Corona-Pandemie: Von falschen Versprechungen und Fehlannahmen zu Fanatismus und Verschwörungsideologien
Nora Feline PöslMit der Covid-19-Pandemie entstand eine Flut an Verschwörungsbehauptungen, die sich massiv verbreiteten und sich in Form von „Querdenken“-Demonstrationen im öffentlichen Raum manifestierten. Insbesondere Personen, die der Esoterik, der Anthroposophie und sog. alternativen Heilmethoden zugeneigt sind, zeigen sich besonders anfällig für solche Verschwörungserzählungen und eine impfgegnerische Haltung. Diese Zusammenhänge sind jedoch kein neues Phänomen, sondern strukturell-ideologisch miteinander verwoben.
Wissenschaftsfeindlichkeit als Einstieg in Verschwörungsideologien
Der Glaube an sogenannte ‚alternative Heilmethoden‘ und Esoterik kann als Einstieg in unwissenschaftliche, simplifizierende Weltanschauungen fungieren. Bei einem Großteil der Anhänger_innen von alternativen Heilmethoden ist eine Skepsis gegenüber (natur-)wissenschaftlichen Erkenntnissen und konventioneller Medizin vorhanden, welche zu einem grundsätzlichen Misstrauen und einer Wissenschaftsfeindlichkeit führt. Die Ablehnung von Impfungen aus Angst vor Schäden korreliert stark mit dem Glauben an Alternativmedizin und Esoterik. Häufig geht die Angst vor Impfungen auf Verschwörungstheorien zurück, nach denen Pharmaindustrie bzw. Medizin bewusst und gezielt durch Impfungen Schaden anrichten oder die Bevölkerung manipulieren wollen. Die Pharmaindustrie wird als rein profitorientierte Lobby dargestellt, welche entweder aus finanziellen Vorteilen Schäden an der Bevölkerung in Kauf nimmt oder sogar von dahinterstehenden Mächten gezielt genutzt wird. Demgegenüber wird die „Alternativmedizin“ als sanft, natürlich und nicht profitorientiert konstruiert und als unterdrücktes Wissen stilisiert.
Als Strategie gegen wissenschaftliche Kritik und Aufklärung über alternative Heilmethoden wie Homöopathie entsteht ein verschwörungstheoretischer Abwehrmechanismus, der sich gegen die Kritiker_innen richtet: Ihnen wird unterstellt, sie würden von der Pharmaindustrie finanziert, sie seien fanatisch und würden gegen Nutzer_innen ‚alternativer Heilmethoden‘ hetzen. Da alle Widersprüche zur eigenen Anschauung als Teil der angeblichen Wissenschaftsverschwörung bzw. des sog. Mainstreams erklärt werden, wird eine Falsifikation durch wissenschaftliche Methoden unmöglich und die Hypothese damit weder überprüf- noch dementierbar. Diese Wissenschaftsfeindlichkeit ebnet den Weg für Verschwörungserzählungen. Eine bereits vorhandene Impfskepsis kann als Anknüpfungspunkt für rechtspopulistische Verschwörungstheorien genutzt werden, indem Ängste vor Impfschäden geschürt werden und eine Impfpflicht als antidemokratische Maßnahme der Pharmaindustrie und den politischen Eliten (die als ‚jüdische Weltverschwörung‘ imaginiert werden) zur Manipulation der Bevölkerung dargestellt wird.
Von Komplexitätsreduktion und der Vereinfachung gesellschaftlicher Verhältnisse
Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Reduktion von Komplexität. Angebliche Alternativmedizin bietet vermeintlich sanfte und einfache Lösungen für Erkrankungen an, deren Behandlung durch konventionelle Methoden häufig mit Belastungen oder Nebenwirkungen einhergeht oder für die es keine wirksame Heilung gibt. Ähnlich ist es bei der Esoterik: Gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenhänge in einer globalisierten Welt sind komplex und dadurch sehr wenig greif- und auch angreifbar. Hierdurch kann Frustration und Desillusionierung entstehen, wodurch die Suche weitergeht um andere Lösungen auf diese Fragen zu finden. Genau hier kann z.B. die Beschäftigung mit Spiritualität und Esoterik ansetzen: Die Suche wird in der immateriellen Welt fortgeführt und der Sinn im Übernatürlichen, nicht greifbaren gesucht, wodurch die Komplexität der tatsächlichen Verhältnisse reduziert und das eigene Dasein mit Sinn aufgeladen wird.
