot dieser konspirativ vorgehenden Gruppe waren Ermittlungen gegen einen ihrer Anhänger, Zack Davies, vorangegangen. Dieser hatte 2015 in Wales aus rassistischen Motiven mit einer Machete auf einen Asiaten eingeschlagen und diesen schwer verletzt. Inspiriert war Davis von den Hinrichtungsmethoden des terroristischen „Islamischen Staat“ (IS), weshalb der Angriff in der neonazistischen Szene als „White Jihad Act“ gepriesen wurde.
Urheber der „White Jihad“-Ideologie ist jedoch die US-amerikanische Terrorgruppe „Atomwaffen Division“ (AWD), deren Anführer sich 2015 mit Mitglieder der NA trafen. Unter britischen Neonazis finden sich viele Anhänger der „White Jihad“-Ideologie. 2017 veröffentlichte die antifaschistische Aktionsgruppe „HOPE not hate“ (HNH) eine Reihe von Artikeln, die über die Weiterführung von NA und ihre andauernde Rekrutierungsarbeit berichteten und verschiedene bisher unbekannte Mitglieder namentlich benannten. Durch die Offenlegung der Strukturen wurde deutlich, dass die Gruppe seit ihrer Gründung 2013 zum ersten mal durch einen Informanten kompromittiert war. Die Regierung reagierte mit weiteren Verboten, HNH konnte jedoch immer wieder Beweise für die Fortführung von NA unter neuer Führung darlegen.
Im Juni 2017 fuhr der unorganisierte Neonazi Darren Osborne in Nord-London mit seinem Van in eine Gruppe von gläubigen Muslimen. Er tötete eine Person. Osborne hatte sich innerhalb kürzester Zeit radikalisiert. Ausgangspunkt seiner Radikalisierung war eine TV-Dokumentation über eine Gruppe muslimischer Männer, die dutzende Kinder psychisch und sexuell missbraucht hatte. Nach nur drei Wochen Onlinerecherche zum Thema war er bereit, muslimische Männer und den Vorsitzenden der Labour-Partei zu ermorden.
Trotz wachsender Sorge in der Bevölkerung, die extreme Rechte würde sich zunehmend auf terroristische Angriffe vorbereiten, fokussierte sich die mediale Aufmerksamkeit nach Osbornes Tat auf den Inhalt britischer Social-Media-Plattformen, auf denen sich der Täter radikalisiert hatte, statt auf existierende Neonazistrukturen wie NA zu schauen. Ende Juni 2019 versicherte das britische Innenministerium, dass NA nicht mehr existieren würde und sämtliche Aktivitäten eingestellt wurden.
Drei Tage darauf berichtete jedoch ein von HNH geführter Überläufer innerhalb der NA, dass er auf einem Führungstreffen zugegen war, auf dem der Entschluss zu einem weiteren Mord an einer weiblichen Parlamentsabgeordneten gefallen sei. Der Angriff sollte ein Racheakt zum einen für das Verbot der Gruppierung durch die britische Regierung, zum anderen für eine polizeiliche Ermittlung gegen ein Mitglied der NA wegen Kindesmissbrauchs sein. Der Mord sollte außerdem gegenüber der Öffentlichkeit als Akt der „White Jihad“-Strategie dargestellt werden und nur wenige Tage nach dem Geheimtreffen stattfinden. Wenig später konnte HNH außerdem beweisen, dass die Gruppierung noch nach ihrem Verbot ein neues Hauptquartier und ein Fitnessstudio in der Nähe von Liverpool eröffnet hatte.
Nach dem Verbot schrumpfte die Gruppe von etwa 200 Mitgliedern auf einen harten Kern von etwa 60 gut trainierten Mitgliedern, die sich erfolgreich den Blicken der Sicherheitsbehörden zu entziehen wussten. Bekannt wurde außerdem, dass es beinahe zu Morden innerhalb der Gruppe kam, weil einzelne Mitglieder verdächtigt wurden, für HNH zu spionieren. Darüber hinaus konnte HNH Tendenzen zu satanistischen Ritualen und eine ausgeprägte „Rape Culture“ belegen. Dies wurde insbesondere in internen Chats deutlich, in denen sich die Mitglieder in hunderten Nachrichten über ihr Bedürfnis austauschten, die Mutter eines HNH-Angestellten zu vergewaltigen.
Nachdem die Antiterroreinheit der Polizei durch die Recherchen von HNH vorgeführt wurde, präsentierte sie eigene Recherchen, wonach sich noch ungefähr 20 Personen an der Weiterführung der Terrorgruppe beteiligten. Insgesamt zwölf Mitglieder wurden schließlich zu Haftstrafen zwischen acht Jahren und lebenslänglich verurteilt. Jack Renshaw, der den Mord an der Parlamentsabgeordneten ausführen sollte, erhielt zwanzig Jahre Haft für den Anschlagsplan und weitere vier Jahre für den Missbrauch von minderjährigen Jungen.
Auch wenn NA inzwischen nicht mehr existiert, so sind die Führungskader weiter aktiv. Auch die krude Ideologie des „White Jihad“ als Mischung aus Neonazismus, Satanismus und „Rape Culture“ verbreitet sich weiterhin. Demnächst werden erneut vier Mitglieder der NA für ihre Taten vor Gericht stehen. Weitere werden folgen, das ist gewiss.