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Ukraine: Die „Centuria“ und die Nationale Militärakademie

Oleksiy Kuzmenko
Einleitung

Im August 2020 berichtet die deutsche Neonazipartei „Der III. Weg“, dass mit „Centuria“ eine „neue nationale Organisationsstruktur in der Ukraine“ gegründet worden sei. In einem verlinkten Video stehen vermummte Männer im Fackelschein. Mit etwas Rauch und Schutzschildern in Reih und Glied inszenieren ihre Gründung in Leni Riefenstahl-Ästhetik. In der Nähe von Kyiv ging es demnach um „Alles, oder nichts, Glaube oder Untergang”. Mit ihrem Motto würden sie die Geschichte Roms und die Grundlage der europäischen Zivilisation fortsetzen, sie stünden „gegen Chaos, für Zusammenhalt, gegen Trennung und für patriarchale Werte der Bruderschaft gegen die Verweichlichung und Zügellosigkeit der Mengen“. Das ist gleichermaßen peinlich, wie es gefährlich ist. Die Gefahr zeigt sich u.a. darin, dass es in der Ukraine wiederholt zu Ausbildungen von (früheren) rechten Aktivisten in internationalen Militäreinrichtungen gekommen ist.

Foto: Screenshot

Der „Centuria“-Anführer Yuriy Gavrylyshyn (mitte) posiert auf VK.com.

Eine kürzlich veröffentliche Studie1 zeigt auf, dass die "National Army Academy" (NAA) von Hetman Petro Sahaidachny, die wichtigste militärische Bildungseinrichtung der Ukraine und ein wichtiger Knotenpunkt für die westliche Militärhilfe, seit 2018 die Heimat von einer weiteren Gruppierung namens „Centuria“2 ist.  Bei dieser „Centuria“ handelt es sich um einen selbsternannten Orden „europäisch-traditionalistischer“ Militäroffiziere, dessen erklärtes Ziel es ist, das Militär des Landes nach rechten Gesichtspunkten umzugestalten und eine vermeintlich „kulturelle und ethnische Identität“ der europäischen Völker zu verteidigen. Die Gruppe stelt sich eine Zukunft vor, in der „die europäischen rechten Kräfte konsolidiert werden und der nationale Traditionalismus als disziplinierende ideologische Grundlage für die europäischen Völker etabliert wird“.

Vom Autor vorgelegte Beweise bringen zwei Kadetten, die auch im westlichen Ausland ausgebildet wurden, mit „Centuria“ in Verbindung. Die Gruppe wird von Personen mit Verbindungen zur international tätigen neonazistischen Asow-Bewegung (Ukraine) angeführt und hat zahlreiche Mitglieder, darunter aktuelle und ehemalige Offiziersanwärter der NAA, die jetzt in den Streitkräften der Ukraine dienen.

Mitglieder zeigen auf Fotos den Hitlergruß und neonazistische Äußerungen sind in ihren Internetauftritten zu lesen. Ihre Mitglieder haben auch Zugang zu westlichen militärischen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen erhalten. So nahm der damalige NAA-Kadett Kyrylo Dubrovskyi an einem 11-monatigen Offizierslehrgang der „Royal Military Academy Sandhurst“ in Großbritannien teil, den er Ende 2020 abschloss. Ein weiteres Mitglied und damaliger NAA-Kadett, Vladyslav Vintergoller, nahm im April 2019 an der "30. Internationalen Woche der Offiziersschule des Heeres" (OSH) in Dresden teil.

In der Ukraine hatten „Centuria“-Mitglieder offenbar Zugang zu amerikanischen Militärausbildern sowie zu amerikanischen und französischen Kadetten. Erst im April 2021 erklärte die Gruppe, dass ihre Mitglieder seit der Gründung an gemeinsamen Militärübungen mit Frankreich, Großbritannien, Kanada, den USA, Deutschland und Polen teilgenommen haben. „Centuria“ behauptet, dass ihre Mitglieder als Offiziere in mehreren Einheiten des ukrainischen Militärs dienen. Diese Behauptungen sind glaubwürdig, da die Gruppe nachweislich in der NAA präsent ist und einige Mitglieder nach ihrem Abschluss zwischen 2019 und 2021 wahrscheinlich in Einheiten der Streitkräfte der Ukraine (AFU) eingetreten sind.

Mindestens seit 2019 hat „Centuria“ mehrere Mobilisierungen angekündigt und ideologisch ausgerichtete Mitglieder der AFU aufgefordert, sich um eine Versetzung zu bestimmten Einheiten zu bemühen, in denen die Mitglieder von „Centuria“ dienen. Um neue Mitglieder zu gewinnen, wirbt die Gruppe über ihren Telegram-Kanal mit über 1.200 Anhängern und einem speziellen Mobilisierungs-Bot immer wieder für ihre angebliche Rolle in der AFU und den Zugang zu westlichen Ausbildungs-, Militär- und Austauschprogrammen.

„Centuria“ hat enge Verbindungen zur extrem rechten Asow-Bewegung, hat bei NAA-Kadetten für Asow geworben und behauptet glaubhaft, dass ihre Mitglieder im Asow- Regiment der Nationalgarde, dem militärischen Flügel der Asow-Bewegung, unterrichtet haben. Das Bild einer engen Verbindung wird durch die Tatsache verstärkt, dass ein mit Asow verbundenes Magazin gleichzeitig über die Präsenz der Gruppe innerhalb der NAA im Jahr 2018 berichtete. Anführer und Mitglieder von „Centuria“ sind auf Fotos mit dem Anführer von Asow, Andriy Biletsky, und einem Sprecher der Bewegung, Yuriy Mykhalchyshyn, zu sehen.

