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Paraguay: Europas Ultrarechte auf der Suche nach ihrem Paradies?

Adrián Fernández Übersetzung: Klaus E. Lehmann. Aus: amerika21.de
Einleitung

Die deutsche Kolonie "Hohenau" in Paraguay ist Treffpunkt für Ultrarechte, Impfgegner und Antidemokraten.

Foto: Screenshot facebook

Hohenau, Nueva Germania, Siedlung Neufeld

Hohenau bedeutet auf Deutsch „Hohes Grasland“. Den Namen verdankt es seiner erhöhten Lage mit einem sanften Abhang zum Fluss Paraná. Die kleine Stadt im äußersten Süden Paraguays mit ihren etwas mehr als 15.000 Einwohnern wurde im Jahr 1900 von vier Deutschen gegründet: Carlos Reverchon, Guillermo Closs und den Brüdern Ambrosio und Esteban Scholler. Closs und Reverchon entwarfen einen Kolonisierungsplan für das Departemento Itapúa, der auf das Interesse der paraguayischen Regierung stieß. Das Abenteuer begann mit der Überlassung eines rund 30.000 Hektar großen Grundstücks in der Örtlichkeit Encarnación. Die Gemeinde von Landwirten wurde von den Familien Deutschmann, Tauber, Endler, Rhenius, Dressler, Kuschel, Scheunemann, Fritze, Jacobs und anderen besiedelt. Viele von ihnen waren Deutschstämmige, die bis dahin auf brasilianischem Gebiet gelebt hatten. In den 1940er Jahren war Hohenau zusammen mit den nahe gelegenen Siedlungen Encarnación, Bella Vista und Obligado ein Ort massiver Zuwanderung.

Hohenau ist weder eine Ausnahme bei der Ansiedlung von Deutschstämmigen in Paraguay noch eine Ausnahme als Herberge (extrem) rechter Strukturen. Aber es ist eine der wichtigsten und erfolgreichsten Siedlungen in Bezug auf Aktivität, Erhaltung von Bräuchen und Kulturen im Land. Neben Hohenau gab es noch viele andere derartige Projekte, von denen es einige vermochten, Wurzeln zu schlagen, andere dem Wahn zum Opfer fielen und wieder andere sich als Betrug herausstellten. Nueva Germania zum Beispiel war eine Kolonie, die 1887 von dem deutschen Arzt Bernard Förster gegründet wurde, der mit der Schwester des berühmten Philosophen Friedrich Nietzsche verheiratet war. Er wollte eine arische Kolonie von „reiner Rasse“, der weder Juden noch die einheimische Bevölkerung betreten durften. Sein Projekt scheiterte wenige Jahre später, Förster verschul­dete sich und beging Selbstmord. Heute existiert das Dorf immer noch, allerdings weit entfernt von den ideologischen Absichten seines antisemitischen Initiators.

Der jüngste Fehlschlag ereignete sich 2005, als eine neue Kolonie deutscher Einwanderer angekündigt wurde, die von dem Geschäftsmann Nikolai Neufeld konzipiert war. Die Kolonie Neufeld scheiterte, nachdem sich viele Einwohner beschwerten, dass man sie um die Bezahlung von Land betrogen habe, dessen Eigentumsrechte sie nie erhalten hatten.

Rechter „Migrationsprozess“

Das Projekt der europäischen Kolonie Hohe­nau wird in der Region entlang der paraguayischen und argentinischen Grenze sowie an den Flüssen Paraná, Paraguay und Uruguay dutzendfach nachgeahmt. Doch in den letzten Jahren hat ein Migrationsprozess die Alarmglocken schrillen lassen. Hohenau ist dabei, sich zu einem weltweiten Treffpunkt für (extrem) rechte Deutsche, Impfgegner, Antidemokraten und Verbreiter von Verschwörungstheorien zu entwickeln. Unter den Bewohnern der kleinen Stadt herrscht Besorgnis. In einem aktuellen Bericht des staatlichen deutschen Auslandsnachrichtensenders „Deutsche Welle“ sind nach Aussagen des deutschen Ehepaars Vinke, das vor 17 Jahren nach Paraguay gekommen war, seit 2015 „demokratiefeindliche Bürger, Ultrarechte, extrem laute und aggressive Menschen gekommen“. „Jetzt“, fügen sie hinzu, „kommt ein Haufen Alternativärzte, Heiler und Impfgegner.“ Die Angst der Dorfbewohner ist eindeutig: „Wir sind Hassfiguren für diese Leute, nur weil wir für den Umwelt­schutz arbeiten“, sagt Thomas Vinke, der eine Fernsehsendung zur Förderung des Umweltschutzes produziert. Er verweist darauf, dass er seit einigen Jahren mit antisemitischen, rassistischen und recht­sradikalen Inhalten konfrontiert wird. „Sie bedrohen uns ständig“, sagt er, vor allem wenn er seine Meinung zu Verschwörungstheorien sagt oder sie kritisiert.

