"Hetzjagd in Hamburg" - ein Drama in fünf Akten
Vom klassischen Regeldrama im Theater ist der Weg zum Empörungsdrama rund um die G20-Proteste in Hamburg offenbar nicht weit. Im Mittelpunkt hier: Eine rechte „pressure group“, die linke Journalist_innen in den Fokus nimmt, haltungsschwache Medien und Ermittlungsbehörden, die als Handlanger agieren.
Exposition
Hamburg im Sommer 2017, die antikapitalistischen „Gipfelproteste“ gehen durch die Medien und auf dem Blog „Deus ex Machina“ der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) erscheint am 8. Juli 2017 ein Beitrag von Reiner Meyer („Don Alphonso“) über „Linksextremismus, seine Helfer und ihre Ausreden“. In Kurzfassung lautet die These: Heiko Maas (SPD) fördere Terrorverharmlosung bei der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Deus ex Machina“ benannte in der antiken Tragödie das überraschende Eingreifen einer Gottheit in einen tragischen menschlichen Konflikt - heute bezeichnet man damit die mangelnde Fähigkeit von Autor_innen, eine Handlung mit kontinuierlich logischen Zusammenhängen zu schaffen, was am Ende eine solche unerwartete Lösung nötig macht. Ob Meyer sich hier als eingreifende Gottheit oder schlechten Autor sieht, ist nicht bekannt. Im Sommer 2017 war er offenbar ziemlich aufgeregt: „Während ich das hier schreibe, kommen im Internet Aussagen von Linksextremisten mit und ohne Presseausweis, die bejubeln, dass in Hamburg die staatliche Ordnung zusammengebrochen ist“. Dass sich bereits unter den ersten der 647 „Lesermeinungen“ ein_e Leser_in mit dem Synonym „Gewalt ist eine Lösung“ mehr „Gegengewalt“ wünscht, ist offenbar Teil der Empörungsinszenierung. Adressat_innen seines „shitstorms“ sind freie Fotograf_innen und Journalist_innen, die über den G20-Gipfel berichten. Einige werden namentlich hervorgehoben und ihre Arbeitgeber_innen und vermeintliche Geldgeber_innen unter Druck gesetzt. Konkret behauptete Meyer in der FAZ-Printausgabe im Untertitel eines Artikels „in einem Blog der ,Zeit‘, den das Justizministerium mitbezahlt“, werde Terror verharmlost: Später stellte die FAZ richtig: „Dies ist unzutreffend.“ Auch die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN), die mit den freien Journalist_innen zusammengearbeitet hatte, gerät so unter Druck.
Komplikation
Eine internationale virtuelle rechte Armee bombardiert etwa zeitgleich einen der genannten Journalisten via Twitter und Facebook mit Nachrichten, ein anderer Journalist outet ihn. Anlass dafür waren (teils rechte) MedienaktivistInnen aus dem Umfeld der rassistischen „Identitären Bewegung“ und der US-Rechten, die auf einer der Anti-G20-Demos von Antifaschist_innen vertrieben wurden. In der Demonstration fiel die Gruppe bestehend aus Lauren Southern, Max Bachmann, Luke Rudkowsky und Tim Pool auf, denn eine Person trug ein Shirt der extrem rechten „Identitären Bewegung“. Ein Foto der Szenerie wurde von dem Journalisten auf Twitter veröffentlicht. Für die Fotografierten und ihre AnhängerInnen war die Veröffentlichung des Fotos - und nicht die extrem rechte Botschaft des T-Shirts - der Grund ihres schnellen Abgangs.
Neonazistische Internetseiten wie „unzensuriert“ schrieben die Story landauf und landab fort. Einer der Hauptprotagonisten wird hierbei das rechte Online-Magazin „journalistenwatch“. Unter dem Titel „SAntifa marschiert“ berichtet es, ausländische Journalisten wären „aus der Stadt gejagt“ worden bzw. hätten „aus Deutschland fliehen“ müssen. Der Ex-Stern-Redakteur Dirk Maxeiner zieht auf dem Blog „achgut“ nach, titelt „ZEIT-Journalist eröffnet Antifa-Menschenjagd“ und verkündet: „Die Fratze des hässlichen Deutschen ist wieder da“. Damit niemand durcheinanderkommt und sich fragt, wer damit gemeint ist, stellt er klar: „Schämen muss sich allen voran Sören Kohlhuber“ und weiter: „Der Denunziant von ZEIT ONLINE ist ein Fall für den Staatsanwalt“. Am Abend desselben Tages weiß er bereits freudig in einem Nachtrag zu berichten, „Zeit Online“ habe verlauten lassen: „Wir werden daher mit beiden Autoren in Zukunft nicht mehr zusammenarbeiten“. Fehlt noch die PNN. Am 10. Juli plädiert die CDU-Brandenburg (Saskia Ludwig, MdB) in einer Pressemitteilung „dringend an den Verlag, die journalistische Ausrichtung der PNN intern zu prüfen“. Drei Tage später freut sich die Neonazipartei „Der III. Weg“ in einem Anti-Antifa-Porträt die PNN seien mittlerweile „nachgezogen“.
Das reicht aber offenbar noch nicht aus. Ende August beklagt Alexander Wendt im Wochenmagazin „FOCUS“ die „Kampf- und Nebelrhetorik“ von Politikern und Medien, deren Worte würden „über mehr Durchschlagskraft verfügen als die Steine und Stahlkugeln des Schwarzen Blocks“ - namentlich nennt er wiederum den Fotografen Kohlhuber.
