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„Feminism On Ear“: Der blinde Fleck linker Männer

Interview mit Kathrin und Franzsika von „feminism on ear" (https: feminismonear.productions)
Einleitung

Trotz anti-sexistischer Bekenntnisse werden Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern tagtäglich reproduziert – auch in der Linken. Nur weil männliches Rollenverhalten und Alltags-Sexismus im linkspolitischen Kontext passiert, büßt es jedoch noch lange keine Wirkmächtigkeit ein. In ihrem vierteiligen Podcast „Feminism On Ear“ sprachen sie darüber mit linken Männern* und Wissenschaftlern.
 

AIB: Ihr habt unter dem Label "Feminism On Ear" verschiedene Podcasts zum Thema Männlichkeit in der Linken gestaltet. Was waren eure Beweggründe dafür?

Wir leben und arbeiten seit vielen Jahren in verschiedenen linken Projekten und Strukturen. Als FLINT Personen mit Diskriminierung und Sexismus konfrontiert zu werden, ist natürlich nichts Ungewöhnliches. Mit einem Selbstverständnis von „wir stehen auf derselben Seite der Barrikade“ waren wir dennoch lange davon überzeugt, dass Sexismus als solcher zumindest erkannt und benannt werden kann - insbesondere von linken Männern. Weit gefehlt. So wuchs langsam die Erkenntnis darüber, dass linke Männer nicht nur allzu oft Täter schützen und sich mit ihnen solidarisieren, sondern selbst – mal subtiler, mal offener – zu Tätern werden, die sexistisches Verhalten und patriarchale Machtverhältnisse innerhalb linker Strukturen, Freund*innenschaften und Beziehungen reproduzieren.

Fakt ist: Das Ansprechen, Einfordern, Aufarbeiten liegt dabei keineswegs im Interesse derer, die von diesen Dynamiken profitieren – sondern bei jenen, die von ihnen betroffen sind. Fakt ist auch: Jedes antifaschistische Projekt, in dem männliche Dominanz – ob bewusst oder unbewusst – anderen, v.a. FLINT Personen, Raum nimmt, reproduziert nicht nur genau jene Machtverhältnisse, die wir bekämpfen wollen, sondern minimiert unsere Effektivität, Schlagkraft, unseren Zusammenhalt – steht sich letztlich selbst im Weg. Jede Zusammenarbeit in der sich Männlichkeit nur am eigenen Anspruch und Tempo orientiert, wird niemals eine solidarische sein können. Jede Aktion und Diskussion, in der aufgrund männlicher Dominanz andere weniger ernst genommen werden, verliert wertvollen Input. Revolutionärer antifaschistischer Anspruch geht anders.

AIB: Was waren die zentralen Fragen und was nehmt ihr aus den Antworten mit?

In den Fragen ging es zunächst allgemein um Männlichkeit, Privilegien und die eigenen inneren Barrikaden und Widerstände. Dann sehr konkret um die Rolle des Vaters für die eigene Identifikation und wiederum das daraus erwachsene Rollenverhalten in den eigenen (Liebes-) Beziehungen, die Notwendigkeit der Aufarbeitung der eigenen Biographie und schließlich die Widersprüche, durch die sich männliche Dominanz in antifaschistischen Strukturen verstrickt. Rückblickend gab es für uns wenig inhaltliche Aussagen, die uns völlig überraschten. Vielmehr war es die Tatsache, einige dieser Aussagen von Männern selbst so auf den Punkt gebracht zu hören, erfrischend ehrlich und schonungslos. Trotzdem: Ein offensichtlicher Aspekt ist der, dass es wieder einmal FLINT Personen sind, die sich die Mühe machen Männern ihre eigene Aufarbeitung und Auseinandersetzung in Form eines Radio Features auf einem Silbertablett hinterher zu tragen. Wir stellen also wiederholt fest: Allein das Erkennen und die theoretisch kritische Aufarbeitung von Männlichkeit bedeuten noch lange nicht, dass diese umgehend verinnerlicht, Sozialisation überwunden und im Alltag umgesetzt werden. Vielmehr bestünde eine nachhaltige Änderung binärer und machtreproduzierender Verhaltensweisen in einem gesellschaftspolitischen Prozess. Angestoßen werden kann der allerdings nur durch die aufrichtige Auseinandersetzung mit verinnerlichten Strukturen und der Bereitschaft sich kontinuierlich zu reflektieren.

Wir sind uns sehr wohl darüber bewusst, dass es in der linken Szene mehr und mehr en vogue ist, sich als kritisch männlich zu positionieren und darzustellen. Dem feministischen Druck eben nachzugeben, auch um sich Lob abzuholen – denn wer auf Feministinnen steht, möchte auch von ihnen bewundert werden. Deshalb müssen wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass unser Feature dafür nicht nur eine öffentliche Bühne bietet, sondern auch die Möglichkeit, Anerkennung einzustreichen, die genau jene Selbstdarstellung und -wahrnehmung stärkt, die Männlichkeit ausmacht. Wir finden es schwierig und ambivalent, einen zufriedenstellenden Umgang damit zu finden, der darüber hinaus geht, Transparenz über dieses Dilemma zu schaffen. Denn, dass die kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit und damit verbundenen Herrschaftsverhältnissen zum Thema gemacht und in den öffentlichen Diskurs gerückt werden muss – auch aus männlicher Perspektive – finden wir richtig und wichtig.