Die neuen Nachbarn lehnen die Impfstoffe gegen Covid-19 ab und glauben, dass das neue Coronavirus mit westlicher Finanzierung in einem Labor entwickelt wurde. Die paraguayische Tageszeitung La Nación berichtet über Neuankömmlinge wie Olga Kroon, die 2020 ins Land kam. Sie erklärte, dass sie zusammen mit ihrer Familie und der Familie ihrer Schwester die Entscheidung getroffen hatte, dem Stress zu entkommen, um fern von den Einschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie zu leben. Der Bericht enthüllt, dass viele der Befragten versichern, Paraguay habe den Ruf, ein Zufluchtsort vor Impfungen und der Pandemie zu sein. Diese Theorie wird von einigen Mitgliedern der evangelikalen Kirche vertreten. Weitere Motivationsgründe der neuen Einwohner sind die Beschränkungen, welche die europäischen Staaten denjenigen auferlegen, die sich der Impfung verweigern. Die Pastorin Inga Haase, zitiert von La Nación, kam Ende des Jahres 2021 nach Paraguay. Von Deutschland aus reiste sie zunächst in die USA, wo sie jedoch „auf viele Einschränkungen und eine kommunistische Welle“ traf. Ende ­Januar 2022 veröffentlichte die britische Zeitung The Guardian einen Bericht, demzufolge deutsche, schweizerische und öster­reichische Staatsbürger Teil einer Gemeinde von Coronaleugnern und Impfverweigerer in Caazapá sind, etwa 180 Kilometer entfernt von Encarnación.

Die Initiative mit dem Namen „El Paraíso Verde“ (Grünes Paradies) wird als „antisozialistischer“ Zufluchtsort präsentiert und umfasst ein 1.600 Hektar großes, abgeschlos­senes Areal. Es handelt sich um ein Immobilienprojekt, mit dem in exklusiver Lage auch Wohnraum für diejenigen geschaffen werden soll, die Rucksäcke voller Hass und Verschwörung mit sich herumschleppen.

Steigende Zahlen

Nicht alle Deutschen, die nach Paraguay kommen, lassen sich dort dauerhaft nieder. Sie sind auch nicht alle von extrem rechten und paranoiden Ideologien getrieben. Ende 2021 meldete die paraguayische Migrationsbehörde, dass in diesem Jahr 1.077 deutsche Staatsangehörige in das Land gekommen sind und die Zahl weiter ansteigt. Der Deutschen Welle zufolge räumt die deutsche Botschaft in Asunción ein, dass ihr darüber keine zuverlässigen Informationen vorliegen. Die Tageszeitung ABC, eine der meistgelesenen Zeitungen Paraguays, berichtet, dass sich in den letzten Monaten des Jahres 2021 mindestens 30 deutsche Familien in Hohenau angesiedelt haben und beruft sich dabei auf Aussagen des Vorstehers des Bezirks Francisco Morales. Nach Morales hätten sich die meisten von ihnen in einer exklusiven abgeschlossenen Wohnanlage mit einem Naturpark niedergelassen.

Paraguay ist nach Brasilien und Argentinien das Land, das die meisten deutschen Auswanderer aufnimmt. „Land wird zu völlig überteuerten Preisen an Deutsche verkauft, und die Paraguayer sagen, dass sie sich das Land nicht mehr leisten können“, sagt Thomas Vinke. Nach Zeugenaussagen, die von der paraguayischen Presse gesammelt wurden, versteckte sich auch der NS-Arzt des Konzentrationslagers Auschwitz, Josef Mengele, unter einer neuen Identität eine Zeit lang im Haus einer deutschen Familie in Hohenau. Er war einer von vielen Nationalsozialisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Paraguay (und Südamerika) flohen. Im Interview stellt Vinke jedoch treffend fest: „Paraguay ist nicht das Nazi-­Land, in dem alle mit erhobenem rechten Arm herumlaufen. Der Nationalsozialismus ist ein deutsches Problem, auch jetzt mit diesen Verrückten hier. Paraguay hat aber viel mehr zu bieten.“

Doch werden auch in Paraguay Maßnahmen gegen das Coronavirus ergriffen. Es gelten Hygienevorschriften wie die Pflicht zum Tragen von Masken, sowie gesetzlich festgelegte Maßnahmen, einschließlich Sanktionen in Form von Geldstrafen oder gemeinnütziger Arbeit. In dem Land mit sieben Millionen Einwohnern sind fast 17.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Die Debatte über eine Impfpflicht ist aktuell, obwohl laut Meinungsumfragen ein hoher Prozentsatz diese Forderung akzeptieren würde. Paraguay ist nicht das Paradies, aber für Familien, die ein neues Leben in kleinen Städten, ländlichen und ruhigen Gebieten suchen, bietet das Land Alternativen. Wenn eine Impfpflicht Wirklichkeit wird, werden sich Impfgegner und Verschwörungsfanatiker wohl ein anderes Paradies suchen müssen.

Nachtrag AIB:

Seit Mitte Januar 2022 verlangt Paraguay bei der Einreise eine Corona-Schutzimpfung von mindestens zwei Dosen. Mehr als ein Dutzend Ausländer ohne vollständigen Impfschutz seien bei ihrer Ankunft bereits abgewiesen und in ihre Heimatländer zurückgeschickt worden, sagte die Leiterin der Einwanderungsbehörde. Darunter waren auch sechs Deutsche.1

  • 1Vgl. Ärzteblatt: Paraguay schließt Grenzen für Ungeimpfte, 20.1.2022, Der Standard: Impfgegner setzen sich nach Paraguay ab, 11. Februar 2022.