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Die Situation der LGBTI in der Ukraine

Einleitung

In der Ukraine wurde Homosexualität erst 1991 endgültig legalisiert und im Jahr 2015 verabschiedete das Parlament in Kiew auf Druck der Europäischen Union erstmals ein Antidiskriminierungsgesetz für Schwule und Lesben. Die „Europarats-­Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ (ECRI) berichtete 2017 in einem Bericht über Übergriffe gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, Vorurteile gegen diese seien in der Bevölkerung noch weit verbreitet. So glaubten 2013 noch zwei Drittel der Bevölkerung, Homo­se­xu­alität sei eine „Perversion“. LGBTI1 -­feindliche Übergriffe waren und sind eine Konsequenz daraus. Das LGBTI-Menschenrechts­zentrum „Nash Mir“ hat unter dem Titel „Alte Probleme, neue Perspektiven“ einen Bericht zur Situation in der Ukraine im Jahr 2019 vorgelegt. Die Entwicklung der letzten Jahre kann man z.B. auf queer.de verfolgen.

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Bild: Screenshot YouTube/RadioLiberty

Bereits im Mai 2017 störten Neonazis und rechte Hooligans die Demonstra­tionen zum Internationalen Tag gegen Homo-und Transphobie in Charkiw.

Gewalt gegen LGBTI

Im September 2019 fand der CSD „Kharkiv Pride“ mit rund 2.000 Menschen in Charkiw statt, obwohl der Bürgermeister die Kundgebung verbieten wollte. Rund 500 Ultra-Nationalisten, rechte Hooligans und einzelne orthodoxe Priester hatten sich zu einem „Marsch für traditionelle Werte“ als Gegenveranstaltung versammelt. Nach dem CSD wurden mehrere Personen von Mitgliedern der Neonazi-Gruppe „Freikorps“ angegriffen und verletzt. Einige Tage zuvor hatten Neonazis eine LGBTI-Veranstaltung belagert und Anwesende mit Farbe beworfen. Im April 2019 wurden Teilnehmerinnen einer „Europäischen Lesben-­Konferenz“ in Kiew in ihrem Hotel angegriffen. Im November 2018 verletzten nationalistische Schläger nach dem „Trans*Marsch 2018“ in Kiew zwei Frauen und einen kanadischen Journalisten. Im Juli 2018 stürmten in Charkiw mehrere Personen das Büro der LGBTI-Organisation „PrideHub“. Die mit Gasmasken vermummten Angreifer zerstörten Teile der Einrichtung, warfen eine Rauchbombe und versprühten Gas, die zehn LGBTI-Aktivist*innen vor Ort mussten fliehen. Im April 2017 störten Anhänger des „Rechten Sektors“ in Kiew die „Bemalung des Bogens der ukrainisch-russischen Völkerfreundschaft“. Anlass für die Verkleidung in Regenbogenfarben war der „Eurovision Song Contest“, der unter dem Motto „Celebrate Diversity“ stand.

Staatliche Diskriminierung

Viele LGBTI-Aktivist*innen haben kein Vertrauen in lokale Behörden. Der Stadtrat der Großstadt Riwne hat im Dezember 2019 fast einstimmig ein Verbot einer queeren Kundgebung beschlossen. Für den Antrag der nationalistischen „Swoboda“ stimmten 36 von 42 Abgeordneten. In der Beschluss­vorlage wurde gefordert, die „Bewerbung aller Arten abweichenden sexuellen Verhaltens“ an Plätzen zu verbieten, an denen Familien ihre Freizeit verbringen. Die CSD-­Ankündigung kam von einem Fake-Facebook-Profil, das schon früher erfundene Meldungen zu Homosexuellen in die Welt gesetzt hatte, um die Stimmung gegen LGBTI anzuheizen.

Die LGBTI-Organisation „Insight“ warf im November 2018 der Poli­zei von Kiew vor, eine Kundgebung anlässlich des „International Transgender Day of Remembrance“ unzureichend geschützt und rechtswidrig abgebrochen zu haben. In Czernowitz konnte im Mai 2018 eine LGBTI-Veranstaltung nicht stattfinden, die bereits im Vorfeld öffentlich von rechten Gruppen bedroht wurde. Organisator*innen kritisierten unzureichende Schutzmaßnahmen der Polizei auch beim „Festival der Gleichberechtigung“: Die Türen des Veranstaltungsortes waren sabotiert worden und rechte und religiöse Störer konnten sich in der Umgebung versammeln. Polizisten ließen sogar drei Priester in den Festival-Raum, welche beteten und die Teilnehmenden aufforderten, die Veranstaltung und die Stadt zu verlassen, weil sonst die Stadt „explodieren“ könnte. Nach einer Bombendrohung und einer Rauchbombe erzwang die Polizei eine „Evakuierung“ der LGBTI-Veranstaltung. Ein Bezirksgericht in Odessa verurteilte im Februar 2018 einen rechten Aktivisten für einen Anschlag auf einen queeren Club der Stadt zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren. Dieser hatte im Juli 2015 gemeinsam mit einem Mittäter eine Granate in den Eingangsbereich des Clubs „Libertin“ geworfen. Ein Security-Mitarbeiter wurde dabei verletzt. Der Täter hatte vor dem Club die Parole „Familienwerte zuerst – Rechter Sektor“ angebracht. Auch warf er eine Granate in ein weiteres Gebäude, das zuvor einen queeren Club beherbergt hatte. Extrem rechte und nationalistische Gruppierungen setzen ihre Politik der aggressiven Intoleranz unbeirrt fort und versuchen alle LGBTI-Aktivitäten aktiv zu verhindern.

