AFA – Working class & physical confrontation. Militanter Antifaschismus in Britannien
Als Reaktion auf einen Artikel im AIB Nr. 49 über die Neonazi-Szene und antifaschistischen Widerstand in England erhielten wir den nachfolgenden Artikel: In der letzten Ausgabe des AIB war ein Beitrag zu Faschisten und antifaschistischem Widerstand in Großbritannien zu lesen, der hier eine Ergänzung finden soll. Weniger was die Faschisten in Britannien angeht, aber um so mehr zum militanten Antifaschismus, der in dem Beitrag kaum Erwähnung findet. Militanten Antifaschismus gibt es sehr wohl in Britannien und seine jüngere Geschichte reicht zurück zur Anti-Nazi League der späten 70er Jahre bis hin zur Anti-Fascist Action (AFA) heute. Die Geschichte und die Politik von Anti-Fascist Action enden nicht in den 80ern, sondern AFA steht nach wie vor für organisierten militanten Antifaschismus in Britannien. Und im Gegensatz zum militanten Antifaschismus in Deutschland verfolgt AFA eine politische Strategie.
Folgen wir zuerst dem Beitrag »Neonazi-Szene und antifaschistischer Widerstand in Großbritannien – Zwischen Niedergang und Krise« (AIB # 49). Darin endet die Geschichte von Anti-Fascist Action Ende der 80er Jahre aufgrund einer Spaltung in drei verschiedene Regionalgruppen, die heute nur wenig Kontakt zueinander haben. Das ist falsch. 1979 kamen die sogenannten »Tories«, die Konservative Partei, an die Regierung. Schon im Wahlkampf hatten sie rassistische Positionen übernommen und damit der NF große Einbußen beigebracht. Die antifaschistische Propaganda und die großen Massendemonstrationen der ANL allein hätten nicht gereicht, um die National Front (NF) Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre zurück zu drängen. Die Anti-Fascist Squads, der»militante Arm« der ANL, steuerten den nötigen physischen Widerstand bei. Und wenn in Britannien von »militantem Antifaschismus« die Rede ist, ist »physical confrontation« gemeint: die direkte Prügelei, und nicht etwa das Werfen von Gegenständen oder das Abfeuern von Signalmunition. Eine Geschichte von direkten Aktionen kleiner Gruppen gegen faschistische Zentren, Logistik etc. gibt es Britannien nicht. Vielleicht waren die Faschisten der NF am Anfang der 80er Jahre geschlagen, aber die Idee des Faschismus noch lange nicht. Aus einigen »squads« wurden unabhängige Gruppen, die nach wie vor die Auseinandersetzung mit den Faschisten auf der Straße suchten. Viele Mitglieder der »squads« waren ganz normale, aber politisierte Arbeiter – im wesentlichen Männer und deshalb bewusst kein großes »i«. Den faschistischen Banden konnteentgegengetreten werden und sie konnten geschlagen werden – und die »squadists« waren aufgrund ihrer Sozialisation in der Lage, Sympathie und Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit den Faschisten aus der Arbeiterklasse heraus zu gewinnen.
1985–1989 – Die frühen Jahre von Anti-Fascist Action
Die erste Aktivität der Organisation Anti-Fascist Action fand im November 1985 statt, als AFA den Versammlungsplatz für die »Remembrance Day Parade« besetzte, der traditionellen »Parade« derFaschisten in London am Gedenktag für den britischen Imperialismus. Die faschistischen Ordner waren nicht in der Lage, AFA zu vertreiben. Angesichts der »Remembrance-Day«-Aufmärsche der nächsten Jahre zeigten sich die Unterschiede innerhalb von Anti-Fascist Action. Die Organisation wurde zu dieser Zeit von politisch sehr unterschiedlichen Gruppen gebildet. Die Spannweite reichte von militanten AntifaschistInnen mit einem »Klassenstandpunkt«, die gesehen hatten, welche Wirkung die »physische Konfrontation« auf die Faschisten hatte, über AnarchistInnen und SozialistInnen mit unterschiedlichen Hintergründen, bis zu »gemäßigten« Gruppen, die auf die Regierung »Druck ausüben« wollten, um ihre Ziele zu erreichen. 1989 kam es anlässlich des »Remembrance Day« zu einer entscheidenden Spaltung. Die »Gemäßigten« riefen zu einer antifaschistischen Demonstration auf, während die »Militanten« wieder den Versammlungsort der Faschisten besetzten und einen großen Teil der Umgebung »kontrollierten«.