AIB: Warum ist es so schwierig, Männlichkeit zu reflektieren?

Es schmerzt, sich der eigenen Privilegien immer wieder bewusst zu werden, Kritik oder auch Widersprüche auszuhalten, um eigene Einstellungs- oder Verhaltensmuster zu hinterfragen oder zu verändern. Und am Ende nicht einmal belohnt zu werden– jedenfalls nicht auf die herkömmliche Art, Anerkennung einzustreichen. Männlichkeit, männliches Identifizieren ist von Geltung abhängig und insbesondere linke Männlichkeit zusätzlich vom Integer-Sein, sich moralisch auf der richtigen Seite wähnen. Mit Kritik umzugehen – insbesondere durch marginalisierte Menschengruppen – ist auch nicht unbedingt eine Stärke von privilegierten Gruppen. Die doppelte Crux ist aber, sich selbst als moralisch integererachtende Persönlichkeit der Kritik an der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu stellen. Um ein Tabu handelt es sich bei Weitem nicht – eine Nicht-Artikulation von Sexismus in der antifaschistischen Linken durch linke Männer dient dem eigenen Schutz und ist bequem.

AIB: Können patriarchale Einstellungsmuster korrigiert werden?

Natürlich sind früh vorgelebte Männlichkeiten insbesondere durch geliebte Menschen sehr prägend. Sich von frühen Erfahrungen zu trennen ist unmöglich, stellen sie doch eine Art Fundament des eigenen Ich dar. Dennoch ist es der Anspruch einer sogenannten antifaschistischen Linken, zu erkennen, wie man / Mann positioniert wurde. Diese Positionierung kann immerhin auch günstig genutzt werden, da letztendlich der Anspruch, eigene Einstellungsmuster zu erkennen und zu korrigieren auch zu wahrhaftigeren Forderungen führen kann (wie die Belohnung, die es dann eben doch gibt für die Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien). Es gibt wirklich gute Literatur z.B. von Silvia Federici über die Unterjochung von Körpern auch im Hinblick auf die Analysekategorie Geschlecht. Wenn also insbesondere sich als antifaschistisch verstehende Männer erkennen würden, dass Männlichkeit oder männliche Identität nur über eine Abwertung von Anderen funktioniert und ihr Antifaschismus nicht in einer bloßen Auseinandersetzung mit Neonazis oder als Szeneattitüde verstanden werden soll, kommen sie um die Aufarbeitung ihrer Sozialisation nicht herum. Antifaschismus selbst ist davon abhängig, als solcher erkannt zu werden – und das ja eben nicht nur von Neonazis –, sondern von denjenigen, die von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homofeindlichkeit und eben allem, was Faschismus ausmacht, betroffen sind. Patriarchale Einstellungsmuster können also natürlich korrigiert werden – es macht nur eben keinen Spaß.

AIB: Womit werden sich die folgenden Teile beschäftigen?

Wir schauen nochmal genauer hin, wie das mit der Macht funktioniert; was genau macht Männlichkeit aus? Dabei geht es um die grundlegende Notwendigkeit von Autonomie und Souveränität, die damit verbundene Abgrenzung von Weiblichkeit und was an männerbündischen Strukturen so verlockend erscheint, dass sie auch in der Linken zum Alltag gehören. Natürlich haben wir nochmal nachgehakt, wie das mit den Gefühlen, Beziehungen und Freund*innenschaften ist. Welche Dynamiken dort nur allzu oft von eben jener Männlichkeit dominiert werden, die von vielen Männern als „so bin ich nun mal und so muss frau mich akzeptieren“ abgetan werden und sich damit jeder aufrichtigen Aufarbeitung mit ihrer reproduzierten Machtausübung widersetzen. Es geht um Emotionen, und um die Fähigkeit, diese überhaupt wahrnehmen geschweige denn artikulieren zu können – und wie Machtausübung durch Nicht-Kommunikation stattfindet.

Im letzten Teil wollen wir wissen: Hinter welchen alltäglichen Verhaltensweisen sich Männlichkeit außerdem versteckt. Davon ausgehend, dass Männlichkeit nach außen wirken muss, hinterfragen wir den Stellenwert von Arbeit, ob ehrenamtlich, aktivistisch oder Lohnarbeit. Ist es Zufall, dass der Großteil von Workaholics männlich ist? Und wenn wir schon dabei sind: Was haben Alkohol und Drogen damit zu tun? Wir schauen nach innen um den Blick auf das große Ganze nach außen zu verstehen – wir machen das Private politisch. Letztlich suchen wir Auswege und die Flucht nach vorne, denn antifaschistische Politik und patriarchales Rollenverhalten stehen im grundlegenden Widerspruch zueinander. Wenn linke Männer ihrem revolutionär-emanzipatorischen Anspruch gerecht werden wollen, wie können sie es schaffen, sich nicht weiterhin reflexartig von jenen Männern abzugrenzen, die der Feminismus meint? Sondern stattdessen ihre Scham überwinden und Verantwortung übernehmen: für ihre Rolle und für den kollektiven pro-feministischen Kampf gegen das patriarchale System. Nicht zuletzt fänden wir gut, die Webseite als Basis für feministische Hörstücke anzubieten – also letztendlich eine Art digitale feministische Audio Bibliothek zu erstellen.

AIB: Vielen Dank für das Interview!