Skip to main content

Exkurs Sprache: „Kanake“ / „Kanakisch“

Murat Güngör und Hannes Loh
Einleitung

Das Verhältnis zwischen Einwanderern und Einheimischen lässt sich vielleicht am besten daran ablesen, wie die Gastgesellschaft auf die Versuche von Migranten reagiert sich der neuen Sprache zu bemächtigen. Es scheint, als sei die Sprache von Beginn an ein Schlachtfeld gewesen, auf dem sich migrantische Selbstbehauptung gegen rassistische Zuschreibungen stemmte. Diese sprachliche Flexibilität und Raffinesse werden im Kontext der HipHop-Kultur fortgesetzt und verfeinert bis zu dem Punkt, da sich das Verhältnis umkehrt und die deutschen Jugendlichen den Sprachspielen migrantischer Rap-Stars hinterherlaufen.

Foto: flickr.com; Marco Maas; CC BY-NC 2.0

Comedy-Duo Mundstuhl: Im Lachen über den „kanakischen“ Trottel vergewissert sich das Publikum seiner deutschen Identität und seines sozialen Vorsprungs.

Zwischen 1955 und 2017 lassen sich grob vier Phasen unterscheiden: 

Gastarbeiterdeutsch

Während der ersten Phase der Arbeitsmigration in den Jahren zwischen 1955 und 1973 gab es von staatlicher Seite weder Überlegungen zur Integration noch zur Ansiedlung der neuen, vermeintlich nur temporären Arbeitskräfte. Das gebrochene Deutsch, dass sich die erste Generation trotz dieser Umstände aneignete, wurde schnell zum Gespött der Einheimischen und der Türkenwitz machte die Runde. Doch die Gäste wehrten sich. Noch bevor Metin Türkoz und Yusuf in ihren Songs den Gastarbeiterslang als parodistische Waffe einsetzten, machte man sich in den Familien über die Deutschen lustig, die nur Kraut und Kartoffeln kannten und sich auch sonst seltsam verhielten: „Winters wie Sommers saß man in der Gastronomie in dunklen eichenvertäfelten Wirtshöhlen, schaute grimmig drein und aß schwer Verdauliches.“1 Doch schon in den 1970er und 1980er Jahren machen sich „Gastarbeiter“ der ersten Generation daran, die Deutungshoheit über ihren Slang zurück zu erobern. Cem Karaca fügte 1984 dem rassistischen Schimpfwort „Kanake“ die erste Wunde zu.

Kanak-Sprak

Wie zuvor Helmut Schmidt wollte sich nach 1982 auch Bundeskanzler Helmut Kohl nicht der Tatsache stellen, dass die Bundesrepublik zu einem Einwanderungsland geworden war. Maßnahmen wie Sprachförderung, Unterstützung migrantischer Unternehmensbildung, Schaffung gleicher Chancen auf gute Jobs und Bildung, Kampf gegen Diskriminierung im Alltag wurden aufgeschoben. So wurden aus den „Gastarbeitern“ und ihren Kindern „Ausländer“.

Auf der anderen Seite formierte sich in den 1980er Jahren ein breites Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften und alternativen Bewegungen und leistete Widerstand gegen die „geistig-moralische Wende“ unter Helmut Kohl. Viele dieser Menschen machten sich auch gegen Rassismus stark und setzen den Ausländerfeinden die Utopie eines multikulturellen Miteinanders entgegen. In gewisser Weise reproduzierte sich jedoch im Multikulturalismus die konservative Prämisse der Differenz zwischen Deutschen und Migranten: Das Engagement der multikulturellen Aktivisten wirkt rückblickend oft paternalistisch, weil sie den „guten Ausländer“ auf der Agenda hatten und die (bereichernden) Unterschiede zwischen den Kulturen betonten.