Die Verbindungen von „Centuria“ zur Asow-Bewegung sind alarmierend. Der US-Kongress hat 2018 die Verwendung von Haushaltsmitteln „für die Bereitstellung von Waffen, Ausbildung oder sonstiger Unterstützung für das Asow-Bataillon“ untersagt und seither aufrechterhalten. Der Zugang von „Centuria“ zu westlicher Militärausbildung durch die NAA und eine angebliche Präsenz in der AFU könnten der Asow-Bewegung zugutekommen. Amerikanische Gesetzgeber haben das Außenministerium wiederholt aufgefordert, Asow als ausländische terroristische Organisation einzustufen. Dennoch ist diese extrem rechte Organisation über das Asow-Regiment weiterhin in die ukrainische Regierung integriert.

In den Westen gehen

Ein NAA-Sprecher teilte mit, dass Kadetten der Akademie an Austauschprogrammen mit westlichen Militäreinrichtungen teilnahmen. Zwei offensichtliche Mitglie- der von „Centuria“, der 2021er Alumnus Kyrylo Dubrovskyi (ukrainisch: Кирило Дуроський) - auch bekannt unter seinem Rufzeichen „Lyriker“ (ukrainisch: Лірик) - und der 2020er Absolvent Vladyslav Vintergoller (ukrainisch: Влисл Вінтроллєр)- haben das erreicht. Dubrovskyi besuchte einen 11-monatigen Offizierslehrgang an der "Royal Military Academy Sandhurst" (RMAS) im Vereinigten Königreich. Dubrovskyis Abschluss wurde vom ukrainischen Außenministerium und in mehreren Medienberichten in der Ukraine gefeiert. Vintergollers Erfahrung mit westlichen militärischen Bildungseinrichtungen war hingegen weniger pompös: Im April 2019 nahm er als NAA-Kadett an der "30. internationalen Woche der Offizierschule des Heeres" (OSH) in Dresden teil. Das deutsche Verteidigungsministerium, das um einen Kommentar zu Vintergollers Teilnahme an der OSH-Veranstaltung 2019 gebeten wurde, antwortete, dass es „nicht in der Lage sei, Einzelheiten der bilateralen militärischen Zusammenarbeit mit anderen Staaten, einschließlich der Ukraine, mitzuteilen.“ Dubrovskyi reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme zu „Centuria“. Im Gegensatz dazu antwortete Vintergoller und schrieb via Telegramm, dass die Gruppe „eine Bruderschaft ist, die danach strebt, alle Aspekte des ukrainischen Militärs zu verändern und zu reformieren“ und „nur Personen mit unkonventionellem Denken akzeptiert, die nicht bereit sind, sich zu beugen und stillschweigend Befehle zu befolgen“.

Überprüfung nicht erwünscht?

Die "Nationale Akademie der Streitkräfte" leugnet, dass die Gruppe innerhalb der Einrichtung tätig sei. Im Gegensatz zu solchen Erklärungen war in einem anderen Fall ein NAA-Kadett offenbar als Schusswaffenausbilder an einer mit der Asow-Bewegung verbundenen extrem rechten Gruppe beteiligt, die von der "Vereinigten Jüdischen Gemeinde der Ukraine" im Jahr 2021 beschuldigt wurde, antisemitische Propaganda zu verbreiten. Die Aktivitäten von „Centuria“ sind eine der Folgen der offensichtlich mangelnden Überprüfung ukrainischer Militärangehöriger durch die ukrainischen Behörden und die westlichen Regierungen gleichermaßen. Das Versäumnis des ukrainischen Militärs, die Aktivitäten von „Centuria“ zu überprüfen, lässt darauf schließen, dass es die Verbreitung (extrem) rechter Ideologie und den Einfluss innerhalb der Streitkräfte der Ukraine toleriert. Auch keine der westlichen Regierungen - die USA, Kanada, das Vereinigte Königreich und Deutschland - überprüfte ukrainische Ausbildungsempfänger auf (extrem) rechte Ansichten und Verbindungen.

(Hinweis zum gedruckten Inhaltsverzeichnisbild und dem Bild mit vermummten Waffenträgern im Wald (Seite 57) der gedruckten Ausgabe. Die Gruppe, über die der Autor schrieb, ist der Militärorden „Centuria“. Sie wurden 2018 ins Leben gerufen. Die abgebildete Gruppe mit den Waffen verwendet seit August 2020 auch den Namen „Centuria“ und war vorher als „Nationale Miliz“ (Azov Straßenflügel) bekannt. Der Milizorden "Centuria" protestierte gegen die zweite Neonazi-Gruppe, die denselben Namen verwendet. Viele Medien in der Ukraine und in Russland haben das jedoch nicht gründlich differenziert. In der genannten Studie unterscheidet der Autor aber klar zwischen den beiden Gruppen. Die im Text-Teaser genannte Centuria-Gruppe - die von „Der III. Weg“ gelobt wird - dürfte die zweite „Centuria“ sein.)

  • 1Die Studie trägt den Namen „Far-Right Group made it‘s home in Ukraine‘s Major Western Military“ und ist online abrufbar.
  • 2Die Centuria / Zenturie war im römischen Militär eine Abteilung von 100 Mann. Das mythologische Wesen der Centauren war ein alkoholbedingt von den Göttern geschaffenes als unbeherrschtes und lüsternes bezeichnetes Mischwesen der griechischen Mythologie aus Pferd und Mensch.