Während die »Gemäßigten« zu Protesten gegen faschistische Gewalt aufriefen und forderten, dass der Staat sich dem Problem des wieder anwachsenden (Neo-)Faschismus stellen sollte, entwickelten die Militanten eine Strategie, die die Möglichkeiten der Faschisten grundsätzlich einschränken sollte. Die Militanten wollten eine bestimmte Anhängerschaft der Faschisten herausfordern: die Anhängerschaft, in der die Faschisten den größten Erfolg bei der Rekrutierung hatten – der weißen Arbeiterklasse. Die militante Strategie zielte weniger auf die Opfer der Faschisten, vielmehr auf die potentiellen Mitglieder faschistischer Organisationen. Um die sich widersprechenden Strategien in klare Worte zu fassen: Die eine Seite stand für einen deutlichen Klassenstandpunkt und die direkte Herausforderung der Faschisten, die andere Seite für eine Strategie, die mit jedem zusammenarbeiten wollte, der sich irgendwie gegen die Faschisten äußerte, inklusive der sozialdemokratischen Labour Party.
Anti-Fascist Action Anfang der 90er
Heute sagt AFA, dass es auf die Dauer nicht möglich war, eine effektive antifaschistische Organisation zu haben, die in sich widersprechende Strategien vereinen will. Deshalb kam es 1989, nach dem Zerfall der breiten Struktur von AFA in London, zu einer Neugründung durch die Militanten. Diese war zunächst auf London und Manchester beschränkt. Es gab aber auch AFA- Gruppen, die mit unterschiedlichen Vorstellungen lokal arbeiten konnten, ohne diese grundsätzliche Auseinandersetzung zu führen. Die Neugründung erweiterte die ursprüngliche Grundsatzerklärung von Anti-Fascist Action um den zusätzlichen Punkt, daß AFA nicht die Faschisten bekämpft, um den gesellschaftlichen Status Quo zu erhalten, sondern den Kampf von einer Position aus der Arbeiterklasse heraus führt. 1990 startete die British National Party (BNP) ihre »Rights for Whites«-Kampagne. Beginnend im Londoner East End, nachdem ein weißer Junge angeblich von Asiaten erstochen worden war, verbreitete sie sich schnell im ganzen Land.
Die BNP konzentrierte sich in ihrer Propaganda auf die schlechten sozialen Bedingungen, mit der eine vom Establishment fallengelassene weiße Arbeiterklasse täglich zu kämpfen hatte. Diese Kampagne wurde stark von regionalen oder stadtteilbezogenen Konflikten bestimmt. Die Linke antwortete darauf mit den üblichen Demonstrationen und Veranstaltungen und AFA griff so viele öffentliche Auftritte der Faschisten wie möglich an. Angebote zur Bündnispolitik wurden von den »traditionellen Linken« meist zurückgewiesen. Der Hauptvorwurf, dem sich AFA gegenübersah, war der des »linken Hooliganismus«. Vermeintlich auf sich allein gestellt organisierte die AFA London 1991 eine breitangelegte Kampagne im East End. Zehntausende Flugblätter wurden verteilt, eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Jugendgangs, mit Schulen und kommunalen Einrichtungen kam in Gang, faschistische Zeitungsverkäufer an den Straßenecken wurden unter Druck gesetzt, die BNP verlor diverse lokale Pubs als Treffpunkte und im November 1991 zog eine von AFA organisierte Demonstration mit 4.000 TeilnehmerInnen durch den eigentlich von der BNP dominierten Stadtteil Bethnal Green. Junge weiße »Eastenders« waren erstaunt über »die Roten«, die ein bisschen mehr auf die Beine stellten als nur haufenweise Plakate an die Wänden zu kleben und langweilige Vorträge zu halten. 1992 wurde AFA auf nationaler Ebene neugegründet. Die physischen Auseinandersetzungen mit den Faschisten erreichten gleichzeitig im ganzen Land einen neuenHöhepunkt. Im September 1992 sollte im Raum London ein großes Konzert von Blood & Honour mit um die tausend erwarteten »Gästen« stattfinden. Dazu wurden organisierte Faschisten und Nazi-Skinheads aus ganz Europa erwartet. Der Schleusungspunkt der Faschisten, der Bahnhof Waterloo Station, war bekannt und AFA konnte hunderte AktivistInnen und andere Militante zur Zerschlagung dieses Treffpunktes mobilisieren. Den Faschisten wurde keine Chance gelassen, sich in irgendeiner Form zu sammeln.