Auch Verschwörungstheorien vereinfachen komplexe gesellschaftliche Verhältnisse enorm, das ist einer der Gründe, weshalb Verschwörungserzählungen in Krisenzeiten zunehmen. Verschwörungsideologien greifen dafür auf Strategien der Abgrenzung zurück: Alles, was nicht in das propagierte Menschenbild passt oder den ideologischen Erklärungsversuchen widerspricht, wird als Teil der behaupteten Verschwörung betrachtet. Es geht darum ein klares Feindbild zu konstruieren, dass für alle sozialen oder persönlichen Probleme und Ängste verantwortlich gemacht werden kann. Eine Personengruppe oder einzelne Personen (z.B. Bill Gates, Christian Drosten, die ‚jüdische Weltverschwörung‘ bzw. chiffriert die ‚Rothschilds‘) werden als Sündenbock konstruiert, benannt als verantwortlich für die Pandemie und eben dadurch kann die eigene Verantwortung (z.B. sich an die Coronamaßnahmen zu halten, sich impfen zu lassen, Rücksicht zu nehmen) abgegeben werden.
Gleichzeitig wird die eigene Position bzw. Gruppe als Opfer stilisiert, worüber eine Notwehrreaktion legitimiert und als Widerstand imaginiert wird – genau deshalb verstehen sich Coronaleugner_innen als demokratischer Widerstand gegen ein vermeintlich diktatorisches Impfregime. Das damit einhergehende Gefühl, hinter die Kulissen zu schauen und die angeblich wahren Zusammenhänge zu erkennen, kann eine Bewältigungsstrategie gegen die eigene Ohnmacht sein und zu einem Überlegenheitsgefühl gegenüber den Personen führen, die nicht an die Verschwörung glauben, da diese laut jener Denkweise die ‚Wahrheit‘ nicht erkennen würden, wodurch wiederum eine Abgrenzung entsteht.
Rechtsesoterische und neonazistische Filterblasen
Verstärkt wird dies durch zentrale Akteur_innen, die eine hohe Reichweite auf Social-Media-Plattformen haben und dort alternativmedizinische Themen sowie esoterische Weltanschauungen mit antisemitischen und rassistischen Verschwörungstheorien verbinden. Durch Netzwerkeffekte in sozialen Medien können Filterblasen entstehen, in denen Verschwörungstheorien und rechte Ideologien als legitimes Wissen gelten. Eine Abgrenzung nach außen findet statt, indem Kritiker_innen diffamiert werden und der Wissenschaft per se eine Zugehörigkeit zur großen Weltverschwörung unterstellt wird, während gleichzeitig eine Gruppenidentität darüber konstruiert wird, nicht Teil jener ‚regierungstreuen Schlafschafe‘ zu sein. So wird die eigene Verantwortung für das solidarische Handeln in der Pandemie abgegeben, zugunsten der Illusion die eigene Freiheit gegen ein angeblich faschistisches Regime, eingebettet in eine große Weltverschwörung, zu verteidigen.
Diese Haltung wird durch Vergleiche von Ungeimpften mit im Nationalsozialismus verfolgten Personen zur Schau getragen, durch ‚Judensterne‘ mit dem Wort „ungeimpft“, durch Vergleiche von Christian Drosten mit Josef Mengele, dem Lagerarzt von Auschwitz und zahllosen weiteren Relativierungen des Holocausts. Diese Vergleiche können – neben der Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus – langfristig dazu führen, dass die Verbrechen der Shoah bagatellisiert und verharmlost werden. In Kombination mit den eindeutig antisemitisch geprägten Verschwörungsideologien ist dies eine äußerst gefährliche Mischung: Neonazistische Akteure wie Nikolai Nerling, der mit der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck verbunden ist, haben diesen Weg schon vor der Pandemie beschritten und nutzen die aktuelle Situation nun, um ihre geschichtsrevisionistische Ideologie weiter zu verbreiten.
Nicht nur angesichts der zahllosen rechten ‚Einzelfälle‘, die in Polizei- und Sicherheitsbehörden auftreten, und diversen Polizist_innen, die mit den Behauptungen von ‚Querdenken‘ sympathisieren, ist eine antifaschistische Perspektive auf Verschwörungsideologien und vermeintlich harmlose Esoterik-Anhänger_innen umso notweniger. Auch nach der Pandemie werden Personen, die in ein geschlossenes verschwörungsideologisches Weltbild abgedriftet sind, nicht einfach mit Fakten erreichbar sein – sie werden sich anderen Themen zuwenden, beispielweise der Klimakrise oder Fluchtbewegungen. Da rechtspopulistische Akteure diese Themen gezielt bespielen und Ängste schüren, entsteht hier ein starkes rassistisch-antisemitisch-verschwörungsideologisches Bedrohungspotential.