Wandel?

Auf staatspolitischer Ebene gab es im Okt­o­ber 2019 ein pressewirksames Signal gegen LGBTI-Feindlichkeit. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj widersprach bei einer Pressekonferenz dem homo­phoben Kommentar eines Zwischenrufers mit den Worten: „Über LGBT: Ich will nichts Negatives sagen, weil wir alle in einer offenen Gesellschaft leben, in der es egal ist, welche Sprache man spricht, welchen ethnischen Hintergrund und welche sexuelle Orientierung man hat. Lasst diese Leute um Gottes Willen in Frieden leben.“ Die führenden politischen Kräfte versuchten sich 2019 von LGBTI-Themen eher fern zu halten.

Im Jahr 2019 wählten die Ukrainer einen neuen Präsidenten und damit eine neue Regierung. Die Politik, insbesondere im Bereich der LGBTI-Fragen, hat sich dadurch jedoch nicht grundlegend geändert. Zwar sind die neu gewählten Abgeordneten weniger anfällig für die Annahme von homophoben Initiativen, sie haben aber auch keine aktive Rolle bei der Förderung der Gleichberechtigung. Erstmals wurde ein Unterstützer der ukrainischen LGBTI-Bewegung Berater für Außenpolitik und das Gesundheitsministerium und machte sich öffentlich für den Schutz der Rechte von LGBTI-Menschen und gegen homo-/transphobe Vorurteile stark.

Eine offizielle Delegation nahm als erste ukrainische Regierungsinstitution erstmals an dem „Equality March“ 2019 in Kiew teil. Im Herbst 2019 verhinderten Kirchen und religiöse Organisationen die Verabschiedung eines Gesetzentwurfes zum Schutz vor Diskriminierung, der auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Da die ukrainischen Behörden mehrheitlich Anhänger religiöser und konservativer Kräfte sind, wurde den Forderungen der Kirchen und religiösen Organisationen bereitwillig nachgekommen. Dabei enthielt der Gesetzentwurf keine grundlegenden Änderungen der Antidiskriminierungsgesetzgebung der Ukraine. Die ukrainischen Kirchen haben ihre homophobe Haltung nicht geändert. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019 brachten jedoch eine neue Generation an die Macht - jünger, moderner und weniger religiös. Die wichtigsten Kirchen-­Lobbyisten haben ihre mächtige Position verloren. Trotz ermutigender Signale sind bisher keine wirklichen Entscheidungen zum Thema Gleichberechtigung von LGBTI getroffen worden.

Deren Hauptgegner sind nach wie vor nationalistische Gruppen, Kirchen und religiöse Organisationen, die sich dem „Schutz der traditionellen Familie“ verschreiben. Im Mai 2019 versuchte etwa der Stadtrat von Czernowitz ein Gleichstellungsfestival zu verbieten. Anatolij Tsche­sanow, Mitglied der Fraktion „Ridne Misto“ („Heimatstadt“), erklärte, sein Vorschlag verletze zwar Menschenrechte, aber „die Gesellschaft ist nicht bereit dafür“. Im Dezember 2019 wurde ein ähnlicher Beschluss vom Stadtrat von Riwne auf Initiative von Swoboda eingebracht. Im September versprach der Bürgermeister von Charkiw einen „Gleichheitsmarsch“ gerichtlich verbieten zu lassen. Erst nach einer Beschwerde hat das Bildungsministerium den Unterrichtskurs „Grundlagen der Familie“ vorläufig suspendiert, das Lehrbuch enthielt religiöse, sexistische, diskriminierende und unwissenschaftliche Erklärungen.

Anders als in den vergangenen Jahren hat der „Rat der Kirchen und religiösen Organisationen“ in diesem Jahr nicht bei der Regierung beantragt, den Gleichstellungsmarsch in Kiew zu verbieten. Die Vatikan-Mission in der Ukraine hatte die katholischen Gemeinden zuvor aufgefordert, sich nicht mehr an solchen Initiativen zu beteiligen. Ukrainische Kirchen und religiöse Organisationen waren dennoch weiterhin aktiv an zahlreichen Märschen und Festivals „zum Schutz der traditionellen Familie“ beteiligt, die in vielen Städten durch die homophobe Initiative „Alle zusammen!“ unter der Leitung des Journalisten und religiösen Aktivisten Ruslan Kukharchuk durchgeführt wurden.

Die bestehende Strafgesetzgebung ist für eine korrekte Einstufung von Hassverbrechen gegen LGBTI völlig ungeeignet, denn andere Motive als die der „Rasse“, der ethnischen Herkunft oder des religiösen Glaubens gibt es dort nicht. Der Bericht von „Nasch Mir“ zählt zwei durch Hass auf LGBTI-Personen motivierte Morde im Jahr 2019 auf, in 27 Fällen wurden Verstöße gegen das Verbot der Diskriminierung durch Strafverfolgungsbehörden gemeldet. Viele Opfer wenden sich aus Angst der Offenlegung ihrer sexuellen Orientierung erst gar nicht an die Polizei. Vor allem in kleineren Städten und Dörfern wird vermehrt über Erpressungsfälle berichtet, in denen Männer als auf der Partnersuche getarnt Informationen über das Privat­leben und intime Fotos schwuler Männer sammeln, um diese damit zu erpressen. Die Dunkelziffer dürfte daher wesentlich höher sein.