Filling the vacuum – den Freiraum füllen!
Anti-Fascist Action hatte sich als militante antifaschistische Kraft einen Namen gemacht - und als Organisation mit klar definierter Mitgliedschaft. Es gab TrotzkistInnen, StalinistInnen, AnarchistInnen und SozialistInnen im weitesten Sinne. Was sie einte, war der antifaschistische Kampf im Sinne einer Einheitsfront aus der Arbeiterklasse. Die Faschisten wurden als die größten Feinde der Klasse begriffen, die zu schlagen waren. Weitergehende politische Themen, die über»working dass« und »physical confrontation« hinausgingen, klammerte AFA bewußt aus, und tut es heute noch – um die Existenz und Effektivität der Organisation Anti-Fascist Action an sich nicht zu gefährden. Dahinter steckte der Gedanke, angesichts der faschistischen Bedrohung die notwendige Einheit auf der Straße aufrechtzuerhalten, um die Möglichkeiten offen zu halten, die wirklich wichtigen Kämpfe für die Interessen der Arbeiterklasse führen zu können.
AFA spricht von einem Freiraum, einem Vakuum, das auszufüllen ist. Als 1993 die BNP in Tower Hamlets, einem Bezirk in Ost-London, einen Sitz im Rat gewinnen konnte, hatte sich verdeutlicht, dass niemand da war, der diesen Freiraum ausfüllen konnte. Von »Labour« fühlten sich die Menschen verraten, die »Tories« waren disqualifiziert, und die einzige ansprechbare Alternative, die sich vermeintlich der Sorgen der »einfachen Leute« annahm, stellte die BNP. Sechs Monate später gab es eine Neuwahl, bei der die »gemäßigten« AntifaschistInnen zur Wahl der Labour Party aufriefen, um die Etablierung der Faschisten in kommunalen Verwaltungseinrichtungen zu stoppen. Sie hatten insofern Erfolg, dass die BNP ihren Sitz wieder verlor. Aber gleichzeitig hatte sich die reale Anzahl der BNP- WählerInnen um 30% erhöht. Der anhaltende Wahlerfolg führte zu einem radikalen Wechsel in der Politik der BNP. Im April 1994 veröffentlichte sie eine Erklärung, nach der es keine Aufmärsche und keine Schlägereien mehr geben würde. Die BNP würde sich fortan an einer »euro-nationalistischen« Strategie orientieren und nahm sich dazu den französischen Front National zum Vorbild. Politisch stellt sich AFA dieser Entwicklung durch eine Position, die sie »Filling the vacuum« nennt. Diese Position zeigt die Grenzen dessen auf, »nur AntifaschistIn« zu sein und nicht »für« etwas anderes. AFA vertritt die Position, dass es angesichts der Abwesenheit der »konservativen Linken« im Alltag der Arbeiterklasse an der Zeit ist, dieses Vakuum auszufüllen. Der Kampf auf den Straßen ist abgelöst worden durch einen Kampf um die Köpfe. Die Alternative wäre es, den Faschisten das Feld zu überlassen.