Erst als der Traum einer „Bunten Republik Deutschland“2 in den Flammen von Rostock, Solingen und Mölln verkohlte, änderte sich der Ton. Mit Kanak Attak betritt eine politisch-kulturelle Bewegung die Bühne, die sich jeder Identitätszuweisung verweigert: „Kanak Attak ist keine Freundin des Mültikültüralizm,“ heißt es im Manifest von 1998, „Wir verschwenden nicht unsere Power an ein folkloristisches Modell. (...) Kanak Attak ist eine Frage der Haltung und nicht der Herkunft.

Kanak Attak politisierte auch einige Aktivisten der HipHop-Generation; ihr Ziel, den „HipHop-Mainstream durcheinander zu bringen3 , wurde jedoch nicht erreicht. Die Kids auf der Straße orientierten sich nicht an den dekonstruktiven Strategien von Kanak Attak. Im Gegenteil: Die Generation Gangsta-Rap wollte vom Bordstein zur Skyline und wählte damit einen Weg, vor dem das Netzwerk in seinem Manifest ausdrücklich gewarnt hatte: „die Figur des jungen, zornigen Migranten, der sich von ganz unten nach oben auf die Sonnenseite der deutschen Gesellschaft boxt.“4

Comedy Kanak-Sprak

Ende der 1990er Jahre ziehen sich einige deutsche Comedians eine „kanakische“ Maske über und sprechen jenen übertriebenen Ausländerslang, der sich auch auf den Pausenhöfen deutscher Gymnasien großer Beliebtheit erfreut. „Dieses Konstrukt nimmt zwar einige typische Merkmale der Sprache der jugendlichen Migranten auf, unterscheidet sich aber gerade durch zusätzliche, besonders ‚fremd’ wirkende Merkmale von der Realität.“5

Der Ministrel-„Kanake“ bei Matze Knoop, Erkan und Stefan oder bei Mundstuhl zeichnet sich durch eine selbstbewusst zur Schau getragene geistige Beschränktheit aus und lebt in einem sozial prekärem Umfeld. Im Lachen über den „kanakischen“ Trottel vergewissert sich das Publikum seiner deutschen Identität und seines sozialen Vorsprungs. Und im lustvollen Nachahmen des „kanakischen“ Pseudoslangs erinnert man sich an die wichtigste Grenze, die die „Kanaken“ auf der Seite der gesellschaftlichen Verlierer hält: Die Sprache.

Erst mit Kaya Yanar und dann mit der 2005 gegründeten Rebell Comedy Show von Babak Ghassim und Usama Elyas erobert eine junge Generation die Bühnen zurück, die in ihrem Programm Selbst- und Fremdklischees auf die Schippe nimmt und gesellschaftliche Stereotype entlang einer biographisch-historischen Achse dekonstruiert.

Gangsta-Slang und Kiezdeutsch

Mit dem Erfolg des Independent Rap-Labels Aggro-Berlin macht sich Gangsta­-Rap in Deutschland seit der Jahrtausendwende auf den Weg, den Mainstream aufzumischen. Die Protagonisten dieses neuen Genres sprechen eine Sprache, die den Jugendlichen in den „sozialen Brennpunkten“ vertraut ist. Die meisten Fans sind aber deutsche Jugendliche aus bürgerlichen Haushalten, die sich bemühen, Slang und Haltung ihrer Vorbilder in ihren Habitus einfließen zu lassen. Damit drehen sich die Verhältnisse um: Alle wollen plötzlich reden wie die Gangsta-Rapper in den Videos.