Peripetie1
Wie die FAZ (und später „Die Welt“) mit dem Wutbürger-Blog „Deus ex Machina“ bietet auch „Die Zeit“ eigene Blogs an. Einer ist der Weblog „Störungsmelder“, bei dem freie Autor_innen über Neonazis berichten können. Zwei ihrer Fachautor_innen fehlen nun - es sind die von der extremen Rechten angefeindeten Journalist_innen aus Berlin und Wien. Diese seien keineswegs Mitarbeiter von „Die Zeit“ oder „Zeit Online“ gewesen, wird nun betont. Das Bundesjustizministerium hatte bereits dementiert, den „Störungsmelder“ zu finanzieren.
Obwohl hier gegen jede Unschuldsvermutung auch Fotos, Namen, Wohnanschrift und Morddrohungen zu dem freien Journalisten aus Berlin publiziert wurden, blieb die Unterstützung leise. Die Folge war ein erzwungener Wohnortwechsel. Eine - auch in Teilen kritische - Solidarität kam aus antifaschistischen Zusammenhängen und privat auch von Redakteur_innen sogenannter „seriöser Medien“, die zwar beistehen wollten, aber aus Angst, mit in den Abgrund gezogen zu werden, nicht öffentlich.
Nach einer Strafanzeige von Rechten beim Generalbundesanwalt ist auch ein Jahr später ein Ermittlungsverfahren in Hamburg zu dem Fall noch nicht abgeschlossen. Die polizeiliche Sonderkommission „Schwarzer Block“ wollte im Rahmen ihrer Ermittlungen einen Haftbefehl gegen den Journalisten erwirken, scheiterte aber am Landgericht.
Nicht fehlen dürfen bei einem solchen Ermittlungseifer die sächsischen Polizeibehörden. In eigener Sache berichtet Kohlhuber auf seinem Account, ein Neonazi aus Wurzen habe ihn nach einer Fotoveröffentlichung wegen Bedrohung angezeigt. Das sächsische „Polizeilichen Terror- und Extremismus-Abwehrzentrum“ (PTAZ) - vormals Operative Abwehrzentrum (OAZ) - observierte daher, nach Hinweis des Neonazis, eine Lesung des Buchautors im Mai 2018 im linken „AZ Conni „(Dresden) mit der „Mobilen Einsatz- und Fahndungsgruppe“.
Retardation2
Im Sommer 2020 postet der Journalist: „Vor 3 Jahren diesen Tweet abgesetzt. Nach einer Anzeige beim Generalbundesanwalt gab es ein Verfahren, Haftbefehl wurde beantragt, weil man meinte, obwohl ich ständig Vorträge hielt, ich sei untergetaucht“. Im Falle einer absolvierten Gerichtsverhandlung kündigt er an, er könne gesammelt über die Repression der letzten drei Jahre und wie sich Justiz und Polizei zu Handlangern der Neonazis machen, berichten. Zu den erfolglos gegen den Fotografen in Stellung gebrachten strafrechtlichen Vorwürfen gehörten u.a.: schwerer Landfriedensbruch („für mich ist es schwerer Landfriedensbruch Fotos von Menschen zu posten“, Zitat von Anzeigenerstatter Werner G. an den Generalbundesanwalt), Aufruf zu Straftaten (ein vermeintlich anonymer Tippgeber, der jedoch in Düren namhaft gemacht werden konnte) und Anstiftung bzw. Beifhilfe „zu Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikten“, so ein Anwalt aus Leipzig/Bad Neuenahr.
Katastrophe?
Mitte Dezember 2020 berichtet Andreas Speit in der „taz“: „Freispruch eines Journalisten: Doch kein Aufruf zur Gewalt“. Dem Anklagevorwurf, bei den G20-Protesten sei in Tweets zu Gewalt aufgerufen worden, folgte das Gericht nicht. Die Anklage hatte ihm vorgeworfen, einen Aufruf zu Gewalt betrieben oder diese gebilligt zu haben. Er habe öffentlich geäußert, die Gewalt sei „von Staat und Polizei“ ausgegangen und geschlussfolgert: „Jede Flasche, jeder Stein hat heute seine Berechtigung.“ Der Richter am Amtsgericht Altona konnte darin keine strafbare Handlung sehen und sprach ihn frei. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe von über 2.400 Euro gefordert und vergeblich argumentiert, dass es nicht um den „Wortlaut“ gehe, sondern um die Adressaten aus der linken Szene.
Den durch die Medienkampagne herbeigeschriebenen Anklagepunkt der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten hatte die Staatsanwaltschaft schon zuvor zurückgezogen. Kohlhuber erklärte, seine Hinweise seien „als Warnung gemeint“ gewesen. Da die Personen mit Kameras unterwegs waren und aufgrund ihrer Kleidung eindeutig der „Identitären Bewegung“ nahestanden, sei er davon ausgegangen, dass ihr Auftreten eine gezielte Provokation, „eine strafrechtliche Falle“ gewesen sei. Man konnte davon ausgehen: Die Vier wollten angegriffen werden, um es propagandistisch zu nutzen. Dieser Interpretation folgte auch die Staatsanwaltschaft. Unabhängig davon haben Journalist_innen durch das Presserecht und die Meinungsfreiheit das Recht und die Pflicht, Sachverhalte zu kommentieren und einzuordnen.
Durch die erfolgreich platzierten Kampagnen von 2017 lernten rechte MedienaktivistInnen dazu, wie sich antifaschistischer Journalismus destabilisieren lässt. In den Folgejahren wurden nach einer ähnlichen Choreografie - aber mit weniger Erfolg - weitere Journalist_innen ins Visier genommen.