Mit dem Gangsta-Slang schaffen die Rapper ihrerseits eine Kunstsprache, die aus unterschiedlichen sprachlichen Quellen schöpft: (Hoch-)Deutsch, Türkisch, Englisch, Kanak-Slang, Kiezsprache etc. Thomas Ernst stellt in diesem Kontext fest: „Zwar können die meisten ‚Angehörigen der zweiten Migrantengeneration’ noch immer nicht ihre minoritäre Position innerhalb der Gesellschaft verlassen, allerdings haben sie – teilweise – eine größere sprachliche Auswahl als die Jugendlichen der ‚deutschen Mehrheitsgesellschaft’“.6

Ab 2010 verstärkt sich dies noch, denn eine neue Generation von Straßen-Rappern verdichtet den Gangsta-Slang zu einem hoch artifiziellen Sprachmix, der immer mehr Straßen-Vokabeln aufgreift und in Nominal-Kaskaden verarbeitet. Dabei bleibt manchmal unklar, ob die Rapper selbst neue Worte erfinden und diese dann durch die Fans in Umlauf gebracht werden, oder ob sie Trends aus dem Kiez aufgreifen und mit ihren Songs landesweit populär machen.

Rapper wie Azad, Xatar, Haftbefehl, Celo und Abdi, Veysel, Kurdo oder KC Rebell haben eine Fülle neuer Worte wie „Para“, „Baba“, „Chabo“ „Cho“, „Xalas“, „Amcas“ usw. in Umlauf gebracht, die dem Türkischen, Kurdischen, Arabischen oder Romanes entlehnt sind. 2011 veröffentlicht Eko Fresh den Song „Türkenslang/Straßendeutsch“, in dem er genüsslich die neu eroberte semantische Dominanz auskostet und seinen deutschen Fans die In-Worte erklärt. Und nur ein Jahr später legen die Frankfurter Rapper Celo und Abdi mit dem Song „Hinterhofjargon“ nach, auf dem sie weitere Straßenvokabeln „für Hans und Franz“ erklären. Verschiedene Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass der Sozio-Ethnolekt der migrantischen Jugendlichen mittlerweile die wichtigste Quelle für das Kiezdeutsch der Großstädte ist.7

Und wie steht es um den Begriff „Kanake“?

Hier zeigt sich ein ambivalentes Ergebnis: Zum einen haben die migrantischen Gangsta-Rapper den Rassisten ihr Lieblings-Schmähwort vollends entrissen und es als stolze Eigenbezeichnung übernommen. Zum anderen haben sie das Wort wieder fest an ethno-soziale Zuschreibungen gebunden. Der „Kanake“ ist der kriminelle Schwarzkopf aus dem gefährlichen Viertel, vor dem man sich in Acht nehmen sollte – das versichern einem Xatar in „Überall Kanacken“, Summer Cem in „Kanakk“, Nazar in „Kanax“, SAW (KC Rebell und PA Sports) in „Kanacken ABC“ und Coup (Haftbefehl und Xatar) in ihrem 2016 erschienenen Track „Kanack“. Doch werden hier nicht Stereotype so brutal überzeichnet und unverhohlen als persönliche Identität ausgestellt, dass die Mehrheitsgesellschaft mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert wird?

Fest steht, dass der Begriff „Kanake“ von den Gangsta-Rappern immer wieder als semantischer Ort aufgesucht wird, um das Verständnis von Selbst- und Fremdwahrnehmung künstlerisch zu verhandeln.

  • 1Murat Kayi: „Der Türke in der Mülltonne.“
  • 21989 erschien das Studioalbum „Bunte Republik Deutschland“ von Udo Lindenberg
  • 3Murat Güngör in: 35 Jahre HipHop in Deutschland. S. 388
  • 4Kanak Attak Manifest. Zitiert nach Loh 35 Jahre HipHop. S. 386
  • 5Thomas Ernst. Literatur und Subversion. S. 312
  • 6Thomas Ernst: Literatur und Subversion. S. 331
  • 7Mohamed Amjahid: Potenzial des Ethnolekts. Kiezdeutsch ist mehr als „Isch geh’ Aldi.“ Berliner Tagesspiegel (13.08.2014) und Hatice Deniz Canoglu: Kanak Sprak versus Kiezdeutsch – Sprachverfall oder sprachlicher Spezialfall. Berlin 2012